Teamentwicklung

Dopingmittel interner Wettbewerb?

Interne Konkurrenz führe zu mehr Leistung und Innovation, behaupten die einen. Internes Gerangel schädige die intrinsische Motivation und führe zu unschönen Nebenwirkungen, mahnen die anderen. – Wie viel interner Wettbewerb ist nun «gesund»? Zu dieser Frage und den Auswirkungen von internem ­Wettbewerb in Organisationen hat Professorin Antoinette Weibel jüngst an der Universität St. Gallen ein Forschungsprojekt lanciert.

Frau Weibel, Wettbewerb unter Mitarbeitenden ist umstritten. Ist dieses eher negative Image gerechtfertigt?

Antoinette Weibel: Aus der Weltsicht der Ökonomen fördert der interne Konkurrenzkampf die Innovationsfähigkeit und senkt den bürokratischen Aufwand, er regelt quasi als «unsichtbare Hand» die effiziente Verteilung der Ressourcen. In den vergangenen Jahren hat sich nun aber gezeigt, dass vor allem die ungleiche Verteilung zum Problem wird. Auf gesellschaftlicher Ebene ist es die steigende Einkommensungleichheit und in den Unternehmen sind es die wenigen Gewinner, denen immer mehr Verlierer gegenüberstehen. Die Konsequenzen davon sind Gefühle des Unglücklichseins, von wachsender Unzufriedenheit bis zum Neid.

Ist für Sie Wettbewerb per se «schlecht»?

Vorsichtig und ausgewogen dosiert, kann interner Wettbewerb Mitarbeiter anspornen, bessere Leistungen zu erbringen, mehr Einsatzbereitschaft zu zeigen und sich ständig zu ver­bessern. Ungesund ist der interne Wettbewerb dann, wenn er auf Kosten der Mitarbeitenden oder Teams geht: Wenn es am Schluss nur noch darum geht, Kollegen schlecht aussehen zu lassen, um selbst besser dazustehen. Ein so verstandener Wettbewerb geht oft einher mit hohem psychischem Druck, gesundheitlicher Belastung und einer erhöhten Fehleranfälligkeit. Das kann sich in Unternehmen bis hin zu Grabenkämpfen zwischen Teammitgliedern und Teams auswirken oder gar zu Sabotageakten führen. Die Kosten für die Bewältigung dieser Neben­wirkungen dürften in einem solchen Unternehmen um einiges höher liegen als der Gewinn, den das Unternehmen damit erzielt. Der Untergang von Firmen wie Enron und Worldcom sind Zeichen eines solchen ungesunden internen Wettbewerbs.

Zur Person

Antoinette Weibel ist Professorin für ­Personalmanagement und Direktorin am Institut für Führung und Personalmana­ge­ment der Universität St. Gallen. Zu ­ihren Forschungsthemen gehören ­Arbeit­geber­vertrauen, Positives Personal­mana­gement und Mitarbeiterengagement.

Wie viel interner Wettbewerb ist denn «gesund»?

Administrierte Wettbewerbssysteme wie exklusive Talentmanagementpools, Boni-Systeme, Forced Rankings und Profit-Center-Strukturen sind aus meiner Sicht keine optimalen Wettbewerbssysteme. Es spielen sehr viele subjektive Faktoren mit hinein, die von den Mitarbeitenden zu Recht häufig als unfair empfunden werden, weil sie objektiv nicht nachvollziehbar sind. Besser wäre zu betonen, dass das eigene Unternehmen ja bereits im Wettbewerb mit anderen Unternehmen steht. Meiner Meinung nach wäre das der stärkste Antrieb. Die Anreizsysteme, welche vielerorts verankert sind, vernachlässigen dies jedoch: Plötzlich steht Mitarbeiter A in Konkurrenz zu Mitarbeiter B, statt dass sich alle darauf konzentrieren, bessere Leistungen zu erbringen, um dem eigenen Unternehmen gegenüber der Konkurrenz einen Vorteil zu verschaffen.

Gibt es den «schadensneutralen» internen Wettbewerb?

