Digitalisierung – Chancen und Herausforderungen
Vor 13 Jahren wurden Linkedin und Xing gegründet. Mit heute über 450 respektive 10 Millionen Mitgliedern stellen sie einen Datenpool zur Verfügung, der die Rekrutierung in den vergangenen Jahren nachhaltig verändert hat. Soziale Medien wie Facebook unterstützen diesen Trend zunehmend.
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Die stetig wachsende Zahl digital verfügbarer Profile zwingt die Nutzer zur Differenzierung und Positionierung. Videobewerbungen sind ein Beispiel dafür. Auf der anderen Seite erhöht sich die Anzahl der Portale, mit der Arbeitgeber um die Gunst potenzieller Kandidaten werben. Die resultierende Vielzahl von Kanälen bietet beiden Seiten enorme Möglichkeiten zur Präsentation und Interaktion, birgt jedoch die Herausforderung, den effektivsten und effizientesten Ansatz zu finden.
Die wachsende Datenflut und die Menge an Informationen und Analysen zu den einzelnen Teilthemen erschweren die Übersicht. Zudem existieren keine qualitativen Standards und es herrscht eine erhebliche Fragmentierung im Bereich der Portale und Kanäle. Viele Personalabteilungen sehen sich daher vor grosse Herausforderungen gestellt oder sind teilweise schlicht überfordert. Dazu kommt der Druck der Geschäftsleitung, die in der Digitalisierung eine willkommene Möglichkeit zur Kostenreduktion sieht, was kontraproduktiv sein kann.
Herausforderungen und Grenzen
Die Bedeutung der Digitalisierung reicht als Trend weit über die Rekrutierung hinaus. Sie verändert die Erwartungshaltung und das Kundenverhalten in den jeweiligen Märkten und beeinflusst das Wechselspiel zwischen Unternehmen und Kandidaten. Bewerber verhalten sich zunehmend anspruchsvoller und opportunistischer, da auch ihnen eine grössere Transparenz geboten wird. Nach einer ersten Welle beidseitiger Euphorie führt dies zusehends zu Friktionen auf dem Stellenmarkt. Angebot und Nachfrage sind immer schwerer in Einklang zu bringen. Personalabteilungen sind in besonderem Masse herausgefordert, da sie für Bewerber oft das Eintrittstor zum Unternehmen darstellen und direkt mit den sich verändernden Ansprüchen konfrontiert sind. Die stark arbeitsteilig geprägte Unternehmenswelt verhindert teilweise, dass makroökonomische Trends wie die Digitalisierung im Mikrokosmos der jeweiligen Unternehmen vernünftig abgebildet werden können. Rekrutierung in einer digitalisierten Wirtschaft kann letztendlich nur interdisziplinär erfolgreich funktionieren und muss die gesamte Wertschöpfungskette berücksichtigen. Unternehmen sehen sich damit konfrontiert, die notwendigen internen Kompetenzen aufzubauen und in geeigneter Form in den Rekrutierungsprozess einfliessen zu lassen. Ein Lösungsansatz kann sein, dass grössere Konzerne dazu übergehen, bei diesem Thema mittels Kooperationen mit dem Start-Up-Umfeld zusammenzuarbeiten.
Anregungen für die Zukunft
Die Digitalisierung dürfte die Wirtschaft heute mindestens so nachhaltig beeinflussen wie zu Beginn des Computerzeitalters. Dies nicht nur in technologischer Hinsicht, sondern auch bezüglich der resultierenden Businessmodelle und -prozesse sowie der Art und Weise, wie Firmen mit ihren Kunden kommunizieren. Diese Entwicklung würde implizieren, dass mit dem Haupttrend untrennbar verknüpfte Aspekte wie die digitale Rekrutierung einen hohen strategischen Stellenwert einnehmen müssten. Auch noch so gut positionierte Personalabteilungen werden den damit verbundenen Herausforderungen nicht im Alleingang begegnen können. Es gilt, die Bedürfnisse des Unternehmens konkret herauszuarbeiten, denn nur damit kann die Rekrutierung für das Unternehmen langfristig wertvermehrend wirken. Digitale Rekrutierung setzt ferner die Offenheit voraus, Dinge auszuprobieren und je nach Ergebnis pragmatisch anzupassen. Dies bedingt Flexibilität im Denken und Handeln sowie die Bereitschaft, als richtig Eingestuftes wieder zu hinterfragen. Nicht agil gestaltete Prozesse werden das Endergebnis gefährden. Dazu kommt, dass Digitalisierung nicht ausschliesslich mit «jung» und «unkonventionell» umschrieben werden kann. Um die Endkundenlandschaft zu spiegeln, sollte der Personalbestand altersmässig gut durchmischt bleiben.
Digitale Rekrutierung vermag manches, aber sie ersetzt nicht den sorgfältigen Dialog mit den Bewerbern, um sich gegenseitig davon zu überzeugen, dass die Anstellung für alle Beteiligten Sinn macht. Am Ende des Tages bleibt es der gesunde und kritische Menschenverstand, der uns in solchen Prozessen leitet und den man glücklicherweise (noch) nicht durch künstliche Intelligenz ersetzen kann. Der Interviewphase im Suchprozess wird in Zukunft eine ungleich höhere Bedeutung zukommen. Sie wird die Effizienzgewinne in der Rekrutierung durch elektronische Mittel qualitativ substantiell erhöhen oder im negativen Fall gefährden.
Somit wird die Frage, welche Strategie ein Unternehmen in der Digitalisierung verfolgt, zum kritischen Faktor: Wo und wie soll sie sinnvoll eingesetzt werden? Zwischen Fluch und Segen bleibt hier nur ein schmaler Grat.