HR Today Nr. 11/2021: Schwerpunkt – Pandemie: Ausblicke

Es gibt kein Zurück

Die Pandemie hat die Arbeitswelt verändert. Man kann sich darüber beklagen oder sich anpassen. Ein Plädoyer für eine optimistische Zukunft mit sieben Handlungsfeldern.

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel: Eine alte Fussballweisheit, die auch für das Arbeitsleben nach der Pandemie gilt. Wir können vergessen und zum gewohnten Trott zurückkehren oder von unseren Erfahrungen profitieren. In die Krise hineinkatapultiert, haben wir Tragödien und Highlights erlebt, uns von Krisensitzung zu Krisensitzung gekämpft, mal verloren, mal gewonnen. Hier sieben Wegweiser, die in die Zukunft zeigen.

1. New Deal: Homeoffice organisieren

Homeoffice eignet sich nicht nur für geübte Büroflüchtlinge mit Spezialbewilligung. Es gehört auch zum Mainstream. Kosteneinsparungen sind garantiert: CO2 wird reduziert, Arbeitswege entfallen und die Zeit des Mitarbeitenden wird effizienter genutzt. Im Homeoffice drohen jedoch soziale Vereinsamung in der Selbstisolation und Verlust der emotionalen Bindung ans Unternehmen: Kommunikationszombies verlieren vor den Bildschirmen analoge Orientierungspunkte. Firmen sind gezwungen, das Arbeiten von zu Hause aus der krisenbedingten Improvisation in den Alltag zu überführen, und erlassen deshalb Homeoffice-Regeln. Dabei wechselt die Perspektive. Haben wir uns früher vorwiegend um Absenzen gekümmert, gilt es jetzt, die Präsenz gut zu organisieren.

2. New Place: Büro ist nicht mehr Büro

Leere Büroräume mit aneinandergereihten Arbeitstischen gehören zum Alltag. Ein Bildschirm und ein Schreibtisch sind für viele Arbeitnehmende kein Grund mehr, ins Büro zu gehen. Gefragt sind Erlebnisorte, die inspirieren und begeistern, damit die Unternehmensmarke und der Unternehmenssinn erlebbar werden. Das Büro der Zukunft? Eine Mischung aus Flagship-Store, Makerspace und Hipstercafé mit offenen Räumen, Werkstätten und Workshopräumen. Das haben Techkonzerne schon länger vorgelebt, nun ahmen es andere Firmen nach: Büros haben als Ziel, ­Mitarbeitende an einem Ort zusammenzuführen. Für produzierende Betriebe oder Gesundheitsdienstleister sind diese Erlebnisbüros aber kaum ein Thema. Nicht zu vergessen ist auch, dass es Menschen gibt, die das Büro einfach lieben. Wie auch immer Büroflächen gestaltet werden: Der neue Umgang mit Raum und Arbeit wird im Employer Branding eine grosse Rolle spielen.

3. New Health: Gesund bleiben

Ein Burnout eines Mitarbeitenden über einen Bildschirm zu erkennen, ist ziemlich schwer. Gleiches gilt bei Suchtverhalten oder Pausenverweigerung. Fakt ist, dass in der neuen Arbeitswelt die Fürsorgepflicht des Arbeitgebenden auf dem Prüfstand steht: Einsamkeit und Stress durch fehlende Trennung von Arbeit und Freizeit führen zu einer stärkeren psychischen Belastung der Beschäftigten. Wer weniger häufig ins Büro pendelt, erleidet aber auch weniger Unfälle. Zudem können sich viele Mitarbeitende zu Hause gut gesund halten, weil sie über die Zeit mit Homeoffice besser umzugehen wissen. Das Gesundheitsmanagement muss das Thema dennoch angehen. Noch unterschätzen Unternehmen diese Tatsache kolossal, obschon hier ein neues grosses Handlungsfeld entsteht.

4. New Work: Neue Selbstverständlichkeiten

Covid ist ein Beschleuniger von New Work. Neue Methoden, Digitalisierung, neue Arbeitsformen und neues Arbeitsdenken. Mittendrin die ­Mitarbeitenden, die sich nur wenig für die neuen technologischen Möglichkeiten begeistern und sich häufig verloren fühlen. Doch die neuen Selbstverständlichkeiten bleiben. Statt eines physischen Meetings ein Videocall. Brainstorming auf dem virtuellen Whiteboard und digitale Kanban Reviews. Dem gegenüber stehen Firmen, die ein «Zurück ins Büro!» oder «Jetzt arbeiten wir wieder mal normal» fordern. Die neuen Selbstverständlichkeiten werden sich trotzdem etablieren. Bei der Rekrutierung von gesuchten Fach- und Führungskräften wird New Work zum Unterscheidungsfaktor, um den kaum jemand herumkommt.

