Innovative Ansätze zur Gewinnung von MINT-Fachkräften
Der Wettbewerb unter den Arbeitgebern um die knappen Fachkräfte in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, kurz MINT, spitzt sich weiter zu. Unternehmen, die auch zukünftig erfolgreich sein möchten, kommen dabei um die folgenden zwei Fragen nicht herum: Wie kann die Attraktivität als Arbeitgeber im MINT-Segment erhöht werden? Und auf welche Weise können die knappen Fachkräfte rekrutiert werden? Der Leitfaden «Employer Branding & Recruiting» der Hochschule Luzern und Avenir Consulting liefert innovative, praxisorientierte Ansätze zur Gewinnung von MINT-Fachkräften.
Das fast vollständige Leitfaden-Autorenteam an der Fachtagung «Employing the New Generation»: Marcel Oertig und Corinne Scheiwiller (beide Avenir Consulting) nahmen Peter Kels (Hochschule Luzern) in ihre Mitte. (Bild: Louis Rosenthal)
Der Fachkräftemangel ist in der Schweiz definitiv angekommen und wird sich zukünftig weiter verschärfen. Arbeitgeber auf der Suche nach MINT-Fachkräften sind von diesem Engpass besonders betroffen, da die Nachfrage nach technologie-affinen Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt steigend ist. Gleichzeitig sinkt das Fachkräfteangebot aufgrund des schrittweisen Ausscheidens der Babyboomers aus dem Arbeitsmarkt sowie der demografiebedingt tiefen Anzahl an nachrückenden Nachwuchskräften. Eine weitere Herausforderung für die Unternehmen stellen zudem die steigenden Erwartungen der MINT-Fachkräfte an ihren Wunscharbeitgeber dar. Unternehmen müssen sich folglich anstrengen, wenn sie auch zukünftig erfolgreich rekrutieren möchten.
Praxisorientierter Leitfaden für die Unternehmen
Die Hochschule Luzern und Avenir Consulting möchten die Unternehmen in dieser herausfordernden Situation unterstützen und haben einen praxisorientierten Leitfaden verfasst. Der Leitfaden bietet auf rund hundert Seiten zunächst einen Überblick über die wichtigsten Erwartungen der MINT-Fachkräfte an ihren Arbeitgeber und das Vorgehen bei der Stellensuche. Diese Angaben stammen aus dem Forschungsprojekt «Employing the New Generation. Personalgewinnung und Führung der Generation Y in MINT-Berufen» der Hochschule Luzern und der Berner Fachhochschule in Zusammenarbeit mit den Praxispartnern Post CH AG, Comet AG und UVEK und dem Umsetzungspartner Avenir Consulting. Das Projekt wurde von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) des Bundes gefördert.
Aufbauend auf den Präferenzen der MINT-Fachkräfte zeigt der Leitfaden praxisnah auf, wie sich eine attraktive Arbeitgebermarke entwickeln und die Personalgewinnung wirksamer gestalten lässt. Umsetzungsempfehlungen zu Themen wie etwa Active Sourcing, Mitarbeiterempfehlungen oder Campus Recruitment sowie sechs Praxisbeiträge (Swisscom, Post, UVEK, Graubündner Kantonalbank, ETH Career Center, Expert Group) erleichtern den Transfer in die Praxis.
Aufbau einer attraktiven, authentischen und einzigartigen Arbeitgebermarke
Das Arbeitgeberversprechen hilft, neue Mitarbeitende gezielt anzusprechen und bestehende Mitarbeitende längerfristig binden zu können. Hierfür muss jedes Unternehmen für sich identifizieren, welche Besonderheiten es den MINT-Fachkräften bieten kann. Das Arbeitgeberversprechen sollte dabei attraktiv, differenzierend und zugleich realistisch formuliert werden. Denn ein Arbeitgeberversprechen, das nicht eingelöst werden kann, führt letztlich zu Unzufriedenheit und Fluktuation. Ist die Arbeitgebermarke definiert, gilt es, die wichtigsten Kontaktpunkte zwischen Bewerbenden und Unternehmen (z.B. Social-Media-Auftritt, Rekrutierungsinterview) auszugestalten. Eine attraktive Arbeitgebermarke wirkt nach innen und nach aussen: Sie trägt dazu bei, dass sich die bestehenden Mitarbeitenden an die Organisation binden und in ihrem Umfeld zugleich als Marken- resp. Recruitingbotschafter auftreten.
