Porträt

Die Senkrechtstarterin

Heidi Stocker (33) hat im Nu die HR-Karriereleiter 
erklommen. Vor zwei Jahren wurde sie Leiterin 
des globalen HR-Teams von Weleda. Trotzdem hat sie 
noch Energie, um sich ehrenamtlich zu engagieren. 
Porträt eines ausgeglichenen Energiebündels.

Heidi Stocker ging von einem Test aus. Anders konnte sie die Mitteilung, die sie in ihrer zweiten Woche als HR-Leiterin bei Weleda am Telefon zu hören bekam, nicht einordnen. Um elf Uhr rief ein Mitarbeiter an und teilte ihr mit, dass er nicht zur Arbeit erscheinen könne. Begründung: Er sei nicht «in seiner Mitte». «Ich dachte, ich höre nicht recht, und habe ihn ins Büro zitiert», erzählt sie und lacht. Der verdutzte Mitarbeiter ist der Aufforderung gefolgt. Dabei war der Mann eigentlich im Recht, wie sie heute weiss. Denn er bestimmt das Verhältnis der Wirkstoffe in Arzneimitteln. «Für Potenzierungen muss man körperlich, geistig und seelisch in bester Verfassung sein», sagt Heidi Stocker.

«Der Anfang bei Weleda war nicht ganz leicht», räumt die 33-jährige HR-Chefin ein. Als Herstellerin von zertifizierter Naturkosmetik sowie Arzneimitteln für anthroposophische Therapien richtet sich Weleda nach einem ganzheitlichen Menschen- und Naturverständnis, basierend auf der Lehre von Rudolf Steiner. Das prägt die Produkte, aber auch den Umgang und den Alltag im Unternehmen. «Dank meinem Vater wusste ich einiges über biodynamische Landwirtschaft, sonst war ich eher von der Wirtschaftswelt geprägt. Mein Hü-und-hott-Prinzip musste ich deshalb etwas zügeln», lacht sie. Bei Weleda zu arbeiten und sich für die anthroposophische Weltanschauung nicht zu interessieren, sei undenkbar. Trotzdem hat sie Verständnis für alle, die anfangs skeptisch sind. Aus ihrem Leben lässt sich die anthroposophische Philosophie aber nicht mehr wegdenken. «Es geht im Grunde um einen guten und reflektierten Umgang mit sich, anderen und der Umwelt. Das betrachte ich als grosse Bereicherung.»

Zur Person

Heidi Stocker leitet das 50-köpfige, globale HR-Team der Weleda AG, Herstellerin von Naturkosmetik und Arzneimitteln für die anthroposophische Therapierichtung. Das Unternehmen beschäftigt weltweit rund 1900 Mitarbeiter. Heidi Stocker doziert zudem an der Akad Business AG die Fächer Kommunikation und Führung, Psychologie und HRM. Sie ist auch Prüfungsexpertin für angehende HR-Fachmänner/
-frauen. Im Juni hat sie den 600Minutes Award als HR-Führungskraft des Jahres gewonnen. Die 33-Jährige wohnt mit ihrem Partner in Gipf-Oberfrick und erwartet im November ihr erstes Kind.

Unkomplizierte Frohnatur im Businesslook

Heidi Stocker hat einige Anekdoten zu ihrer Anfangszeit bei Weleda auf Lager. Sie ist eine aufgestellte Person, lacht viel und gerne. Auch dass sie fürs Foto ins Dickicht treten muss, nimmt sie locker. In Highheels balanciert sie über den weichen Waldboden auf der Sissacher Fluh, streift Äste weg, rückt ihr Kleid zurecht. Eine unkomplizierte Frohnatur im Businesslook. In ihrer Freizeit ist sie oft hier und geniesst die Aussicht, spaziert im Wald oder isst einen Käse-Salat in der Beiz. «Ich reise beruflich viel und geniesse darum das Einfache, Rustikale hier oben.»

Heidi Stocker ist 2007 als HR-Leiterin Schweiz im Hauptsitz in Arlesheim zu Weleda gestossen. 2011 hat sie, mit 31, die Leitung des 50-köpfigen globalen HR-Teams übernommen. Weleda hat neben dem Hauptsitz eine Zweigniederlassung in Schwäbisch Gmünd und 18 Mehrheitsbeteiligungen. Das HR und das damit verbundene Geschäftsmodell basieren auf einer dezentralen Strategie. Skype hilft, doch die Chefin sieht ihre Leute auch gerne persönlich von Zeit zu Zeit.

Auch privat ist sie gerne unterwegs. Ihren Traum einer Weltreise hat sie für ihre jetzige Stelle aber gestutzt: 2011 war sie zu einer langen Reise aufgebrochen, das Kapitel Weleda war für sie damals vorerst beendet – bis der CEO sie im Ausland anrief und ihr die Leitung des globalen HR-Teams anbot. «Die Nepal-Trekkingreise ist darum immer noch ein Traum.» Sechs Monate Zeit hat sie ausgehandelt und die Route so angepasst, dass sie Weleda-Standorte oder deren Partner besuchen konnte. Sie hat mit Bauern auf den Feldern Lavendel gepflückt und gestaunt, wie viele Rosenblätter für ein paar Tropfen Öl notwendig sind.