5. New Organisation: Kreise statt Kästchen

Neue Arbeit ruft nach neuen Organisationsformen. Hierzu sind agile Formate gefragt. Beispielsweise kollegiale Führung statt hierarchische Anordnungen. Kompetente Teams statt kompetente Chefs. Dadurch werden Entscheide und Verantwortung dorthin delegiert, wo die grösste Wertschöpfung entsteht. Die vergangenen Monate haben die Grenzen hierarchischer Organisationen deutlich aufgezeigt: Unternehmen haben gemerkt, dass sie Verantwortung delegieren können. Wenn nicht jetzt, wann dann soll eine agile Organisation eingeführt werden?

Nicht alle Firmen werden sofort umstellen: Nach der Rückkehr ins Büro sollen die Mitarbeitenden nicht schon wieder verunsichert werden. Man ist einfach froh, dass Ruhe einkehrt und nicht noch die Organisation umgekrempelt wird. Zudem ist in der Organisationsentwicklung die Bereitschaft eher tief, wirklich Neues zu wagen. Nicht nur auf Führungs-, sondern auch auf Mitarbeiterebene gibt es wenig Anzeichen zum Willen, die gerade zurückgewonnene Komfortzone zu verlassen.

6. New Spirit: Antifragilität ist die Steigerung von Resilienz

Auf Resilienz folgt Antifragilität. Dabei geht es nicht nur darum, Krisen zu überleben, sondern auch, sie zu nutzen, um eigene Stärken auszubauen. Dynamisch aufgestellte Unternehmen, die in der richtigen Branche waren, haben die letzten Monate kräftig profitiert.

Ausschlaggebend dafür waren Leitungsteams, die ihr Geschäftsmodell auch während der Pandemie mit grosser Freude und Neugier hinterfragt und vorangetrieben haben. Die nächste Krise kommt bestimmt: Wir tun deshalb gut daran, Führungskräfte in Antifragilität zu schulen, von Beispielen zu lernen und unser Unternehmen nicht nur krisenfest zu machen, sondern mit Sturmsegeln auszustatten.

7. New Leadership: Die Suche nach dem Katalysator

Die Pandemie erwies sich für Chefs als Prüfstein. Führen auf Distanz war gefragt. Zudem sammelten viele Führungskräfte erstmals Erfahrungen mit «Servant Leadership» und Coaching. «Kommandieren, kontrollieren und korrigieren» funktionierte in der Krise nicht. Führungskräfte finden sich deshalb neu in der Rolle des Katalysators und Kompetenzentwicklers. Achtsame HR-Teams werden sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die Führungskultur neu auszurichten. Ins Büro kommen aber auch alte Muster zurück. Das ist nur zu menschlich. Die Flucht in alte Rollenverhalten ist der grösste Bremser eines zeitgemässen Führungsverständnisses. Aufgrund ihrer Erfahrungen sind Führungskräfte für neue Ansätze in Sachen Leadership empfangsbereit. Diesen Ball gilt es jetzt zu spielen.

Fazit

Viele Unternehmen kehren zum Alltag zurück. Eine Homeoffice-Regelung ist zwar unumgänglich, aber war es das schon? Jede Geschäftsleitung sollte im Sinne einer echten Auseinandersetzung mit der Pandemie eine Retrospektive durchführen: Was haben wir gut gemacht? Was haben wir gelernt? Wo gibt es noch Potenzial? Was bedeutet das für eine kommende Krise und was für unseren Alltag? Die Erfahrung ist noch frisch. Und damit auch die Möglichkeit, diese positiv zu nutzen.

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Christoph Jordi war Marketing-Chef der Winterthur Versicherungsgruppe und Kadermitglied des AXA-Konzerns in Paris. 
Als Gründer der Beratungsfirma «Dodifferent» entwickelte 
er den neuen Kurs zum «Certified Employer Branding Expert SIB». dodifferent.com

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