«Je härter, desto besser»
Auf LinkedIn hat er eine wachsende Gefolgschaft, seine Bücher sind Bestseller. HR-Experte Nico Rose über Klickzahlen, Heavy Metal und Führungsentwicklung.
«Wer Menschen eine ‹gute Arbeit› ermöglicht, tut damit also nicht nur etwas für die Zahlen in der Bilanz, sondern auch für den erweiterten sozialen Kontext»: HR-Experte Nico Rose. (Bild: zvg)
Sie sind ein HR-Tausendsassa: Dozent, Autor, Speaker, Influencer. Daneben schreiben Sie für verschiedene HR-Magazine. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut?
Nico Rose: Ich habe das Glück, liebend gerne zu schreiben. Wenn ich nicht anderweitig arbeite oder Zeit mit meiner Familie verbringe, klappe ich automatisch den Laptop auf und fange an, irgendetwas zu tippen.
Welches ist Ihre Lieblingsdisziplin?
Das kann ich so nicht beantworten. Ich spreche, worüber ich schreibe, ich schreibe, worüber ich forsche und recherchiere. Im Übrigen würde ich für mich selbst nie den Begriff «Influencer» verwenden. Das sind für mich Menschen, die auf Instagram Eiweissriegel in die Kamera halten. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber es hat wenig mit meiner Arbeit zu tun.
Der HR-Rockstar
Nico Rose ist ein deutscher Psychologe und Bestseller-Autor von sechs Büchern. Nach Abschluss seines Studiums in Psychologie in WWU Münster, arbeitete Rose zunächst in der Personabteilung von L'Oréal. Ab 2005 wandte er sich einer akademischen Laufbahn an der EBS Business School, wo er 2010 promovierte. Danach verantwortete er bis 2019 bei der Bertelsmann-Gruppe in Gütersloh unter anderem die Bereiche Employer Branding, Hochschulmarketing und High-Potential-Recruiting während er berufsbegleitend ein Studium der Positive Psychologie an der University of Pennsylvania absolvierte. Von 2019 bis Anfang 2022 war Nico Rose Professor für Wirtschaftspsychologie an der International School of Management in Dortmund. In seinen Werken über Positive Psychologie für Management lässt der Autor gerne seine seine Liebe zur Heavy-Metal-Musik einfliessen.
Auf Linkedin sind Sie mit über 16'000 Followern präsent, Xing zählt Sie zu den «Top Minds» und vom Personal Magazin wurden Sie einmal zu den 25 Top-Influencern gewählt. Wie kommt man zu einem solchen HR-Rockstar-Status?
Ich weiss nicht, ob solche Labels hilfreich sind. Ganz allgemein ist es nicht schwierig, Reichweite aufzubauen, wenn man es darauf anlegt. Reichweite bedeutet nicht Relevanz. Das zeigt sich aber erst langfristig. Ab und zu melden sich Menschen bei mir, weil ihnen ein Aspekt aus meinen Büchern im «echten Leben» weitergeholfen hat. So etwas finde ich persönlich befriedigender als Klickzahlen.
Ihr Motto (gemäss Linkedin): «Better Leaders. Better Business. Better Living.» Was bedeutet das?
Seit ich die Konzernwelt verlassen habe, beschäftige ich mich vor allem mit der Messung und Entwicklung von Führungsqualität, da diese eine zentrale Stellschraube für erfolgreiches unternehmerisches Handeln ist. Zudem hängen davon Arbeitsplätze und Steuereinnahmen ab und von diesen wiederum die Ausgaben der öffentlichen Hand. Da gibt es einen klaren Zusammenhang, der von den meisten Menschen jedoch häufig ignoriert wird. In Deutschland schimpft man dann über «die da oben». Ich meine aber noch etwas anderes damit: Kann ich an den meisten Tagen einer «guten Arbeit» nachgehen, hat die Art und Weise, wie ich geführt werde, einen enormen Einfluss auf mein Wohlbefinden. Dann bin ich nach der Arbeit auch anders für Familie und Freunde da. Da spricht die Wissenschaft eine klare Sprache: Empfinde ich meinen Job als sinnstiftend, empfinde ich auch mein Leben insgesamt stärker als sinnerfüllt. Wer Menschen eine «gute Arbeit» ermöglicht, tut damit also nicht nur etwas für die Zahlen in der Bilanz, sondern auch für den erweiterten sozialen Kontext.