Wirksame Gewinnung von MINT-Fachkräften
In der Personalgewinnung lässt sich ein Trend weg vom klassischen Recruiting hin zum Talent Relationship Management beobachten. Dabei identifiziert das Unternehmen strategisch relevante Schlüsselfunktionen und Zielgruppen und beginnt unabhängig von einer vakanten Arbeitsstelle mit der entsprechenden Suche nach geeigneten Talenten und ihrer langfristigen Bindung.
Für die Kandidatensuche für äusserst schwierig zu besetzende Schlüssel- und Engpassfunktionen wird im Leitfaden beispielsweise die ressourcenintensive, aber hochwirksame Active-Sourcing-Strategie beschrieben. Zudem werden Empfehlungen zur Einführung von Mitarbeiterempfehlungsprogrammen gegeben, da viele MINT-Fachkräfte sich bei der Stellensuche an Empfehlungen aus ihrem persönlichen Umfeld/Netzwerk orientieren und gute Mitarbeitende oftmals starke Personennetzwerke haben. Des Weiteren finden sich im Rahmen des Talent Relationship Managements Hinweise zur langfristigen Beziehungspflege mit MINT-Fachkräften. So sollten beispielsweise die Vorgesetzten die Kandidatenbindung mit Talenten aus früheren Arbeitsbeziehungen (Alumni) als ihre Aufgabe wahrnehmen. Um junge Fachkräfte für sich gewinnen zu können, bietet sich das Campus Recruitment an. Hierzu findet sich ein Praxisbeitrag vom Career Center der ETH Zürich im Leitfaden.
Personalgewinnung als Erlebnis gestalten
Ein neuer Trend in der Rekrutierung ist die sogenannte Candidate Experience. Hierbei geht es darum, sicherzustellen, dass Kandidaten alle Kontaktpunkte im Bewerbungsprozess als positives Ereignis erleben. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine Perspektivenumkehr im HR nötig: Der Bewerbungsprozess wird konsequent durchleuchtet und optimiert, indem man die Perspektive der Kandidatinnen und Kandidaten einnimmt. Dabei zeigt sich, dass u.a. Transparenz, Augenhöhe und Schnelligkeit zentrale Aspekt eines positiven Bewerbererlebens sind.
Fachtagung: «Employing the New Generation»
Firmen sind gefordert, ihre Attraktivität als Arbeitgeber wie auch die Effektivität ihrer Personalgewinnungs- und Führungspraxis zu überdenken. Diesem Ziel hat sich das KTI-Forschungsprojekt «Employing the New Generation» und die gleichnamige Fachtagung verschrieben. Projektleiter Peter Kels, Professor an der Hochschule Luzern, eröffnete die Veranstaltung gemeinsam mit Projektpartnerin Andrea Gurtner, Professorin an der Berner Fachhochschule, mit einem Einblick in die Resultate des Forschungsprojekts: Anstelle beliebter Mythen und Stereotypen vermittelten ihre Referate ein differenziertes Bild von den Arbeitswerten junger Nachwuchs- und Fachkräfte. Danach gab Kathrin Beer, stellvertretende Leiterin Personal der Schweizerischen Post als Projekt-Praxis-Partnerin einen Einblick in die jüngst aufwendig überarbeitete Personalmarketing-Strategie. In Workshops wurden danach Umsetzungsbeispiele, Erfahrungen und Lessons Learned diskutiert. Zum Abschluss hielt Ina Hedwiger, Partnerin und HR-Verantwortliche bei der genossenschaftlich betriebenen Web-Spezialistin Zeix, ein mit viel Applaus bedachtes Plädoyer für ein Umdenken im HR. Zur Bildgalerie der Fachtagung