Porträt

«Einfach machen!»

Andrea Engeler hat als Quereinsteigerin eine HR-Karriere eingeschlagen, die so gar nicht ­geplant war. Heute ist sie HR-Chefin und stellvertretende Leiterin des Amtes für Wirtschaft und ­Arbeit des Kantons Zürich – und damit verantwortlich für rund 800 Mitarbeitende.

«2014 war für mich ein spezielles Jahr», eröffnet Andrea Engeler das Gespräch. Zum ersten Mal seit ihrem Studium habe sie sich eine längere Auszeit von acht Wochen gegönnt. Das war auch nötig, denn über die Jahre hatten sich die Überstunden und unbezogenen Ferientage angehäuft: «In dieser Beziehung bin ich kein Vorbild.» Aber auch während ihrer Auszeit blieb sie nicht untätig. Sie absolvierte einen Sprachaufenthalt in Schottland und lebte bei den Familien zweier Englischlehrer. «Das hat mir geholfen, meine Flexibilität zu überprüfen und herauszufinden, wie gut ich mich an eine komplett neue Situation anpassen kann.» Besonders beeindruckt habe sie die Lebenseinstellung der Schotten, die im Vergleich zu Schweizer Verhältnissen einen bescheideneren Lebensstandard pflegen. Doch Jammern, was alles besser sein könnte, wie das hierzulande viele tun, das habe sie dort nicht erlebt. «Wir sind schon etwas verwöhnt», so ihr Fazit.

Sich dauernd mit anderen zu vergleichen, die noch mehr haben, mache unglücklich. Besser sei es, sich Ziele zu setzen, die man aus eigener Kraft erreichen könne. Das gelte auch für den Berufsalltag: «Treten in einem Projekt Schwierigkeiten auf, kann man daran verzweifeln oder man macht einen kleinen Umweg.» Meist sei das Endergebnis sogar besser, wenn man Hindernisse annehme und überwinde. Das sei auch bei privaten Schicksalsschlägen so. «In der Vergangenheit zu verharren, ist wenig hilfreich.» Stattdessen ist Andrea Engler lieber in Bewegung. «Bewegung heisst, vorwärts gehen, etwas ausprobieren und daraus lernen.» Dabei nimmt sie bewusst auch kalkulierbare Risiken in Kauf: «Die Idee und die Marschrichtung müssen stimmen und die wesentlichen Risiken überprüft werden. Dann ziehe ich los. Eine Richtungskorrektur ist auch unterwegs noch möglich.»

Zur Person

Andrea Engeler (47) wächst in Uster auf und besucht dort die Primarschule. Nach der Matur absolviert sie ein Studium der Staatswissenschaften an der HSG, das sie mit verschiedenen Nebenjobs – vom Putzen von Büroräumlichkeiten bis zum Durchführen von Inventuren – finanziert. Nach Abschluss des Studiums findet sie bei einer Zürcher Grossbank im Recruiting den Einstieg ins HR, wechselt dann aber ans Institut für Öffentliche Dienstleistungen und Tourismus, ­während sie ihre Dissertation schreibt. Der Wunsch, praktische Erfahrung auf Kundenseite zu sammeln, führt zur Rückkehr ins HR. Zunächst als Stellvertreterin der Personalleiterin bei der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich, danach beim Amt für Justizvollzug. 2007 folgt der Wechsel ins Amt für Arbeit und Wirtschaft Zürich in der gleichen Funk­tion, wo sie 2012 auch zur stellvertretenden Amtschefin ernannt wird.

Seitenwechsel als Chance

Eine erste berufliche Richtungsänderung folgt bereits nach ihrem Studium der Staatswissenschaften an der HSG in St. Gallen, das sie im Fach «Internationale Beziehungen» abschliesst. Den Traum, Diplomatin zu werden, lässt sie fallen: «Ich wollte selbst über meinen Lebensmittelpunkt bestimmen, der für mich in der Schweiz liegt, und nicht wie eine Nomadin von Land zu Land ziehen.» Der Einstieg ins HR erfolgt dann eher zufällig bei einer Grossbank in Zürich, wo die junge ­Studienabgängerin unablässig neue Sekretärinnen für das Börsenparkett rekrutieren muss. Nach jeweils vier bis fünf Mo­naten stets dieselben Stellen neu zu besetzen, Formulare aus­zufüllen und dabei stets die Begeisterung zu bewahren, widerstrebt ihr.

Etwas desillusioniert verlässt sie das Unternehmen nach nur knapp 13 Monaten und wechselt die Branche. Es folgen Stationen in der Projektarbeit an einem wissenschaftlichen Institut und bei einer Beratungsfirma, die sich auf den Bereich Öffentliche Verwaltung spezialisiert hat. ­Dabei steht vermehrt die theoretische Betrachtung im Vordergrund. Der Wunsch, praktische Erfahrungen auch auf Kundenseite zu sammeln, wird jedoch immer grösser.

Die Chance zum Seitenwechsel ergibt sich unverhofft im Jahr 2001 bei der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich – als stellvertretende Personalleiterin. «Das Stelleninserat richtete sich an einen Juristen und passte ­eigentlich überhaupt nicht zu meinem Profil.» Trotz dieses Mankos wird Andrea Engeler zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen und erhält den Job: «Es war der perfekte Match.» Noch in der Probezeit übernimmt sie die Mutterschafts­urlaubsvertretung der Amtsinhaberin und sammelt damit erste Führungserfahrungen. Ein Sprung ins kalte Wasser: «Ich musste mich etablieren und mich durchschlagen. Da habe ich gelernt, einfach hinzugehen, etwas zu machen und darauf zu vertrauen, dass es gut kommt.»