Den internen Wettbewerb so zu gestalten, dass ­keine negativen Nebenwirkungen auftreten, ist nicht ganz ­einfach. Es genügt jedenfalls nicht, mit anderen HR-Instrumenten zu ­versuchen, ein Gegengewicht zu den stark wettbewerbsförder­n­den Faktoren zu schaffen. Vielmehr müssen wir über andere «Wettbewerbsformen» nachdenken. Etwa einem «­Ideenwettbewerb», der den Mitarbeitenden unternehmerische Freiheiten gewährt. Der Hörgerätehersteller Oticon hat das vor eini­ger Zeit ausprobiert: Dort konnten Mitarbeitende ein eigenes Projekt ins Leben rufen und dafür bei ­internen «Venture Capitalists», den Geschäftsleitungsmitgliedern, Fördermittel und Ressourcen beantragen. Ideen, die planmässig voranschritten, wurden neue Ressourcen zugesprochen, bis aus dem Projekt ein Produkt oder ein verbesserter Prozess entstand. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, wieder zu den Wurzeln zurück­zufinden, denn im ursprünglichen Sinne sollte es innerhalb der Unternehmung keinen Wettbewerb geben, weil dieses ja schon im Wettbewerb zu anderen Unternehmen steht. Der intrinsischen Motivation wurde zu wenig Beachtung geschenkt. Das Pendel hat einfach zu stark in eine Richtung ausgeschlagen, nun gilt es, dies wieder in die Balance zu bringen. Wenn wir in eine Richtung übertreiben, wird die ­andere einfach attraktiver. Das bedeutet beispielsweise, Boni in Moderation auszuschütten, die Lohnungleichheit innerhalb der Unternehmen abzubauen und eine starke Unternehmenskultur zu pflegen.

Sind wettbewerbsgetriebene Unternehmenskulturen ein Auslaufmodell?

Unsere Gesellschaft befindet sich in einem rasanten Wandel. Man kann nicht mehr alle Probleme alleine lösen. Wir befinden uns auf dem Weg in die Industrie 4.0, wo Empathie und Mitdenken sehr viel mehr gefordert werden, denn bei Produktentwicklung und Vermarktung werden immer mehr auch Kunden, Lieferanten und ­andere Anspruchsgruppen miteinbezogen. Die Generierung von Ideen ist an den Wissensaustausch und die Informationsweitergabe gebunden. Das können Maschinen für uns nicht übernehmen. Um die Menschen bei der Stange zu halten, sind starke Visionen erfor­derlich und es müssen Freiräume geschaffen werden, damit Kooperation überhaupt möglich wird. Das erfordert noch viel Umlernen und ­Flexibilität. Ganz verschwinden werden wettbewerbsorientierte Unternehmenskulturen jedoch nicht, auch wenn die Hierarchien tendenziell flacher werden und das Statusdenken an Bedeutung verliert, denn es wird immer Menschen geben, die solche Unternehmen bevorzugen. Das wiederum ermöglicht Arbeitgebern auch, sich in einer Nische zu positionieren: So hat Yahoo beispielsweise entgegen aller Trends ein Home-­Office-Verbot ausgesprochen. Dies mit dem Resultat, dass dort nur noch Menschen arbeiten, die sich mit diesem Modell identifizieren und damit glücklich sind.

Nachgefragt

Anastasia Sapegina ist Doktorandin am ­Institut für Führung und Personalmana­gement der Universität St. Gallen und wissenschaftliche Assistentin von Professorin ­Antoinette Weibel, mit der sie das Forschungsprojekt über die Auswirkungen von internem Wett­bewerb in Organisa­tionen durchführt.

Womit beschäftigt sich Ihr Forschungs­projekt im Detail?

Einerseits mit der Frage, unter welchen ­Bedingungen sich wettbewerbsstimulierende Personalinstrumente positiv auf das Leistungsverhalten der Mitarbeitenden ­auswirken. Andererseits mit der Frage, wie HR-Instrumente den Wettbewerb oder die Kooperation zwischen Mitarbeitern fördern und wie Wettbewerb und Koopera­tion im Unternehmen ausbalanciert ­werden können. Derzeit werden ­HR-Verantwortliche gesucht, die an einer tele­fonischen Befragung teilnehmen.

Welche Erkenntnisse haben Sie bisher gewonnen?­

Wir wissen, dass Menschen unterschiedlich auf Wettbewerb reagieren. Wettbewerbs­orientierte Menschen tendieren dazu, sich häufiger mit anderen zu vergleichen und das meist zu ihrem Nachteil. Das schürt ­Neidgefühle und kann zu negativen Verhaltensweisen führen.

Sind die Kosten «ungesunden» internen Wettbewerbs bezifferbar?

Die Feldforschung dazu ist gerade am ­Aufkommen. Erste Studien liefern zumindest Hinweise dafür, dass die negativen ­Folgen einer stark wettbewerbsgetriebenen internen Kultur überwiegen. Die spannende Frage ist, wie man den internen Wett­bewerb so gestaltet, dass der Nutzen des ­Wettbewerbs die Kosten übersteigt.

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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