Führungskräfte sollen jetzt mehr motivieren? So ein Unsinn!
Regelmässig wird an Führungskräfte appelliert, dem Thema Motivation mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Parallel rechnet uns Gallup jährlich vor, was es kostet, dies nicht zu tun. Empathie, Wertschätzung und Purpose haben in Krisenzeiten Hochkonjunktur. Allerdings gehen diese Ansätze am Kern der aktuellen Herausforderungen vorbei. Echte Lösungen sind das nicht – ganz im Gegenteil.
Ist das Team bereits erschöpft und ausgebrannt, ist der Aufruf nach mehr Motivation fehl am Platz. (Bild: iStock)
Um Missverständnissen vorzubeugen: Es ist für Führungskräfte ein Vorteil, wenn sie als motivierend erlebt werden. Unsere Studien zeigen, dass sie beeindruckende 21 Prozent wahrscheinlicher in ihrer Rolle akzeptiert werden. Allerdings wird damit keine der Herausforderungen gelöst, die unsere krisenbelastete Zeit mit sich bringt. Tragischer noch: Wenn unter Motivation verstanden wird, mit mehr Engagement, Begeisterung und Identifikation zu arbeiten, betreiben wir in diesen schwierigen Zeiten »aktive Burnout-Hilfe«. Schauen wir deshalb genauer hin!
Es gibt keinen unmotivierten Zustand
Um einen der absoluten Klassiker der Kommunikationstheorie zu missbrauchen: Man kann nicht nicht motiviert sein.* Für das, was wir tun, gibt es immer einen Beweggrund. Die relevante Frage ist also nicht, ob wir motiviert sind, sondern wofür wir es sind. Die sogenannten Motivationskünstler puschen uns nur auf. Sie sprechen unsere Fantasie an und erhöhen unseren Adrenalinspiegel. Sie machen uns «trunken». Daher fühlen wir uns einige Zeit danach ausgelaugt und ernüchtert. Für das, was derzeit von uns gefordert wird, nützt dieses Aufputschen nicht.
Warum erhält das Thema Motivation überhaupt eine so massive Aufmerksamkeit? Wenn man ehrlich ist – und vielleicht ein wenig zynisch –, lässt sich die Antwort auf ein einziges Grundproblem herunterbrechen: Jemand tut nicht das, was wir wollen!
Wir tun nicht immer das, was andere möchten
Wenn alle Menschen stets das täten, was wir von ihnen erwarten, würde uns das Thema kaum interessieren. In eingespielten, selbständigen, energiegeladenen und kompetenten Teams taucht die Motivationsfrage selten auf. Anders sieht es in folgenden Fällen aus:
- Das Team ist mit unbekannten Herausforderungen konfrontiert.
- Die Beziehungen untereinander und zur Führung sind gestört.
- Die eigene Verunsicherung lähmt die Initiative.
- Die Batterien sind leer. Es fehlt Zeit und Kraft für viele Dinge.
- Jemand ist fachlich nicht in der Lage, das Notwendige zu tun.
Aus dieser Perspektive wird klar, warum Motivationsprobleme insbesondere in Zeiten von Dauerkrisen und Veränderungen auftauchen. Die Anpassungsfähigkeit der Menschen ist dann (zu) stark gefordert, Konflikte werden häufiger, Widerwille baut sich auf – und die Belastung erschöpft die Betroffenen zunehmend.
Drehen wir in solchen Situationen an der Motivationsschraube, um zu begeistern, zu inspirieren und mitzureissen, erreichen wir auf Dauer nur eins: Wir zwingen die Menschen in den roten Bereich ihrer Energiereserven – und gefährden deren Gesundheit.
Die Brisanz des Resilienz-Gedankens
Es mag Zeiten geben, in denen mehr Einsatz oder die berühmte »Extra-Meile« die entscheidende Wende einleiten. Jetzt ist das nur noch selten der Fall. Zähes Durchhalten führt heute schlicht zu immer häufigeren Ausfällen.
Vor diesem Hintergrund ist der Boom des Resilienz-Ansatzes verständlich. Die Fähigkeit, die eigene psychische Gesundheit auch in schwersten Zeiten aufrechtzuerhalten oder danach schnell wiederherstellen zu können, ist Gold wert. Das Problem: Bei der Schlagzahl an heftigen Herausforderungen in den letzten Jahren schrammt der Resilienz-Appell mittlerweile im Erleben vieler Menschen nahe am Zynismus vorbei. Wie oft kann man denn innerhalb eines Jahres sagen:
- Die Veränderungen in meinem Umfeld kann ich nachvollziehen und akzeptieren.
- Mich ständig an den Wandel anpassen zu müssen, setzt mich nicht unter Druck.
- Ich bin zuversichtlich, von den Veränderungen zu profitieren und habe einen konkreten Plan für die Zukunft.
- Ich kann meine Fähigkeiten gut einschätzen, fühle mich handlungsfähig und tue genug, um Schritt zu halten.
- Mein soziales Umfeld gibt mir in schwierigen Phasen Halt und Kraft.
Wer diesen Aussagen nicht zustimmen kann, kämpft sich auf die Erschöpfung zu. Die Hoffnung, an dieser Stelle auf das »Zaubermittel Resilienz« setzen zu können, wird also immer trügerischer. Es geht nämlich derzeit gar nicht darum, die Dinge besser und länger aushalten zu können. Es geht darum, Kernprobleme zu lösen und gleichzeitig das Arbeiten rasch wieder leichter zu machen. Hierbei kommt Führungskräften – vielleicht zunehmend mit Unterstützung einer KI – eine wichtige Funktion zu.
Es geht jetzt um die handfeste Lösung von praktischen Problemen
Führung darf nicht als ein «gutes» Verhalten (zum Beispiel motivierend, authentisch oder wertschätzend) beziehungsweise eine spezifische Kompetenz missverstanden werden. Führung ist eine Aufgabe! Wir Menschen sind weder Fans von rhetorisch geschulten Vorgesetzten, noch reicht es uns, wenn diese einfach nur sympathisch sind. Vielmehr brauchen wir Persönlichkeiten, die aus einer erlebten Gesamtverantwortung heraus dafür Sorge tragen, dass es zusammen funktioniert. Solchen Persönlichkeiten folgen wir gerne.
Die häufigsten Herausforderungen unserer Zeit sind nicht mit noch mehr Energieeinsatz, Begeisterung und Durchhaltevermögen zu bewältigen. Kreativität, mutige Experimente und ergebnisorientierte Kooperation sind jetzt wichtig. Wir müssen mit vereinten Kräften nach Lösungen zu suchen... auch für diejenigen, die gerade über weniger Resilienz verfügen. Halten wir deshalb fest: Führung vorrangig als Motivationsaufgabe zu verstehen, ist nicht nur oberflächlich, sondern derzeit geradezu gefährlich. Es geht nun darum, gemeinsam die strategischen, operativen und Ressourcen bezogenen Probleme zu lösen.
* An dieser Stelle einen Dank an Paul Watzlawick und seinen für die Ewigkeit formulierten Satz: Man kann nicht nicht kommunizieren. (Paul Watzlawick, Janet H. Beavin, Don D. Jackson. Menschliche Kommunikation. Huber Bern Stuttgart Wien 1969, 2.24 S. 53)