Fall 2
Spar: Streik ohne Happy End
Im Juni traten in Baden-Dättwil Angestellte von Spar in Streik und erregten damit landesweit Aufsehen. «In Baden-Dättwil gab es zwei Probleme: einerseits den Lohn und die Anstellungsbedingungen, andererseits den Personalmangel», sagt Natalie Imboden, Branchenverantwortliche Detailhandel bei der Gewerkschaft Unia. «Der Personalmangel war das grössere Problem für die Spar-Angestellten. Sie konnten ihre Arbeit nicht mehr den Anforderungen entsprechend ausführen.»
Die Missstände sind laut Natalie Imboden in zwei Gesprächen mit den Regionalverantwortlichen des Spar thematisiert worden. Doch es kam zu keiner Lösung, und so trat ein Teil der enttäuschten Mitarbeiter in den Streik.
HR blieb beim Streik im Hintergrund
Die Folgen sind bekannt: Nach elf Tagen Arbeitsniederlegung gab es ein gerichtliches Ultimatum, die Streikenden und die Gewerkschaft Unia zogen aus der blockierten Filiale aus, und Spar kündigte jenen, die in Streik getreten waren. Die Unia unterstützt die Betroffenen derzeit bei der Jobsuche, und die Kündigungen wurden als missbräuchlich angefochten.
Wie verliefen die Verhandlungen zwischen Unia und Spar beziehungsweise Spar-HR? Bei der Spar Handels AG will man sich weder zum Thema Streik in Baden-Dättwil noch zum allgemeinen Verhältnis zwischen HR und Gewerkschaften äussern.
Die Unia-Vertreterin Natalie Imboden hat den HR-Leiter von Spar zwar gesehen, doch die Kontakte liefen über den CEO. «Mit HR-Verantwortlichen habe ich dann zu tun, wenn eine Situation noch nicht eskaliert ist. Klassischerweise, wenn Probleme im Rahmen eines Gesamtarbeitsvertrages auftauchen und man gemeinsam Lösungen erarbeitet.»
Spar hat aber erstens keinen GAV – die Beziehungen zwischen HR-Leitung und Unia sind daher nicht institutionalisiert –, zweitens ist der Streit im Fall Baden-Dättwil eskaliert. «Auf dieser Konfliktstufe ist das Management involviert, im Fall Spar kam der CEO als Verhandlungspartner ins Spiel, da tritt das HR natürlich in den Hintergrund», erklärt Natalie Imboden.
Aus den Verhandlungen rausgelaufen
Wobei man das Ganze nicht wirklich als Verhandlungen habe bezeichnen können: «Spar weigerte sich eine Woche lang, mit uns zu reden, wir hätten zuerst den Streik abbrechen sollen», so die Unia-Vertreterin. Und als man sich dann endlich an den Tisch setzte und über eine Lösung verhandelte, seien Spar-Vertreter aus den Gesprächen rausgelaufen.
Dort, wo Natalie Imboden dank GAV in institutionalisiertem Kontakt mit HR-Verantwortlichen steht, seien die Beziehungen gut: «Man kennt sich, tauscht sich aus, sucht nach Lösungen, findet Kompromisse.» Die Branchenverantwortliche Detailhandel nimmt ihre HR-Gesprächspartner als kompetente Gegenüber wahr, die aber oft in einer Sandwich-Position stecken würden. «Sie wissen, wo die Probleme liegen, ihnen sind aber finanzielle Grenzen gesetzt.» Und so brauche es oft längere Diskussionen, bis schliesslich Massnahmen ergriffen würden.
Lichtblicke im Detailhandel
Im Detailhandel sind gemäss Unia 120 000 von insgesamt 300 000 Angestellten einem GAV unterstellt. Aus Gewerkschaftssicht ein tiefer Wert. Und auch der Organisationsgrad der Angestellten liegt, im Vergleich mit anderen Branchen, tief, bei rund 10 Prozent.
«Und das, obwohl der Detailhandel viele Probleme hat», sagt Natalie Imboden. Zu diesen Problemen gehören tiefe Löhne (bei Spar gebe es Leute, die trotz abgeschlossener Lehre nur 3600 Franken monatlich verdienen), Druck und Stress, die Frage der langen Ladenöffnungszeiten und nicht zuletzt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, da im Detailhandel überproportional viele Frauen arbeiten.
Wobei mit einzelnen Unternehmen durchaus fortschrittliche Regelungen getroffen werden können: Der GAV mit Coop, der soeben um weitere vier Jahre verlängert wurde – und nächstes Jahr seinen 100. Geburtstag feiert –, enthält etwa eine Regelung für einen Beitrag an die externe Kinderbetreuung für Alleinerziehende mit tiefen Einkommen. Auch wurden die Mindestlöhne in den letzten Jahren substanziell erhöht, sie liegen heute bei 13 x 3800 Franken (für Ungelernte). «Die Personalleiterin bei Coop, Nadine Gembler, hat ein Ohr für unsere Anliegen», sagt Natalie Imboden.
Die Unia wird von vielen als Streikgewerkschaft wahrgenommen. «Doch was wir mit HR-Leuten verhandeln, ist meist unspektakulär», sagt Natalie Imboden. «Wir wollen die Arbeitsbedingungen der Berufstätigen verbessern, und zwar im Gespräch. Streik ist immer die Ausnahmesituation.» Sie verweist auf den Konflikt bei Spar in Heimberg 2009. Auch dort ging es um tiefe Löhne und Personalmangel. Doch damals konnte, nach zweitägigem Streik, eine Lösung gefunden werden – «und die Spar-Leute aus Heimberg sind nach wie vor mit unseren regionalen Vertretern in Kontakt.»
