Talent Management

Individueller Umgang mit Talenten wird noch immer kaum umgesetzt

Ein individueller Umgang mit Talenten, der die Unternehmensstrategie nicht aus den Augen verliert, ist heute nötiger denn je. Dessen sind sich zwar viele Personalverantwortliche bewusst, doch umgesetzt wird die Individualisierung zu wenig. Die grössten Hürden stellen die dafür benötigte Integration ins bisherige Personalmanagement und dessen Prozesse  sowie die Rollenklärung zwischen HR und Linie dar.

Zu den zentralen Bedürfnissen von Hochqualifizierten zählen interessante und abwechslungsreiche Arbeitsinhalte sowie die Möglichkeiten, die eigenen Fähigkeiten einzusetzen und Selbstverantwortung zu übernehmen. Dies zeigt sich über alle Jahre, in denen im Rahmen des HR-Barometers Arbeitnehmende in unterschiedlichen Schweizer Unternehmen befragt wurden (siehe Kasten). Das HR-Barometer bestätigt somit die Beobachtung aus der Praxis, dass Arbeitnehmende mit hoher Qualifikation häufig künden, weil sie in ihren Positionen nicht mehr weiterkommen und inhaltlich keine Lernchancen mehr sehen.

Die Individualisierung stellt neue 
Herausforderungen

Hochqualifizierte unterscheiden sich hinsichtlich ihrer karrierebezogenen Bedürfnisse sehr deutlich von anderen Arbeitnehmergruppen. Häufig fordern sie mehr Eigenständigkeit und Selbstverantwortung bei der Gestaltung ihrer Laufbahn, gleichzeitig erwarten sie aber vom Arbeitgeber Unterstützung bei der Umsetzung einer solchen «eigenverantwortlichen Karriere». Diese Personen haben also das Bedürfnis, ihre Karriere innerhalb des Unternehmens und der Sicherheit organisationaler Strukturen zu entwickeln.

Um der Forderung nach Eigenständigkeit, Entwicklungsmöglichkeiten und Selbstverantwortung nachzukommen, brauchen die Unternehmen und Personalabteilungen eine Differenzierungsstrategie. Denn pauschale HR-Konzepte werden immer wirkungsloser. Diese Differenzierungsstrategie sollte nicht nur nach Hierarchieebenen erfolgen, sondern direkt nach (Schlüssel-)Positionen und Mitarbeitern. Dies, weil viele Jobs mit grosser Wirkung auf den Unternehmenserfolg nicht nur auf der Ebene von Topmanagement zu finden sind.

Um die hochqualifizierten Mitarbeitenden bei der Stange zu halten, müssen die Unternehmen ihnen ein breites Spektrum an Lern- und Karrieremöglichkeiten anbieten. Dazu gehören insbesondere 
herausfordernde Arbeitsaufgaben, persönliche Leistungsvereinbarung, bessere Entsprechung mit der Qualifikation, persönliche Zukunftsplanung sowie Aufstiegs- und Beförderungsmöglichkeiten. Und ganz wichtig: Hochqualifizierten sollte die Möglichkeit geboten werden, ihre Talente «auszuprobieren» und weiterzuentwickeln. Zudem sollten sie selber entwicklungsrelevante Entscheidungen treffen und selbständig Projektaufgaben übernehmen können. Gleichzeitig muss ihnen das Gefühl vermittelt werden, dass dies unternehmensseitig auch gewünscht und gefördert wird.

Weil die Arbeitsinhalte für Talente so wichtig sind, gilt es, die Fachkarriere zu fördern und gegenüber der Linienlaufbahn aufzuwerten. In dieser liegt noch viel unausgeschöpftes Potenzial, ist sie doch ein gutes Instrument, um Talente zu fördern und das Fachwissen zu binden, das in Linienlaufbahnen häufig verloren geht.

Differenziertere HR-Systeme ja, aber sind sie auch effektiv?

