Nordlicht
Jana Dreyer ist seit Mitte Jahr Leiterin HR beim Kaufmännischen Verband Schweiz, der mit 48 000 Mitgliedern eine der grössten Berufsgruppen repräsentiert. Für Dreyer Grund genug, in der Gestaltung der Arbeitsbedingungen nicht nur für die rund 90 Angestellten eine Vorbildrolle anzustreben.
Jana Dreyer, HR-Leiterin, Kaufmännischer Verband Schweiz: «Auch wenn wir eine kleine Organisation sind, müssen wir als Kaufmännischer Verband betreffend Arbeitsbedingungen eine Vorbildrolle einnehmen.»
Die frischgebackene HR-Leiterin Jana Dreyer hat die Gabe, Gäste auf gewinnende Weise zu empfangen. Zum Auftakt führt sie den Besucher geradewegs zur Pforte beim Eingang, wo hinter einer Glastür der neue CEO Christian Zünd im Mai 2016 sein Büro bezogen hat: «Damit er alle kommen und gehen sieht», witzelt Dreyer. Ob er etwas zu seiner HR-Chefin anmerken möchte? – «Ich habe sie abgeworben, das sagt wohl alles», erklärt Zünd, der den CEO-Posten übernommen hat, nachdem er von 2005 bis 2015 als Generalsekretär bei der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich die Geschäfte verantwortet hatte. Da war ihm offenbar auch das Talent von Jana Dreyer aufgefallen, die 2013 als Personalfachverantwortliche zum HR gestossen war, in kurzer Zeit ein breites Spektrum von Aufgaben übernommen hatte und bald auch ins Kadernachwuchsprogramm des Kantons Zürich aufgenommen wurde. «Das KNF-Programm hat mich für meine eigenen Karrierewünsche sensibilisiert. Als sich beim Kaufmännischen Verband Schweiz die Chance eröffnete, eine Führungsaufgabe mit mehr Verantwortung und Gestaltungsspielraum zu übernehmen, habe ich sie ergriffen», erklärt Dreyer.
Verschachtelte Strukturen
«Ich habe den Vorteil, dass das HR von meinem Vorgänger sehr gut aufgestellt wurde und die Mitarbeitenden bereits jetzt – beispielsweise durch unsere Personalkommission – in Entscheidungen involviert werden. Das ist eine gute Basis und auch einer der Gründe, warum ich diese Funktion gerne übernehmen wollte», erklärt Dreyer, während sie den Gast von der CEO-Pforte bis zur spektakulären Roof-Top-Kantine mit Seeblick durchs Haus führt und dabei die verschiedenen «Welten» erlebbar macht, die sie zu betreuen hat. Diese reichen von der Spedition mit einem imposanten Lager an Lehrmitteln und Prüfungsunterlagen über die als eigenständige Profitcenter assoziierten Aktiengesellschaften examen.ch, dem Prüfungsportal für die eidgenössischen Prüfungen, sowie dem Verlag SKV, der Lehrmittel und Fachbücher verlegt, bis hin zu den verschiedenen Verbandsservice-Abteilungen inklusive Mitgliederberatung, Rechtsdienst, Finanzen, Marketing und Kommunikation. Die Struktur des Verbandes und der angeschlossenen Organisationen, wozu auch die Weiterbildungsinstitutionen HWZ und SIB gehören, ist komplex und verschachtelt und will obendrein auch mit über zwanzig regionalen Sektionen abgestimmt sein, die auf ihre eigene Tradition und Eigenständigkeit stolz sind. «Ich schätze die Vielfalt und Qualität der Aufgaben, die sich für das HR in unserer Expertenorganisation ergeben. Ich arbeite für und mit Menschen, die sich täglich mit bildungs- und berufspolitischen Fragen auseinandersetzen, sich in der Sozialpartnerschaft für zeitgemässe Arbeitsbedingungen einsetzen, unsere Mitglieder in Lohn- und Rechtsfragen sowie zu ihrer beruflichen Laufbahn beraten oder psychologische Hilfe leisten.» Dabei bewege sich der Verband in einem äusserst spannenden Umfeld. «Unsere Mitglieder sind im kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen Umfeld mit grossen Veränderungen konfrontiert, da die Digitalisierung und Plattformwirtschaften zu neuen Arbeitsmodellen führen.» In diesem Kontext habe der Verband die Aufgabe, Orientierung zu bieten – sei es in Bezug auf Weiterbildung oder die sich verändernden Berufsbilder. Die Erwartungen an die Personalarbeit im eigenen Betrieb seien deshalb besonders hoch. «Wir versuchen, die Empfehlungen bezüglich Lohn oder Arbeitsbedingungen, die wir auch an andere Arbeitgeber stellen, bei uns bestmöglich zu leben und umzusetzen. Auch wenn wir eine kleine Organisation sind, müssen wir als Kaufmännischer Verband betreffend Arbeitsbedingungen eine Vorbildrolle einnehmen.»