Damit ist der weitere Entwicklungsweg von Andrea Engeler vorgespurt: 2003 wird sie Personalleiterin beim Amt für Justizvollzug des ­Kantons Zürich und schliesslich ab 2007 Bereichsleiterin ­Personal und Dienste des Amts für Arbeit und Wirtschaft (AWA). Vor rund zwei Jahren folgt die Ernennung zur Stell­vertreterin des Amtschefs. Gestaltungsmöglichkeiten und Amtsschimmel – ein Widerspruch? «Nein», sagt Andrea Engeler. Zwar gebe es gesetzliche Vorgaben wie das Per­sonalgesetz, das detaillierter geregelt sei als im Privatrecht und das den Handlungsspielraum tatsächlich einschränke. «Entscheidungen, die HR-Projekte betreffen, fallen jedoch im Dialog mit dem Amtsleiter und der Geschäftsleitung.» Es sei viel mehr möglich, als man denke. Die Länge der Entscheidungswege hätte weniger mit dem Verwaltungsapparat zu tun als mit der Zahl der Hie­rarchiestufen und der Grösse eines Unter­nehmens. So gesehen sei ein Konzern ja auch bürokratischer als ein KMU.

Wandel als Konstante

Ihre Lebensphilosphie des «Einfach-Machens» kommt auch beim AWA zum Tragen: beispielsweise als in der Finanzkrise 2008 bei der Stellenausschreibung von RAV-Beratern jeweils 800 Bewerbungen eintrafen. «Das hat unser Team an die Grenzen gebracht», erinnert sich Engeler. Damit passende Kandidaten nicht gleichzeitig von verschiedenen RAV-Leitern kontaktiert wurden, stampfte die HR-Leiterin zusammen mit der Linie kurzerhand ein zentrales Bewerbungszentrum inklusive Callcenter aus dem Boden. Vom Assis­tenten bis zum RAV-Leiter wurden alle eingespannt, um Bewerbungsunterlagen zu sichten, Gespräche zu führen, die Lohnvorstellungen abzuklären und die Datenbank zu aktualisieren. Eine harte Zeit, aber auch eine, welche die verschiedenen Bereiche zusammengeschweisst und das Verständnis füreinander gefördert habe.

Mit derselben Machermentalität hat Andrea Engeler das HR des AWA komplett neu gestaltet und inzwischen ihre operativen HR-Tätigkeiten abgegeben. Zur Erledigung der administrativen Tätigkeiten wurde das vierköpfige Team mit zusätzlichen Assistenzstellen ergänzt und die Beratungskompetenz der Personalbereichsverantwortlichen wurde ausgebaut.

Stand anfänglich die Organisationsentwicklung im Fokus, sind es heute Themen wie der ­Arbeitgeberauftritt, das Talentmanagement, das Betriebliche Gesundheitsmanagement oder der Ausbau der Beratungskompetenz, die Andrea Engeler neben ihren neuen Aufgaben als stellvertretende Amtschefin beschäftigen. IT-mässig möchte sie zudem aufrüs­ten und in noch bessere Auswertungstools investieren. Zu viel sei heute noch «handgestrickt». Das reiche vom Papierdossier bis zur Excel-Liste im Personalcontrolling.

Auch ihren Mitarbeitenden gesteht Andrea Engeler zu, «einfach zu machen». Dass dabei auch mal etwas schief gehen kann, findet die 47-Jährige nicht weiter tragisch. Meist könne nicht wahnsinnig viel Schlimmes passieren. «Wir arbeiten ja mit Papier und operieren nicht am offenen Herzen.» Das gebe sie ihren Mitarbeitenden als Anstoss mit auf den Weg, wenn diese zu viele Bedenken äussern würden. Unnötiges Zaudern koste sehr viele Ressourcen. Woran ihre Mitarbeitenden auch arbeiten, das Feedback ihrer Chefin ist ihnen gewiss: «Meine Mitarbeitenden wissen, woran sie sind. Wenn etwas vorfällt, bringe ich das Thema gleich auf den Tisch.» Intransparentes und unehrliches Verhalten bringen die stellvertretende Amtschefin schon mal auf die Palme: «Wenn man vordergründig positives Feedback erhält und über drei Ecken dann doch etwas anderes erfährt, könnte man es ja auch direkt sagen, denn von konstruktiver Kritik kann man ja nur lernen.»

Was sie nach vielen Jahren im HR noch antreibt? «Man arbeitet für und mit Menschen und hat dabei nie ausgelernt.» Zwar sei nicht alles angenehm, was man erlebe, es bleibe jedoch immer spannend und herausfordernd. Zu den anspruchsvollen Aufgaben ihres Jobs gehöre zweifellos, die Rolle der Vermittlerin einzunehmen, nach gemeinsam akzeptierten Lösungen zu suchen und auch mal auf die Einhaltung von Regelungen und Rahmenbedingungen zu pochen. Sei dies nötig, tue sie es. «Aber mit Augenmass und einer Portion Charme.»

AWA

Das AWA (Amt für Wirtschaft und ­Arbeit) des Kantons Zürich beschäftigt rund 800 Personen und ist bei der Aus­gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des Kantons Zürich federführend. Die Tätigkeitsgebiete des AWA umfassen so viel­fältige Aufgaben wie die öffentliche Arbeitsvermittlung, die Arbeitslosen­ver­sicherung, die ­Erteilung von Arbeitsbewilligungen oder etwa auch die Standort- und Wohn­bauförderung.

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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