HR Today Nr. 4/2017: Porträt

Empathische Kämpfernatur

Er war Eishockeyprofi und suchte einen Teilzeitjob. So kam Remo Wehrli vor 19 Jahren ins HR. Bei der SV Group stieg er vom Assistenten zum HR-Leiter auf. Seit Dezember 2014 ist er Direktor «People & Culture» bei ISS, dem führenden Facility-Services-Anbieter in der Schweiz.

Wir treffen Remo Wehrli am Unternehmenshauptsitz von ISS Schweiz in Zürich Altstetten in der «Reception Academy», der Ausbildungsstätte für ISS-Empfangsmitarbeitende. Darüber hinaus umfasst Wehrlis «People & Culture»-Abteilung – neben HR Operation – noch weitere Bereiche: etwa das Lehrlingswesen, die Personalentwicklung sowie den Bereich «People Engagement», der lokale und globale Engagement-Initiativen vorantreibt – denn ISS Schweiz ist eine Ländergesellschaft der international tätigen ISS Gruppe mit rund 500 000 Mitarbeitenden weltweit.

ISS Schweiz ist in den letzten 15 Jahren enorm gewachsen: Seit 2003 hat das Unternehmen seinen Umsatz von 220 auf aktuell 769 Millionen Franken gesteigert. Mit diesem Wachstum in allen Landesteilen und der Weiterentwicklung der Services ging auch ein Ausbau der Belegschaft auf über 12 000 Mitarbeitende einher. «Vor diesem Hintergrund waren wir aus meiner Optik für die Herausforderungen der Zukunft nicht mehr optimal aufgestellt», erklärt Wehrli. Deshalb hat er 2016 seine «People & Culture»-Abteilung, wie das HR global heisst, umgebaut und für jeden Landesteil Bereichsleiter geschaffen. Ebenso eine separate Projektstelle, die HR-Projekte vorantreibt. «Damit die Projekte auch dann nicht stagnieren, wenn wir wieder ein grosses Mandat gewinnen und die Prioritäten auf dessen Implementierung setzen müssen.» 

Null Todesfälle, null schwere Unfälle

In seiner täglichen Praxis ist Wehrli auch operativ tätig, indem er beispielsweise bei Rekrutierungen den HR-Lead übernimmt. Zudem ist er Mitglied verschiedener Projektteams. Branchenbedingt ist für Wehrli die Arbeitssicherheit ein Dauerthema und eine Herausforderung, die ihn auf Trab hält: «Wir befinden uns in einem Geschäft, das eine gewisse Unfallgefährdung aufweist. Wir beschäftigen 12 000 Leute in der Schweiz, die landesweit in den von uns betreuten Objekten tätig sind. Es ist unsere Aufgabe, sicherzustellen, dass sich alle jederzeit der Risiken bewusst sind.» Natürlich gebe es dazu Richtlinien und Checklisten. Damit im Alltag aber jeder Einzelne daran denkt, hat ISS die «Vision 100» ins Leben gerufen. Ziel dieser Vision: Die Nummer eins der Branche im Bereich Arbeitssicherheit zu sein – mit null Todesfällen und null schweren Unfällen. «Letztes Jahr haben wir die Vision erreicht – aber wir wollen nichts dem Zufall überlassen.» Um dieses Ziel zu erreichen, arbeiten Wehrli und sein Team an verschiedenen Massnahmen. Beispielsweise werden Führungskräfte kontinuierlich mittels

E-Learning geschult. Für die Mitarbeitenden finden zu verschiedenen Themen Safety Days statt. Eine Herausforderung bei der Information und Schulung der Mitarbeitenden besteht darin, diese überhaupt zu erreichen, da die meisten in der ganzen Schweiz verteilt sind und viele nicht an einem Arbeitsplatz mit Computer arbeiten. ISS prüft deshalb verschiedene Lösungsansätze. Zum Beispiel, via Smartphone mit ihren Leuten zu kommunizieren und mit regelmässigen Push-Nachrichten deren Sensibilität zu steigern. «Das Projekt ist noch nicht spruchreif, aber hochspannend», sagt Wehrli. «Eine echte Herausforderung.»