Jana Dreyer will ihre neue Aufgabe mit Bedacht angehen: «Ich möchte zunächst einmal die Mitarbeitenden und ihre Tätigkeiten näher kennenlernen, ihr Vertrauen gewinnen und verstehen, was ihnen wichtig ist.» Im HR sei man geneigt zu meinen, man wisse schon, was für den Betrieb wichtig ist. «Ich möchte gerne in Ruhe herausfinden, wo Handlungsbedarf besteht. In einem Bereich erkenne ich diesen bereits jetzt. Ich möchte die HR-Prozesse für die sehr verschiedenen Bereiche mit ihren unterschiedlichen Kulturen und Funktionen so gestalten, dass sie für alle passen.» Zudem ist sie überzeugt, «dass die Themen interne Kommunikation, Wissensmanagement und Zusammenarbeit zukünftig technisch anders gemeistert werden müssen». Mit neuen Kommunikations- und Kollaborationsplattformen habe sie sich bereits beim Kanton beschäftigt und würde solche Lösungen gerne auch beim Kaufmännischen Verband fördern.
Jana Dreyer
Jana Dreyer (39) ist als Tochter eines Kaufmann-Ehepaars und älteste von drei Schwestern in Deutschland aufgewachsen. Nach dem Abitur verlegt sie ihren Lebensmittelpunkt nach Berlin, wo sie Erziehungswissenschaften studiert, bevor sie als Leiterin der Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft tätig wird. 2008 zieht sie nach einer mehrjährigen Fernbeziehung mit einem Schweizer nach Zürich. Sie findet in der Eventbranche einen Job als kaufmännische Sachbearbeiterin, wo sie erste HR-Aufgaben übernimmt. Berufsbegleitend absolviert sie eine Weiterbildung zur Personalassistentin und HR-Fachfrau. Im Departement Schule und Sport der Stadt Winterthur erhält sie 2011 die Chance, als Personalassistentin einzusteigen, und wird wenig später zur Personalverantwortlichen ernannt. 2013 tritt Jana Dreyer bei der Justizdirektion des Kantons Zürich eine Stelle als Personalfachverantwortliche an und wird ins Kadernachwuchsprogramm des Kantons Zürich aufgenommen. Mitte 2016 wird ihr der Posten als HR-Leiterin beim Kaufmännischen Verband Schweiz angeboten. In ihrer Freizeit fotografiert Dreyer leidenschaftlich und engagiert sich ehrenamtlich als Sitznachtwache in Altersheimen.
Blitzkarriere mit Bodenhaftung
Die gebürtige Deutsche, die zwischen Ostfriesland, Hamburg, Hannover, Frankfurt und Düsseldorf an diversen Orten Nordwestdeutschlands aufgewachsen war, war früh gewohnt, sich immer wieder offen auf neue Orte, Menschen und Milieus einzulassen. Ihre HR-Karriere startete sie mit dem Umzug in die Schweiz vor acht Jahren. «Mein Partner ist Schweizer und wir haben einige Jahre eine Fernbeziehung zwischen Zürich und Berlin geführt, was wir auf Dauer natürlich nicht wollten.»
2008 zog sie in die Schweiz und gab dafür den lieb gewonnenen Job bei der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft auf. «Ich wäre notfalls auch putzen gegangen, um in der Schweiz mein eigenes Geld zu verdienen, habe damals aber bei einer kleinen Firma in der Eventbranche einen Job gefunden.» Neben der kaufmännischen Tätigkeit im Büro arbeitete sie als Allrounderin auch als Funkoperateurin an der Front verschiedener Grossveranstaltungen wie dem FIS-Ski-Weltcup, an der Street Parade oder an Openairs. «Auf solchen Events sind 14-Stunden-Einsätze normal, Nacht- und Sonntagsarbeit sowieso.» Verglichen mit ihrer vorherigen Tätigkeit im akademischen Umfeld in Berlin, wo sie an der Schnittstelle zwischen operativem Geschäft und Forschung tätig war, hätten die eher hierarchisch geprägten Arbeitsbedingungen im KMU-Umfeld bei ihr viele Gedanken zum Thema Arbeitswelten und Arbeitskultur ausgelöst.
