Geht uns die Arbeit aus?
Immer häufiger übernehmen Roboter Arbeiten, die einst Menschen ausführten. Das betrifft auch die sogenannte Wissensarbeit. Damit verändert sich die Arbeitswelt markant. Reinhard Jung, Professor für Business Engineering an der Universität St. Gallen, über die Rolle des Menschen in einer automatisierten Arbeitswelt.
Reinhard Jung ist Professor am Lehrstuhl für Business Engineering an der Universität St. Gallen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Unternehmenstransformation und das Sourcing in der Finanzindustrie. (Foto: zVg)
Herr Jung, wie sieht für Sie eine Gesellschaft aus, in der automatisiert ist, was automatisiert werden kann?
Reinhard Jung: Die Automation schreitet ständig voran. Es ist kein Ende abzusehen, denn durch technologische Innovationen ergeben sich immer neue Automatisierungspotenziale. Welche Technologie genutzt wird, ist aber eher eine Frage der Ökonomie und der Sicherheit. Unabhängig davon sehe ich viele Annehmlichkeiten, welche die Automatisierung für uns bringt. Zum Beispiel selbstfahrende Autos, die unzähligen Menschen die individuelle Mobilität erst ermöglichen und erhalten, oder 3-D-Drucker, die in China dazu genutzt werden, um ganze Häuser zu bauen. Natürlich bringen Automation und Digitalisierung auch Gefahren mit sich, wie die nahezu unbeschränkte Verfügbarkeit und Auswertung von Kundendaten. Damit wäre die totale Transparenz möglich. Doch wer will das schon? Jede Technologie lässt sich missbrauchen. Deshalb gilt es, wachsam zu bleiben, wie sie eingesetzt wird.
Was sind für Sie die wichtigsten Treiber der Automatisierung?
Die Vernetzung von Geräten, geobasierte Dienstleistungen und mobile Endgeräte. Diese technischen Errungenschaften ermöglichen es, überall etwas zu tun, egal, wo man sich gerade befindet. Die Bereitschaft, nicht nur zu konsumieren, sondern auch zu posten und zu teilen, beschleunigt diesen Prozess. Ein Beispiel dafür sind Bewertungsportale, mit denen der Kunde ein Erlebnis oder ein Produkt bewerten kann. Das zwingt die Unternehmen, schnell Antworten auf diesen Trend zu finden.
Welchen Reifegrad der Automatisierung haben Schweizer Unternehmen?
Viele Einzelhändler und Versandhändler sind in dieser Hinsicht schon weit. Nachholbedarf sehe ich im Finanzdienstleistungsbereich, speziell im Retail-Banking. Dort haben die Banken ihr Geschäftsmodell um den Filialbetrieb und die Beratung aufgebaut, obwohl immer mehr Kunden Tätigkeiten wie das Onlinebanking selbst erledigen und für einfache Geschäfte keine Beratung mehr benötigen. Sie sind deshalb auch weniger bereit, für Dienstleistungen zu bezahlen, die wie die Hypothekenbeantragung online erfolgen könnten. Deshalb rechne ich zumindest im Retail-Banking damit, dass viele Tätigkeiten in der Beratung automatisiert werden.
Wo sehen Sie die Grenzen der Automatisierung?
Es gibt Unternehmen, welche die Automatisierung so weit treiben, dass das Kundenerlebnis beeinträchtigt wird. Das zeigt sich darin, dass Kunden aufwändige Prozeduren durchlaufen müssen, nur damit auf der anderen Seite für das Unternehmen alles schön effizient abläuft. Es kann zu viel des Guten sein, wenn ein Zielkonflikt zwischen Automatisierung und Kundenerlebnis entsteht. Zum Beispiel wenn ein Callcenter Personal einspart und der Kunde als Folge davon immer öfter und länger in der Warteschlaufe landet.
Worin sehen Sie die wichtigsten gesellschaftlichen Auswirkungen?
Als vor zwanzig Jahren PCs ihren Siegeszug antraten, glaubte man auch, dass dadurch zahlreiche Jobs vernichtet würden. Heute ist die Arbeitslosigkeit in der Schweiz aber so tief wie noch nie. Dass bestimmte Jobs durch andere ersetzt werden, war schon immer eine Folge der Automation. Daran wird sich im Wesentlichen nichts ändern. Positiv ist sicherlich, dass monotone und gefährliche Arbeiten künftig von Maschinen und Computern übernommen werden. Gleichzeitig heisst das aber auch, dass die neuen Jobs höhere Qualifikationsanforderungen mit sich bringen.
Was kann HR tun, um die Mitarbeitenden in diesem strukturellen Wandel zu befähigen?
Viele Menschen fühlen sich in ihrer gewohnten Umgebung wohl und wollen eher keine Veränderung. Das ist einer der grossen Aufgaben der HR-Transformationsmanager: Sie müssen die Mitarbeitenden von der Notwendigkeit der Veränderung überzeugen und für die Zukunft des Unternehmens motivieren. Verändern sich die Geschäftsmodelle, ändern sich auch die Anforderungsprofile der Mitarbeitenden. Diese müssen deshalb weiter qualifiziert werden. Der Weiterbildungsbedarf dafür ist frühzeitig zu ermitteln und die Weiterbildungsinitiative strukturiert anzugehen. Das werden die Unternehmen zu einem grossen Teil aber von sich aus tun, denn qualifiziertes Personal zu finden, wird immer schwieriger und ist kostenintensiv.