Ihre HR-Karriere startete bei L’Oréal. Bei Bertelsmann bekleideten Sie verschiedene HR-Kaderpositionen, bevor Sie der Unternehmenswelt 2019 den Rücken kehrten. Weshalb?
Ich habe meinen Job bei Bertelsmann gerne gemacht, aber er war immer sehr reiseintensiv, in den letzten Jahren auch international. Als mein zweites Kind zur Welt kam, hatte ich den starken Wunsch, mehr Zeit zu Hause zu sein. Es gab aber auch «Energien» in mir, die nicht so recht in meine damalige Rolle passten. So habe ich beispielsweise schon als Manager viel publiziert. Dabei handelte es sich vor allem um kürzere Fachartikel oder Blogbeiträge. Fünf meiner sechs Bücher habe ich erst nach dem Ausstieg aus dem Konzernleben geschrieben. Da wollte offensichtlich «etwas raus».
Für welches Unternehmen würden Sie ins HR zurückkehren?
Da muss ich aktuell passen. Ich bin seit einigen Monaten zum ersten Mal komplett selbstständig und geniesse das sehr. Falls ICS, die Firma hinter dem Wacken Open Air, irgendwann mal einen Personalleiter sucht: Da würde ich kurz überlegen.
Nico Rose
Apropos Rockstar: Insgesamt haben Sie sechs Bücher geschrieben. Das jüngste: «Hard & Heavy & Happy». Heavy-Metal-Musik mache glücklich, schreiben Sie dort. Weshalb?
Metal macht ja nicht jeden glücklich. Aber ich denke, es gibt eine eklatante Fehlwahrnehmung, wenn Menschen von aussen auf die Szene schauen: Heavy-Metal-Fans hören Musik, die oft aggressiv, bedrohlich oder traurig wirkt, und Aussenstehende sehen darin Menschen, die punkto Optik nicht wie «Glücksbärchis» daherkommen. Und dann folgern sie, dass alle Heavy-Metal-Fans unglücklich, aufgewühlt oder etwas in der Art sein müssten. Lässt man jedoch Headbanger über ihre Musik sprechen, nennen sie meist Attribute wie Frieden oder friedlich – für mein Buch habe ich über 6000 Metal-Fans befragt. Eine meiner Hypothesen ist, dass die Musik aufgrund ihrer Natur einen kathartischen, sprich emotional reinigenden Effekt hat. Aber natürlich nur bei den Fans. Das sind so etwa acht bis zehn Prozent der Menschen in Deutschland. Was diese besondere Spezies zum Ticken bringt, wollte ich in dem Buch herausarbeiten.
Ihre Lieblingsband?
Das sind zu viele. Gemessen an der Anzahl der Konzertbesuche dürften das aber Iron Maiden sein.
Warum Heavy Metal, nicht Goth, nicht Rock oder Electro?
Ich hörte in meiner späten Teenie-Phase auch Gothic Metal. Damals war ich oft traurig. Ich glaube, die Musik hat mir geholfen, das zu regulieren. Natürlich höre ich ab und zu auch Rockmusik, aber es gilt schon: je härter, desto besser. Ich liebe den Klang von stark verzerrten Gitarren, von extremer Geschwindigkeit, einer heftigen Doublebass-Attacke. Ich vermute, ich brauche dieses hochenergetische Element in der Musik. Ab und zu höre ich auch klassische Musik, aber auch eher Sachen, die ordentlich «scheppern», so wie Wagners Walkürenritt. Elektronische Musik macht einfach wenig mit mir. Wenn ich ab und zu mit meiner Frau ausgehe, hören wir gerne 90er-Hip-Hop: Dr. Dre, LL Cool J, The Notorious B.I.G. Das ist etwas Nostalgisches, dann fühlen wir uns wieder jung.