«Ich habe intensiv darüber nachgedacht, was meine eigene, aber auch generell die Arbeitszufriedenheit von Arbeitnehmenden beeinflusst und welche Rahmenbedingungen benötigt werden, um gute Leistungen zu bringen und Freude an der Arbeit zu haben», erinnert sich Dreyer. Die Firma war zunächst zu klein für eine eigene HR-Abteilung und das Personal wurde nebenbei vom Finanzbuchhalter administriert. Mit der Expansion eröffnete sich für Jana Dreyer die Möglichkeit, mehr Aufgaben im Personalwesen zu übernehmen. «Also habe ich mich auf dem Weiterbildungsmarkt nach einem praxisnahen Lehrgang umgesehen und ihn mit dem Zertifikatslehrgang Personalassistentin und darauffolgend mit einer Weiterbildung zur HR-Fachfrau gefunden.» Damit war der Grundstein für ihre weitere berufliche Laufbahn im HR-Bereich gelegt.
Nach kurzer Jobsuche trat Jana Dreyer 2011 frisch ausgebildet ihre erste «echte» HR-Stelle als Personalassistentin im Departement für Schule und Sport der Stadt Winterthur an und stieg bereits nach acht Monaten zur Personalverantwortlichen auf. «Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort und hatte das Glück, dass meine Vorgesetzte mein Potenzial erkannte und meine Entwicklung förderte. Hinzu kam, dass auch meine Kolleginnen meine Beförderung befürworteten, was mich im Entscheid sehr bestärkte.» Als grösste Herausforderung habe sie damals erlebt, wenn Mitarbeitende – insbesondere solche mit niedrigen Qualifikationen oder höheren Alters – aufgrund von Krankheit längere Zeit ausfielen und nicht wieder in den Arbeitsprozess integriert werden konnten. «Ich habe seitens HR versucht, diesen Mitarbeitenden respektvoll und wertschätzend zu begegnen, ihnen nichts vorzumachen und sie in ihrer Handlungsfähigkeit zu unterstützen.»
Erfrischend sozialer Nachtmensch
Woraus zieht sie ihre Motivation in der HR-Arbeit? «Meine grössten Highlights sind vermeintlich kleine Dinge, die sich vor allem in den Rückmeldungen der Menschen zeigen, mit denen ich zusammenarbeite.» Als Erfolg verbuche sie etwa den Dank und das Feedback von abgelehnten Bewerberinnen und Bewerbern, «für die ich mir am Telefon 20 Minuten Zeit nehme, um zu erläutern, warum sie es im Rekrutierungsprozess nicht weiter geschafft haben und was sie zukünftig besser machen könnten».
Dass Jana Dreyer eine ausgeprägte soziale Ader besitzt, zeigt auch ihr ehrenamtliches Engagement als Nachtwache bei Schwerkranken. «Für mich gehört ehrenamtliches Engagement zu einem erfüllten und sinnvollen Leben», erklärt Dreyer. «Andere engagieren sich in einer Partei, im Fussballverein oder in der Flüchtlingshilfe, ich mich halt rund zweimal pro Monat nachts in Altersheimen.»
Sie habe sich überlegt, was sie besonders gut könne und wer davon profitieren könnte. «Ich bin ein Nachtmensch und komme schnell mit Menschen in Kontakt, kann sie gut beruhigen, beschäftigen oder unterhalten.» Ihre Erfahrungen seien dabei sehr unterschiedlich. «Im Altersheim gehen die Menschen mit dem Altern, den Schmerzen und dem Sterben sehr individuell um.» Erfrischend ergänzt sie: «Ansonsten wälze ich keineswegs die ganze Nacht tiefsinnige Gedanken über Leben und Tod, sondern bin einfach da und versuche, mich auf den Menschen im Bett vor mir einzulassen.»
Nach einer Sitzwache sei sie immer sehr ruhig und auf das Wesentliche fokussiert. «Sorgen aus dem beruflichen Alltag oder auch private Konflikte erscheinen weit weniger gravierend als vorher und ich verspüre danach häufig eine grosse Dankbarkeit für mein privilegiertes und relativ unbeschwertes Leben.»
Kaufmännischer Verband Schweiz
Der Kaufmännische Verband Schweiz ist die grösste schweizerische Berufsorganisation der Angestellten in Büro und Verkauf sowie verwandter Berufe. Als Kompetenzzentrum für Bildung und Beruf berät und informiert der Verband die rund 48 000 Mitglieder zu Fragen rund um ihre berufliche Laufbahn. Über die angeschlossenen Schulen bietet er auch praxisnahe Aus- und Weiterbildungen an und ist (Mit)träger verschiedener Berufs- und Fachprüfungen.