Zur Person

Seine berufliche Karriere startet Remo Wehrli (41) mit einer kaufmännischen Lehre bei der Jean Frey AG – damals Hauptverlegerin von Titeln wie «Beobachter», «Bilanz», «Weltwoche», «Bolero» und «Sport». Nach seiner Ausbildung arbeitet Wehrli zwei Jahre in der Anzeigenadministration der Wochenzeitung «Sport». Sport ist denn auch seine grosse Leidenschaft und er beginnt, professionell Eishockey zu spielen. Parallel dazu arbeitete er Teilzeit in einem Behindertenheim im kaufmännischen Bereich. Es folgt der Einstieg ins HR bei der Krankenkasse CSS. Nach gut drei Jahren wechselt Wehrli zur SV Group, wo er knapp zwölf Jahre bleibt, sich vom Assistent zum HR-Direktor hinaufarbeitet und sieben Jahre lang das HR leitet. Seine nächste berufliche Station ist die Hochschule ZHAW, wo er 17 Monate lang HR-Leiter ist, bis er im Dezember 2014 zu ISS wechselt und den Posten als Direktor «People & Culture» übernimmt. Wehrli ist Vater von zwei Kindern und lebt im Zürcher Oberland.

Verschiedene Arbeitswelten am neuen Hauptsitz

Ebenfalls hochaktuell ist für Wehrli das Thema neue Arbeitswelten. ISS Schweiz verlegt ihren Hauptsitz per September 2017 in ein neues Gebäude am Bahnhof Altstetten. Zurzeit ist das Projektteam, zu dem auch Wehrli gehört, mit der Gestaltung der neuen Büroräumlichkeiten beschäftigt. Es gab und gibt viele Fragen zu klären: «Wie gestalten wir unsere Flächen? Wie sitzen wir? Was für Möbel haben wir? Wie gehen wir damit um, dass es am neuen Hauptsitz weniger Parkplätze gibt?» Manche der Fragen sind noch unbeantwortet, anderes war schon früh klar: «Wir werden versuchen, die Räumlichkeiten aufzulockern und verschiedene Welten zu schaffen: Ruhezonen, Arbeitszonen, Begegnungszonen …» Unterstützung dabei bekommt ISS von ihrer Tochterfirma Signal aus Kopenhagen, die auf neue Arbeitsformen sowie Workplace-Management und Workplace-Design spezialisiert ist – und erst kürzlich von ISS übernommen wurde.

Wehrli ist beim Projekt für die Kommunikation mit den Mitarbeitenden zuständig. Er möchte diese nicht nur laufend informieren, sondern ihnen auch die Möglichkeit geben, sich einzubringen: «Wir haben alle Abteilungsleitenden aufgefordert, bei ihren Teams Wünsche und Erwartungen abzuholen.» Eine Erwartung sei zum Beispiel gewesen, dass man Rückzugsorte hat, die man nun in Form von insgesamt 36 «Quiet Boxen» realisieren wird. «Die Dusche ist ein anderes Bedürfnis, das unsere Sportlerinnen und Sportler geäussert haben und das wir nun umsetzen werden.» Aktuell kommuniziert das Projektteam per Pinnwand mit den Mitarbeitenden über Projektstand, Wünsche und offene Fragen. «In der Cafeteria hängen wir all unsere Pläne und den aktuellen Stand aus. Unsere Kolleginnen und Kollegen können via Post-it ihre Fragen und Inputs formulieren. Diese beantworten wir im Rahmen eines umfassenden Q & A.»

