Recruiting

Herausforderungen für den CHRO von morgen

Nur wenn es dem CHRO gelingt, sich an der Seite des CEO als vorwärtsorientierter Gestal­ter von Geschäftsentwicklungs- und Veränderungsprozessen einzubringen, wird sich das HR als legitimer Partner der obersten Entscheidungsträger etablieren können.

Die Liste der aktuellen HR-Herausforderungen ist lang und allerseits diskutiert: Diversity, Work-Life-Balance, Teilzeitarbeit, Home Office und virtuelle Meetingformen, demografische Umschichtungen, Veränderung von Geschäftsmodellen und Arbeitsabläufen, Internationalisierung des Talent-Pools, Umgang mit Social Media, jederzeitige Erreichbarkeit und damit einhergehende Überforderungs- und Stresserscheinungen – die Liste könnte fast beliebig fortgeführt werden.

Idealerweise sollten strategisch denkende HR Leader nicht nur mit dem hohen Tempo dieser Herausforderungen und der stetig kürzer werdenden Halbwertszeiten der Lösungen mithalten, sondern diese vorausschauend steuern können.

Die Realität ist freilich eine andere: Wenn CEOs von heute auf morgen eine strategische Richtungsänderung bekannt geben oder Divisionsleiter enthusiastisch eine neue Produktlinie einführen, erreicht CHROs die Anweisung, dies mit den passenden, dafür qualifizierten Mitarbeitern zu implementieren. «Also bitte, liebe CHROs, stellen Sie sicher, dass wir die richtigen Talente für unsere neue Stossrichtung haben!» Zudem möge die kurzerhand beschlossene Strategieänderung auch im Bereich HR möglichst kostengünstig, effizient und unter Berücksichtigung sämtlicher oben erwähnter Trends erfolgen.

Während in Zukunft – Tendenz weiter steigend – die Identifikation von Mitarbeitern, von Kandidatennamen und möglichen Profilen für die Besetzung vakanter Positionen immer mehr zur Commodity wird (elektronischen Suchmaschinen, internen Recruiting-Abteilungen, Netzwerkplattformen und Social Media sei Dank), kommt der Beurteilung und Einschätzung von Bewerbern in dreierlei Hinsicht zusehends stärkere Bedeutung zu:

  1. Was hat der Bewerber in seiner beruflichen Vergangenheit wirklich erreicht – und wie?
  2. Mit welchen Managementkompetenzen ist die Führungskraft heute ausgestattet?
  3. Und über welches tatsächliche Potenzial verfügt jemand, künftig beträchtlich grössere Verantwortungen zu übernehmen (Mitarbeiterführung, geografischer Scope, hierarchischer Level oder funktionale Verbreiterung seines Verantwortungsbereichs)?

Diesem zweiten Teil eines integrierten Talentmanagements (also der Beurteilung beziehungsweise Einschätzung künftiger Fähigkeiten) kommt in Zukunft die viel grössere Bedeutung zu.  Zu neusten Ansätzen bezüglich zuverlässiger Beurteilungsmethoden haben die führenden globalen Search-Unternehmen in letzter Zeit grosse Fortschritte erzielt und neuartige wissenschaftliche Erkenntnisse in ihre Arbeit integriert.

Es liegt in der Realität oft in der Verantwortung des HR, die Top-Talente richtig zu identifizieren und die hoffnungsvollsten Potenzialträger – in Abstimmung mit deren unmittelbaren Vorgesetzten – zu fördern, zu entwickeln und auf die nächsten Karriereschritte vorzubereiten. Und das in einem nach einheitlichen Kriterien standardisierten Prozess.

Zweifellos kann ein CHRO diese Herausforderungen nicht meistern, ohne als Business- und Sparringpartner des CEO positioniert zu sein. Dass diese immer wieder postulierte ideale Beziehung an der schieren Realität vorbei­zielt, ist eigentlich allen Beteiligten klar. Denn:

  • Wie häufig wird von CEOs (wie es vom HR oft gefordert wird) gründlich erhoben, was die High Potentials am meisten motiviert, was sie bewegt und was ihnen Sorge bereitet? Selten.
  • Wie oft findet ein sauber orchestrierter, zielführend und konstruktiv geführter Austausch und Dialog zwischen den Herausforderungen der Linie und denjenigen von HR statt? Selten.
  • Wie oft werden weniger qualifizierte Mitarbeiter aufgrund von Seilschaften, Sympathien und falsch verstandener Loyalität durch die Linie befördert – oder mit unzureichenden Aufgaben zugedeckt und damit nicht nur unterfordert, sondern auch frustriert? Häufig!

Aus diesen Beobachtungen lässt sich folgern, dass ein erfolgreicher CHRO:

  1. ein ausgeprägtes Verständnis besitzen muss für die Herausforderungen der Linie und die Implikationen der Strategie für die veränderte Talentlandschaft,
  2. die Fähigkeit besitzt, den konstruktiven Dialog mit der Linie zu systematisieren und überzeugend (also im Sinne des Gesamtnutzens der Organisation) zu thematisieren,
  3. die heterogenen Neigungen und Erwartungen von High Potentials korrekt und zeitgemäss einschätzen kann.

Nur wenn es dem CHRO gelingt, sich an der Seite des CEO als vorwärtsorientierter Gestalter von Geschäftsentwicklungs- und Veränderungsprozessen einzubringen und damit Board-Akzeptanz zu gewinnen, wird sich das HR als legitimer Partner der obersten Entscheidungsträger etablieren können. Der CEO, der das HR in diesem Sinne positioniert hat und nutzen kann, wird künftig die besseren Karten im anfangs erwähnten Wettbewerb um die besten Talente in der Hand haben. Dies wäre nicht nur dem CEO, dem CHRO und allen Talenten zu gönnen, sondern auch den Shareholdern, die am Mehrwert einer modern ausgerichteten HR-Arbeit ein unmittelbares Interesse haben müssten.

Recruiting Guide 2014

Dieser Artikel erschien im Recruiting Guide 2014. Das Nachschlagewerk für Recruiter und Personalverantwortliche soll in dreifacher Hinsicht als Arbeitsinstrument für Ihr professionelles Recruiting dienen: Zum Auftakt geben im redaktionellen Teil Praxisexperten einen Einblick in den aktuellen Diskurs acht verschiedener Recruiting-Disziplinen. Diese reichen von Print- und Onlineplattformen über neuste Online-Strategien bis hin zur Temporärarbeit, Interim-Management, Personalmarketing und Recruiting-Software. Im zweiten Teil bieten 40 Firmenporträts einen Überblick über die Dienstleister aus den oben beschriebenen Recruiting-Bereichen. Im dritten Teil finden Sie 100 wichtige Dienstleister-Adressen.

Recruiting Guide 2014, herausgegeben von HR Today und Prospective Media Services AG, gebundenes Buch, 148 Seiten, CHF 19.90. Hier bestellen.

 

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Dr. Andreas Zehnder ist seit 2001 Berater und seit 2006 Partner bei Egon Zehnder. Vorher war er als Engagement Manager bei McKinsey & Co. tätig. Vor seinem MBA in den USA arbeitete er bei Citibank und Young & Rubicam.
Egon Zehnder ist ein Schweizer Unternehmen, das im Bereich Personalberatung, insbesondere von Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen, tätig ist. Das Unternehmen wurde 1964 von Dr. Egon P. S. Zehnder in Zürich gegründet. Gleichberechtigte Eigen­tümer sind die heute 240 internationalen Partner des Unternehmens. www.egonzehnder.com

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