Ausser Dienst

Das bringt mich zum Staunen: Unverhofftes, ungewöhnliche Ideen oder unerwartete Reaktionen von Menschen. Oft bringen mich auch Filme zum Nachdenken, wie beispielsweise «Intouchable».
Das bereitet mir spontan Freude: Kleinigkeiten im Alltag wie ein gutes Gespräch, das weiterbringt, oder vegetarisches Essen, das sehr schön angerichtet ist.
Das sind meine Traumferien: Auf jeden Fall eher aktiv. Ich bewundere Menschen, die wochenlang am Strand liegen können.
Das langweilt mich: Finanzarbeit, zum Beispiel Kreditoren- oder Debitorenbuchhaltung, ohne den Austausch mit Menschen.

Vererbte Menschenliebe

Die Arbeit draussen, der Bezug zur Natur war nichts Neues für Heidi Stocker. Sie ist im Fricktal auf einem Bauernhof aufgewachsen. Ihr Vater war Unternehmer und hat nebenbei den Hof, ausgerichtet auf biologische Landwirtschaft, aufgebaut. Die Mutter führte dort eine therapeutische Wohngemeinschaft mit Schwerpunkt Drogenlangzeittherapie. «Bei uns sassen immer 10 bis 15 Personen am Tisch, wenn wir Kinder zu Hause waren. Unter der Woche haben meine Geschwister und ich eine Privatschule in Basel besucht.» Heidi Stocker erinnert sich an schöne Erlebnisse mit den Gästen, aber auch an traurige Schicksale. «Wir haben früh gelernt, uns abzugrenzen. Aber ein grosses Stück meiner Menschenliebe habe ich von daheim mitgenommen.»

Heute geniesst sie es, zu Hause ihre eigene Küche nur für sich und ihren Partner zu haben. Der häufige Kontakt mit Menschen im Beruf mache sie daheim zu einer ruhigen Person, die ihre Privatsphäre sehr schätzt, sagt sie.

Trotzdem nimmt sie sich in ihrer Freizeit anderen Menschen an. Jeden zweiten Monat sitzt sie ein Wochenende lang als ehrenamtliche Mitarbeiterin bei der Telefonseelsorge und hört verzweifelten Menschen zu. Sie versucht zu unterstützen, Mut zu machen oder einfach nur ein offenes Ohr zu haben. Eine Aufgabe, die Einfühlungsvermögen, Geduld, aber auch die Stärke braucht, in einzelnen Fällen die eigene Überforderung wahrzunehmen und den Anrufer an eine spezialisierte Stelle weiterzugeben. Auch ihr Vater war schon bei der Telefonseelsorge engagiert, und ihre volle Agenda hindert sie nicht daran, dieses Erbe fortzuführen. «Ich wurde auf der Sonnenseite geboren und kann einen Teil meiner Energie gut dafür aufwenden, weniger glücklichen Menschen zu helfen.»

Leger zum Marathon

Ihr eigenes Glück findet Heidi Stocker beim Sport. Sie läuft jedes Jahr einen Marathon und ein bis zwei Halbmarathons. Auf anstrengendes Training verzichtet sie aber. «Meine Jogging-Runde am Sonntagmorgen ist eines meiner Lieblingsrituale. Aber ich renne nicht mit Stoppuhr und Trainingsplan, sondern geniesse die Natur.» Am liebsten läuft sie in der Bergwelt oder dem Wasser entlang. Früher hat sie jede freie Minute auf dem Rücken von Pferden verbracht – als Junioren-Dressurreiterin hat sie mehrere nationale und internationale Auszeichnungen abgesahnt. Ein Unfall, bei dem sie den Schultergürtel verletzte, hat die Karriere aber abrupt beendet. Damals war Heidi Stocker 17. «Seither sass ich nie wieder auf einem Pferd», sagt sie weder mit Wehmut noch mit Verbitterung. «Es gehört wohl einfach zu meiner Biografie.»

Statt einer Sportkarriere hat sie eine Wirtschaftslaufbahn eingeschlagen. Sie hat ein trinationales Wirtschaftsdiplom mit Schwerpunkt Wirtschaftspsychologie in Deutschland, Frankreich und der Schweiz gemacht und nachher mehrere HR-Aus- und Weiterbildungen absolviert. Unter anderem hat sie das Nachdiplomstudium Personalleiterin HF in Zürich und 2011 einen executive MBA in Human Resources Management in Bern abgeschlossen. Ins HR ist sie dann direkt in Führungspositionen eingestiegen: Zuerst beim Seiden- und Kaschmirhändler J. F. Müller, danach in einem Architekturbüro, auf einem Flugplatz inklusive Restauration und schliesslich beim Fahrzeugbauer FHS E. Frech-Hoch AG, wo sie jeweils in der Funktion als HR-Leiterin Sanierungen begleitete. Meist hat das auch bedeutet, Massenentlassungen durchzuführen.

Dass sie Menschen entlassen musste, hat sie nicht zu nahe an sich herangelassen. Es sei ihre Stärke, Probleme rasch zu erkennen und sie zu beheben. «Ich war immer darauf gefasst, in solchen Positionen einmal mit Problemen konfrontiert zu werden, weil ich jung und eine Frau bin.» Sie sei aber immer ernst genommen worden, was bei ihrem souveränen Auftritt und ihrer sympathischen, aber klaren Art wenig -erstaunt. Dass sie mit 33 Jahren schon sehr viel erreicht hat, kommentiert sie mit dem für sie typischen Understatement: «Das hat sich so -ergeben, ich sehe mich nicht als grosse Kämpferin.» Und fügt an: «Aber mir werden Perfektionismus und Verbindlichkeit nachgesagt.»  

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