Inspiration von aussen

Für die eigene HR-Praxis erhält ISS immer wieder Inspiration von anderen Unternehmen – und dies auf verschiedenen Ebenen. Einerseits profitiert das «People & Culture»-Team von ISS viel vom Kontakt mit den verschiedensten Personalabteilungen auf Kundenseite. Gerade hat Wehrli beispielsweise für den anstehenden Umzug ein Treffen mit der Projektleiterin gehabt, welche die SBB im Jahr 2014 während der Verlegung ihres Hauptsitzes betreut hatte. Auf der anderen Seite bekommen auch die ISS-Mitarbeitenden naturgemäss einen tiefen Einblick in andere Unternehmen. «Dadurch kommen wir mit sehr vielen unterschiedlichen Unternehmenskulturen in Berührung», so Wehrli. Diese verschiedenen Kulturen gelangen in Form von Ideen und Inputs zu ISS: «Wenn unsere Mitarbeitenden etwas sehen beim Kunden, das sich positiv auf unsere Kultur auswirken könnte, sind sie angehalten, das auch einzubringen.» Besteht bei so vielen Kulturen nicht die Gefahr der Verzettelung? Remo Wehrli verneint: «Unsere Mitarbeitenden werden als ISS-Mitarbeitende wahrgenommen. Aber auch als Teil des Unternehmens, bei dem sie im Einsatz sind. Sie fühlen sich teilweise sehr stark zu zwei Firmen zugehörig.» Das sei erwünscht. «Wir wollen, dass unsere Mitarbeitenden den Kunden und seine Bedürfnisse verstehen und sich in ihn hineinversetzen.»

Was aber, wenn die Mitarbeitenden sich noch gar nicht der ISS zugehörig fühlen, weil sie beispielsweise gerade erst übernommen werden? «Oft ist es so, dass wir bei einem Mandatsgewinn Mitarbeitende übernehmen dürfen», bestätigt Wehrli. «In dieser Phase arbeiten wir sehr nah mit der HR-Abteilung des Kunden oder des ehemaligen Providers zusammen.» Dies sei zentral, um den Mitarbeitenden, die übernommen werden, einen guten Einstieg zu ermöglichen. «Wir brauchen Daten, wir brauchen Unterstützung, wir brauchen Räumlichkeiten.»

In den allermeisten Fällen könne man sich auf eine gute Partnerschaft verlassen, weil das HR, das die Leute abgibt, wie auch ISS das gleiche Ziel verfolgen: «Den Personen, welche die Übernahme betrifft, eine gute Zukunft zu ermöglichen.» Den Ängsten und Unsicherheiten begegnet Wehrli, «indem wir offen informieren – vom ersten Tag an – wenn irgendwie möglich gemeinsam». Die Mitarbeitenden sollten spüren, dass sie nicht alleine sind: «Sie sollen sehen: Da gibt es jemanden, der sie abgibt – aber auch jemanden, der sie auffängt. Wir möchten, dass sich die neuen Personen vom ersten Tag an willkommen fühlen.» Eine weitere Schwierigkeit bei Übernahmen sei das kulturelle Thema: «Die Mitarbeitenden verlassen die eine und kommen in eine andere Unternehmenskultur.» Auch das bringe Unsicherheit. «Manchmal auch das Gefühl von Verlust.» Hier sei es wichtig, den neuen Kolleginnen und Kollegen die neuen Perspektiven aufzuzeigen, die sie bei ISS erhalten. «Zum Beispiel, dass sie bei uns als Techniker zum Core-Business gehören und damit diverse Möglichkeiten haben, sich weiterzuentwickeln – während sie vielleicht vorher beim Kunden sehr isoliert agierten.»  Auch der Lohn könne eine Schwierigkeit sein.

In aller Regel gebe es eine Übergangsfrist, wo der Besitzstand garantiert bleibe. Ab einem gewissen Datum würden dann die Konditionen der ISS gelten. «Die müssen nicht zwingend schlechter sein», so Wehrli. Dennoch komme es immer wieder vor, dass neue Mitarbeitende Reduktionen in Kauf nähmen «und sich bei uns trotzdem sehr wohl fühlen, weil sie auch die Chancen erkennen – etwa in Form spezifischer Weiter­bildungen».

ISS vereint Mitarbeitende aus 114 Nationen. «Das gehört zu unserem Geschäft, es gehört zu unserer Branche, es gehört zu uns. Uns ist egal, woher unsere Mitarbeitenden kommen», betont Wehrli. «Die Qualifikation und das Menschliche müssen stimmen.» So funktioniere dann auch die Zusammenarbeit der unterschiedlichsten Menschen «so gut, wie es funktioniert, wenn Menschen zusammenarbeiten».