Damit Talent Management (TM) auch wirklich effektiv ist, muss es optimal ausgestaltet sein. So besteht zwar in den meisten Firmen der Konsens, dass differenziertere HR-Systeme nötig sind, um unterschiedliche Leistungspotenziale von Mitarbeitenden besser auszuschöpfen. Gerade zur Effektivität von solchen Systemen gibt es aber kaum wissenschaftliche Untersuchungen. Grundsätzlich stellt sich die Frage nach einer optimalen Balance oder 
Mischung zwischen standardisierten 
HR-Kernprozessen und differenzierten HR-Prozessen für einzelne Zielgruppen – besonders für multinationale Unternehmen, die in kulturell unterschiedlichen Regionen tätig sind.

Eine weitere Herausforderung stellen die Rollenklärung und die Identifikation von Schlüsselpositionen und -personen dar. So muss im Talent Management geklärt werden, wer die relevanten Stakeholder sind und welche Rolle und welche Verantwortlichkeiten sie innehaben. Während Manager die Verantwortung für TM aber noch immer vielfach bei der Personalabteilung sehen und ihnen oft auch die Fähigkeiten oder der Wille fehlen, Talente zu entdecken und zu fördern, sieht die Personalabteilung Talent Management als Führungsaufgabe der Vorgesetzten. Dies führt unweigerlich dazu, dass häufig keine klar definierten Verantwortlichkeiten zwischen Linie und HR existieren. Letztlich bleiben aber die Linienvorgesetzten die eigentlichen Talent Manager. Vorgesetzte müssen deshalb spezifische Anreize bekommen und häufig erst einmal dazu befähigt werden, ihre Mitarbeiter stärker und gezielter zu fördern.

Auch die Identifikation von Schlüsselpositionen, die für den Unternehmenserfolg besonders bedeutsam sind, stellt oft eine Knacknuss dar. Dazu müssen die für diese Positionen erforderlichen Kompetenzen definiert und Talente entsprechend den Anforderungen identifiziert werden. Dieser konsequenten Ausrichtung der Talentidentifikation und -förderung an strategischen Zielen wird aber noch immer viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Auch eine (strategische) Nachfolgeplanung für Schlüsselpositionen findet häufig nicht oder nur unsystematisch statt.

Weg mit den unsynchronisierten Personalinstrumenten

Die TM-Forschung steckt noch in den Kinderschuhen und gibt nur wenig Handlungsanleitung zur (inhaltlichen und prozessbezogenen) Gestaltung von Talent-Management-Systemen. Dies hängt auch damit zusammen, dass theoretische Modelle zur Erklärung von Wirkungszusammenhängen im TM noch weitgehend fehlen und der Begriff Talent Management häufig unterschiedlich definiert wird. So herrscht in der Zwischenzeit zwar Einigkeit darüber, dass ein individuellerer Umgang mit Talenten wichtig ist, weniger jedoch darüber, wie den neuen Herausforderungen dieser Individualisierung begegnet werden soll.

Diese stellt Unternehmen und im Besonderen die Personalabteilungen vor ganz neue Herausforderungen, weil sie die Spezialisierung von HR-Prozessen auf bestimmte Zielgruppen sowie eine Koordination und Zusammenführung der betroffenen Arbeitsprozesse und Personalinstrumente verlangt. Heute existieren im Rahmen von Talent-Management-Massnahmen allerdings häufig parallele und unsynchronisierte Personalinstrumente. Das Zusammenführen von einzelnen HR-Aktivitäten zu einem integrierten und übergreifenden TM-System, das möglichst mit der Unternehmensstrategie im Einklang steht, stellt viele Unternehmen vor Schwierigkeiten. Anhand der Beispiele UBS und ABB (vgl. entsprechende Artikel rechts) wird aufgezeigt, dass es möglich ist.

Der Schweizer HR-Barometer

Der Schweizer HR-Barometer ist eine seit 2005 jährlich durchgeführte Datenerhebung von Schweizer Arbeitnehmenden. 
Er untersucht Arbeitseinstellungen und -verhalten von Schweizer Beschäftigten und ermöglicht Trendanalysen der untersuchten Themenbereiche. Für diesen Artikel wurden aus den bisherigen Erhebungsjahren die Daten der Hochqualifizierten (Personen mit Universitäts- oder Fachhochschulabschluss) selektioniert und deren karrierebezogene Bedürfnisse eingehender untersucht.

 

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Marius Gerber ist Leiter der Fachstelle für Human Capital an der ZHAW School of Management and Law in Winterthur.

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