- Die Spar Handels AG erhielt sämtliche Aussagen dieses Artikels, die Spar betreffen, vorgelegt, wollte aber keine Stellung dazu nehmen.
Fall 3
Postauto: Der Ärger trägt die Farbe Blau
Am 18. Juli erschienen schweizweit Postautochauffeurinnen und -chauffeure in einem blauen Hemd zur Arbeit statt regelkonform im gelben. Die Botschaft des blauen Hemdes: «Ich bin kein Postauto.» Die Gewerkschaft Syndicom wollte mit dieser Aktion die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, dass längst nicht alle der 3100 Chauffeure bei der Postauto Schweiz AG angestellt sind. Rund 1700 arbeiten für sogenannte private Postautounternehmen (PU), welche im Auftrag der Postauto Schweiz das Fahrgeschäft wahrnehmen.
Ein Zustand, der zwar historisch gewachsen, der Gewerkschaft Syndicom aber ein Dorn im Auge ist: Es handle sich um ein Zweiklassensystem, seien doch die PU-Angestellten nicht dem GAV unterstellt, ihre Arbeitsbedingungen seien schlechter als jene ihrer Postauto-Kollegen und sie würden im regionalen Vergleich bis zu einem Monatslohn weniger verdienen.
«Zweiklassengesellschaft» ist Realität
Walter Marti, Personalleiter bei der Postauto Schweiz, nennt keine Zahlen, bestätigt aber, dass die Lohnentwicklung bei PU-Angestellten grundsätzlich flacher verlaufe und weitere Unterschiede bestünden, etwa bei der Abrechnung der Sonntagszulagen. Ausserdem hätten über 50-jährige PU-Angestellte weniger Ferientage.
«Auch wir wollen die Anstellungsbedingungen der Fahrerinnen und Fahrer der PU an diejenigen unserer Regiebetriebe angleichen», sagt Walter Marti. «Aber wir müssen wettbewerbsfähig bleiben, weshalb für uns bei diesem Thema ein Geben und Nehmen zwingend ist.» Entsprechende Verhandlungen werden demnächst starten: Mitte August war der offizielle Startschuss für die Verhandlungen zur GAV-Erneuerung zwischen der Schweizerischen Post AG und den Gewerkschaften Syndicom und Transfair. Der GAV wird für 60 000 Angestellte der Post gelten, und damit auch für die Tochtergesellschaft Postauto Schweiz.
Gewerkschaft wollte Zeichen setzen
Walter Marti ärgert sich über die Blauhemdengeschichte: «Es war immer klar, dass wir die PU-Thematik im Rahmen der GAV-Verhandlungen behandeln, da wäre diese Aktion nicht nötig gewesen.»
Anderer Meinung ist Fritz Gurtner, Sektorleiter Logistik bei Syndicom und Verhandlungsführer auf Gewerkschaftsseite bei den GAV-Verhandlungen: «Wir haben das Thema immer wieder aufs Tapet gebracht, konnten es aber nie verhandeln, da sich die Postauto auf die GAV-Verhandlungen berief, die sich aber bezüglich des ursprünglich geplanten Zeitrahmens immer weiter nach hinten verschoben haben.» Gleichzeitig hätten sich die Lohnunterschiede zwischen den Postauto- und PU-Angestellten jedoch verschärft, da die Lohnmassnahmen jeweils per Anfang Jahr unterschiedlich und zu Ungunsten der PU-Angestellten ausfielen. «Unsere Mitglieder sind nicht bereit, die Situation noch viel länger zu tolerieren. Irgendwann muss man als Gewerkschaft ein Zeichen setzen.»
Anschuldigungen auf beiden Seiten
Auf beiden Seiten gibt es Vorwürfe. Marti hält Gurtner vor, nicht rechtzeitig über die Aktion informiert zu haben und dass auf einem Pin auf den blauen Hemden das Postautologo verwendet wurde. Gurtner findet es seinerseits daneben, dass die Postauto Schweiz von den PU-Betrieben die Namen der «Blauhemdler» angefordert und Druck ausgeübt habe. «Das kann man nicht Druck nennen, wir haben lediglich die PU angewiesen, ihre Angestellten aufzufordern, wieder die gelben Hemden anzuziehen, und mit jenen, die dies nicht täten, das Gespräch zu suchen, sie notfalls zu verwarnen», so Marti. Allerdings habe er von keiner einzigen Verwarnung gehört.
Ein äusserst gespanntes Verhältnis zwischen Marti und Gurtner also? Mitnichten. Die beiden kennen sich schon länger und sind nun im Rahmen der GAV-Verhandlungen rege in Kontakt. Sie sind sich einig, dass sie trotz gelegentlicher Streitigkeiten grundsätzlich einen fairen und offenen Umgang miteinander hätten. «Ich schätze, dass die Verhandlungen mit Fritz Gurtner auf der Sachebene stattfinden», sagt Walter Marti. Fritz Gurtner seinerseits meint: «Was Walter Marti sagt, das glaube ich. Er ist ein hochanständiger und sehr angenehmer Mensch.»