Hierarchien – und warum sie den Erfolg verhindern
Gemeinschaften brauchen Ordnungssysteme, Machtstrukturen und Hierarchien. Die Klärung der Rangordnung ist notwendig und geniesst deshalb eine hohe Priorität. Man kann es aber auch übertreiben. Und das könnte die unternehmerische Zukunft kosten.
Natürlich brauchen Gemeinschaften gemässigte Ordnungssysteme und unvermeidliche Hierarchien. Aber sie brauchen keinen Wasserkopf. (Bild: 123RF)
Treffen sich zwei Menschen, dann werden sie – und das passiert völlig unbewusst – zunächst ihren Status sondieren: Ist der andere mächtiger, attraktiver, einflussreicher, intelligenter und wohlhabender oder dümmer und ärmer als ich? Ist er in der Lage, mir die Frau/den Mann wegzunehmen? Wie hoch ist sein gesellschaftliches Ansehen? Bedroht er mein Territorium oder meinen Arbeitsplatz? Woran erkenne ich, ob er über oder unter mir steht?
Hochstatus weist an, ohne zu fragen. Niederstatus hört zu, ohne etwas zu sagen. Und wenn «Niedere» reden, sind deren Hinweise irrelevant. Obere benötigen Zeichen der Macht und gleichfalls Zeichen der Ergebenheit, um sich ihrer Statushoheit jederzeit sicher zu sein. Zur Unterwerfung gehören eine leise Stimme, ein ausweichender Blick, ein seitlich geneigter Kopf, das Sich-klein-Machen, ein unterwürfiges Lächeln, eine zaghafte Entschuldigung. Solche Gesten erzeugen Beisshemmung.
Wie wird bei Ihnen Hierarchie gelebt?
Natürlich brauchen Gemeinschaften gemässigte Ordnungssysteme und unvermeidliche Hierarchien. Aber sie brauchen keinen Wasserkopf. Daneben geht es auch um die gefühlte Hierarchie, die «Hierarchie im Kopf» und ihre gefährlichen Folgen. Entscheidende Fragen sind die:
- Wie wird Hierarchie bei Ihnen gelebt? Oben Klasse, unten Masse?
- Wie viele formelle Statussymbole, die sogenannten Krücken der Macht, gibt es noch?
- Welche verbalen und nichtverbalen Überlegenheitszeichen werden wie zelebriert?
- Werden Unterwürfigkeitssignale rechtzeitig erkannt? Und wie wird damit umgegangen?
Diejenigen, die Hierarchie zelebrieren, tun es geschickt, und sie wählen ihre Worte trefflich, denn sie sind ja seminarerfahren. Doch ihre Einstellung, die spürt man auch zwischen den Zeilen. Am Ende läuft alles auf eine Frage hinaus: Wie wird bei Ihnen mit Macht umgegangen?
Wer Machtansprüche rein durch Hierarchie sichern will, riskiert (heimlichen) Widerspruch. Gerade von der nachrückenden jungen Generation, den Digital Natives, wird Autorität erst dann anerkannt, wenn sie durch Taten gerechtfertigt ist. Institutionalisierte Autorität «von Amts wegen» wird sofort hinterfragt. Und die klassischen Statussymbole haben für sie viel von ihrer Strahlkraft verloren.
Macht und Angst sind ein gefährliches Paar
Wo Macht ist, ist immer auch Angst. Die Angst derer, die nach oben drängen, heisst, den Anschluss zu verpassen. Und die Angst derer, die schon oben angekommen sind, ist es, die mit Macht einhergehenden Privilegien wieder zu verlieren. So kommt es, dass Machtbesessene ihren Zuständigkeitsbereich hermetisch abriegeln, im Silodenken verharren, und ihr Wissen wie einen Schatz hüten, anstatt es zu teilen.
Verstehen sich Führungselite und Belegschaft als «wir da oben» gegen «die da unten», dann ist der Bruch vorprogrammiert. Zwischenmenschliche Kälte ist in einem solchen Kontext noch das kleinere Übel. Vor allem werden in grossem Stil menschliche Ressourcen verschwendet, denn es baut sich ein Szenario aus Drohungen, Intrigen, Missgunst und Kontrollwahn auf. Der Fokus ist nach innen gerichtet. Jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Für Kunden bleibt da wenig Zeit.
Wo Angst regiert, hat Kreativität keine Chance
Kreativität ist die Schlüsselressource der Zukunft. Das Denken gegen die Regel gehört zu den massgeblichsten Erfolgsfaktoren, um sich von Durchschnitt und Mittelmass abzuheben. Denn Mittelmass will niemand mehr kaufen. Mittelmass wird noch nicht mal erinnert. Aber wie bitte soll Aussergewöhnliches, ja geradezu Einzigartiges entstehen, wenn stromlinienförmige Mitarbeitende und eine maultote Meute von Mitläufern ein Unternehmen bevölkern – und alle immer nur abwartend nach oben schauen, anstatt nach draussen zum Kunden?
Das «Machtwort» des Chefs lässt wertvolle Initiativen einfach versanden. Die guten Mitarbeitenden mit hohem Potenzial lernen auf diese Weise, dass ihre Meinung nicht zählt. Und sie wandern in Scharen ab.
Führungskräfte täten also gut daran, ihr Hierarchiegehabe auf ein Minimum zu reduzieren und den gefühlten sozialen Abstand zwischen sich und ihren Leuten zu mässigen. Da kann es schon helfen, die Mitarbeitenden regelmässig besuchen zu gehen, statt sie im eigenen Büro antanzen zu lassen. Dies ist ein Baustein von vielen, um das Ungleichgewicht so klein wie möglich zu halten.
Wie sich Hierarchie leicht zurückbauen lässt
Hierarchie manifestiert sich zum Beispiel über die Kleiderordnung. So sieht eine Krawatte bei genauer Betrachtung aus wie ein Schwert. Unser Unterbewusstsein liest solche Symbole wie Signale aus. Interessanterweise wird, sobald es ernst und geschäftlich wird, eine Krawatte angelegt. Ist das Klären der Vertragsbestandteile vorbei und der Sieg eingefahren, macht man sich sogleich wieder locker, der Griff geht zum Krawattenknoten.
Wer auf Augenhöhe mit seinen Leuten agieren und alles Verbissene herausnehmen will, dem sei geraten, die Management-Verkleidung auch mal abzulegen und sich ein wenig locker zu machen, damit die Leute ihre Scheu verlieren. Sodann befreie man seine Organisation vom Schlipszwang und lasse Farbe in die Büros, damit sich das uniformierende Einheitsgrau der Anzugträger endlich verflüchtigt. Von Soldaten, die in Reih und Glied marschieren, bekommt man nichts, was aus der Reihe tanzt.