HR-Kritik kontern

Sich selbst sieht Remo Wehrli als empathische Führungskraft. Er möchte gegenüber seinen Leuten als «guter Sparringpartner» auftreten. Er habe in den vergangenen 19 Jahren HR gelernt, Ruhe und Humor zu bewahren. «Es gibt immer Probleme, die grösser sind als die, vor denen wir gerade stehen», so Wehrli. «Das versuche ich zu zeigen. Nicht als Clown, sondern als Ansprechpartner, der seinen Humor auch in der Hektik nicht verliert.» Wehrli ist auch selbstkritisch: «Manchmal dürfte ich in der Zusammenarbeit mit anderen Menschen noch präziser herunterbrechen, welche Erwartungen und Vorstellungen ich im Kopf habe.» Und: «Ich möchte mehr auf mein Bauchgefühl hören.»

Es ist sein Ehrgeiz, dafür zu sorgen, «dass die richtigen Leute am richtigen Ort sind. Mit der richtigen Ausbildung, der richtigen Einstellung». Insofern verstehe er sich als Schnittstelle zwischen Mensch und Unternehmen – stets mit wirtschaftlicher Orientierung. So habe «People & Culture» aus seiner Sicht sehr viele Möglichkeiten, das Unternehmen vorwärtszubringen. Natürlich gebe es auch Schattenseiten im HR und schwierige Situationen «wie Entlassungen oder Härteentscheide». Wehrli versucht in solchen Situationen, «das Optimum zu erzielen – im Wissen, dass wir es nie schaffen werden, dass alles nur positiv wird».

Auch die Tatsache, dass der Stellenwert von HR immer wieder hinterfragt wird, weckt in Wehrli keinesfalls Resignation, sondern Ehrgeiz. «Man kann ja das Gegenteil beweisen», so Wehrli. Sein Konter, wenn HR belächelt wird: «Wir im HR haben eine Rolle, in der wir dazu beitragen können, dass das Unternehmen langfristig Erfolg hat. Wie müssen Konzepte liefern, die Hand und Fuss haben. Wir administrieren und verwalten nicht nur, sondern gestalten, prägen, entwickeln. Wir hinterfragen die Linie und fordern sie heraus. Wir möchten ein Partner sein, den die Linie bei ihren Entscheidungen dabeihaben will. Wenn man das schafft, wird man auch nicht belächelt.» Wo sieht sich Wehrli in fünf Jahren? Er schmunzelt: «Falls ich nicht im Lotto gewinne, immer noch in der gleichen Rolle bei ISS.»

Remo Wehrli ist in Kloten aufgewachsen. «Seit ich mich erinnern kann, habe ich Eishockey gespielt.» Nach den Kinderjahren in Kloten wechselte er als Jugendlicher zunächst zum ZSC, danach in die Erstliga nach Dübendorf, darauf zu Rapperswil, wo er in der Nati A spielte. Heute spielt er immer noch Eishockey beim Team Rössli und bei den Bachtel Ranchers – zwei Plauschmannschaften. «Mit Begeisterung», sagt er und seine Augen leuchten. «Heute Abend ist der nächs­te Match – um halb zehn in Rapperswil.»

ISS Schweiz

1967 gegründet, beschäftigt ISS Schweiz heute über 12 000 Mitarbeitende und ist mit 36 Niederlassungen schweizweit und im Fürstentum Liechtenstein flächendeckend vertreten. 2016 erzielte das Unternehmen einen Gesamtumsatz von 769 Millionen Franken. ISS Schweiz ist eine Tochtergesellschaft der weltweit führenden ISS Gruppe mit Hauptsitz in Kopenhagen. Die Gruppe zählt mit rund 500 000 Mitarbeitenden weltweit zu den vier grössten privaten Arbeitgebern und ist auf fünf Kontinenten in über 50 Ländern tätig.

 

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