Fehlermachen erlaubt
Wer über das Scheitern spricht, muss auch über die Start-up-Szene in der Schweiz sprechen, denn zahlreiche Neugründungen überleben die ersten Jahre nicht. Eine Tatsache, die Tobias Reichmuth und Anja Graf, Unternehmer sowie Protagonisten des Start-up-Fernsehformats «Die Höhle der Löwen» nicht davon abhält, in exakt solche Unternehmen zu investieren.
HR Today Nr. 9/2019: Fehlerkultur. Fehler machen, daraus lernen und wie der Phönix aus der Asche auferstehen. (Bild: 123rf)
Nach mehr als fünf Jahren ist höchstens noch eines von zehn Start-ups im Rennen, zeigt eine Studie der Venture-Capital-Datenbank «CB Insight». Die häufigsten Gründe sind eine fehlende Marktnachfrage (42 Prozent), gefolgt von unzureichenden Finanzierungsmitteln (29 Prozent) sowie das falsche Team (23 Prozent). Trotz dieses Fakts bleiben Start-ups ein interessantes Geschäft. «Bei einer Investition kann ich nicht nur 100 Prozent verlieren, sondern auch 1000 Prozent gewinnen», betont Unternehmer Tobias Reichmuth, der als Jurymitglied im Start-up-Fernsehformat «Die Höhle der Löwen» sitzt und Menschen mit Geschäftsideen mit dem benötigten Investitionskapital sowie Fachwissen unterstützt.
«Wenn nur ein Start-up richtig erfolgreich wird, sind viele Abschreiber auf einen Schlag amortisiert», bestätigt «Mit-Löwin» und Unternehmerin Anja Graf. So steige bei erfolgreichen Start-ups der Unternehmenswert in den Anfangsjahren oft stark an. «Das gibt mir die Chance, meinen Investmentbetrag zu vervielfachen. Aber natürlich besteht auch das Risiko, dass Start-ups im ersten Jahr scheitern – deshalb ist es unumgänglich, das Unternehmen, seine Produkte und den Markt vor einem Investment gründlich zu prüfen.»
Start-ups in den Sand setzen
Um zu erkennen, ob ein Projekt funktioniert, braucht es somit mehr als nur den richtigen Riecher. Dabei nehmen Reichmuth und Graf vor einem Investment vor allem das Team genauer unter die Lupe. «Der wichtigste Faktor ist und bleibt der Mensch», betont Graf. Für Reichmuth sind die essenziellen Fragen: «Wer ist im Team? Wie sind die Leute incentiviert? Werfen sie alles, was sie haben, in den Ring?» Das Geschäftsmodell müsse zudem skalierbar sein: Sei ein grösseres Wachstum der Unternehmertätigkeiten trotz tollem Produkt von Anfang an auszuschliessen, komme eine Investition nicht in Frage. Doch entgegen aller Vorsicht, sei niemand vor dem Scheitern gefeit. «Auf die Nase zu fallen, gehört dazu», sagt Reichmuth.
Auch Graf kennt Niederlagen. So sei sie mit ihrer Modelagentur «zwischen Küchengerät-Präsentationen und Oktoberfest-Ambiente» zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Rückblickend habe sie gelernt, dass eine Idee nicht immer funktioniere, sich aber andere Türen öffnen können. «Im Gespräch mit meinen Models habe ich beispielsweise herausgefunden, dass bezahlbare, möblierte Apartments enorm schwierig zu finden sind. Darum habe ich begonnen, diese Dienstleistung selber anzubieten. Als externe Firmen Interesse zeigten, war die Geschäftsidee geboren.»
Die Erkenntnis, dass es nach dem Scheitern weitergeht, sei eine enorme Bereicherung für die persönliche Entwicklung, findet Graf. Gerade in der Schweiz, wo alles einwandfrei funktionieren und perfekt sein müsse, solle die Hemmschwelle zum Scheitern endlich fallen und Fehler im Betrieb müssten akzeptiert werden. «Das bedeutet nicht, dass wie alle Fehler feiern sollen: Feiern dürfen wir erst, wenn wir etwas daraus gelernt haben.»
Fehler passieren, bringen einen aber weiter, findet auch Reichmuth. Er setzt sich deshalb dafür ein, dass seine Mitarbeitenden von Anfang an Verantwortung übernehmen: «Dadurch erkenne ich, wer dem Unternehmen als Stütze dient. Natürlich passieren auch mal Fehler, aber die Leute werden dadurch viel schneller produktiv und selbständig.» Und das wiederum helfe, dass man als Unternehmer erfolgreich delegieren und sich auf die strategische Entwicklung konzentrieren könne.
Von Start-ups lernen
Scheitern ist also nicht per se negativ. «Nein, als Jungunternehmer ist scheitern durchaus erlaubt – wenn man alles probiert hat und es trotzdem nicht klappt», sagt Reichmuth. Er kenne erfolgreiche Unternehmer, die einmal gescheitert seien, «aber wie Löwen für ihr Start-up gekämpft haben». Doch was kann man ausser gekonntem Scheitern von Start-ups lernen? «Beispielsweise den Optimismus gegenüber Neuem», hält Graf fest. Statt lange zu analysieren und zu diskutieren, werde sofort gestartet und einfach ausprobiert. «Der Mut zum Risiko, zur Innovation, Entscheidungsgeschwindigkeit, Bereitschaft für Kehrtwendungen», ergänzt Reichmuth. Bei vielen erfolgreichen Unternehmen verblasse irgendwann jedoch der Unternehmergeist. «Man beginnt ‹fett› zu werden, ist langsamer, bürokratischer und sichert ab, was man hat, statt in neue Märkte und Geschäftsmodelle zu investieren. Die Agilität von Start-ups zu kopieren ist etwas, das jedem Unternehmen oder Teamleader helfen kann.»
Fehlerkultur bei Start-ups
Doch wie gehen Start-ups mit Fehlern um? Geschäftsführer Raphael Tobler der Bewertungsplattform eduwo gibt dazu Auskunft: «Gerade bei einem Start-up ist es völlig normal, wenn Fehler passieren, weil man es einfach nicht besser weiss. Wo Neues ausprobiert und viel gearbeitet wird, passieren auch mehr Fehler. Da braucht es einfach eine positive Kultur. Bei uns bedeutet das, dass wir im Team über Fehler sprechen und sie reflektieren, damit wir sie beim nächsten Mal nicht wiederholen.» eduwo.chTobias Reichmuth
Anja Graf