Braucht HR mehr Heavy Metal?
HR braucht keinen Metal. Ich habe das kürzlich anlässlich meines neuen Buches auf Einladung eines HR-Magazins augenzwinkernd geschrieben, aber das war natürlich arg konstruiert. Im Kern geht es mir um die Beobachtung, dass HR-Abteilungen in der organisationsinternen Machthierarchie vielerorts noch zu stark hintenanstehen. HR hat gefühlt und oft auch faktisch zu wenig zu sagen. Und das ist in erster Linie eine Machtfrage. Ich vereinfache das jetzt bewusst, aber HR zieht aufgrund seiner Aufgaben naturgemäss Menschen-Menschen an, keine Macht-Menschen. Man braucht aber Macht, um etwas für Menschen tun zu können. Die muss HR sich nehmen oder besser: organisieren. Das wiederum muss es wollen. Daher habe ich vorgeschlagen, dass HR und HRler gerne mal lauter, fordernder, polternder auftreten dürfen, um gehört zu werden.
Drei Tipps von Nico Rose, wie Sie Recruiting und Talentmanagement optimieren
- Investieren Sie in ein gutes Alumni-Management: Ist der Arbeitsmarkt leergefegt, wird Boomerang Hiring immer wichtiger. Das funktioniert aber nur, wenn man versteht, dass eine Beziehung zwischen Menschen und Unternehmen nicht endet, wenn der Arbeitsvertrag ausgelaufen ist. (Lesen Sie dazu: Wenn flexible Talente ins Unternehmen zurückkehren)
- Achten Sie mehr auf konkrete Kompetenzen und weniger auf Abschlüsse, wo es die rechtliche Situation zulässt: Im D/A/CH-Raum ist man noch sehr auf formale Qualifikationen versessen. Im Prinzip habe ich auch nichts dagegen: Ich selbst habe dreimal studiert. Das darf jedoch nicht den Blick verstellen oder zu sehr einengen. Mein Team bei Bertelsmann hat damals explizit ein Trainee-Programm für Geisteswissenschaftler entwickelt, die sich «trotz» des Studiengangs in General-Management-Rollen entwickeln wollten. Wir hatten es satt, immer tiefer und härter in den Kampf um die besten BWLer einzusteigen. Das funktionierte für uns sehr gut. Aus der ersten Kohorte ist eine der Personen mit knapp 30 in die Geschäftsführung von RTL aufgerückt, die anderen sind auch gut unterwegs.
- Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Führungsqualität und Retention: Unternehmen überwachen die meisten Themen sehr genau: Es gibt Kennzahlensysteme noch und nöcher. Nur bei der Messung von Führungsqualität schaut man, wenn überhaupt, eher so Pi mal Daumen hin. Ist der Arbeitsmarkt leergefegt, wird Retention aber umso wichtiger. Obstkörbe und Massagen sind nett, aber eher Symptombehandlung. Mein letzter Rat lautet daher: Fangen Sie an, die Diagnostik und Entwicklung von Führungsqualität wirklich, wirklich ernst zu nehmen.
Sie sind auch ein Employer-Branding-Spezialist. Was könnte HR in diesem Bereich besser machen?
Ich beschäftige mich seit vier Jahren nicht mehr intensiv damit, daher ist sicherlich einiges an mir vorbeigegangen. Generell glaube ich aber, dass viele Unternehmen immer noch einen Nachholbedarf haben, was das Erzählen von Geschichten angeht, weil man damit Herzen gewinnt. Andererseits habe ich auch gesehen, dass beim Storytelling einiges im Argen lag. Man kann ein Unternehmen nicht wie eine Tütensuppe oder ein Paar Turnschuhe vermarkten. Gerade Konzerne, Unternehmensberatungen und so manches erfolgreiche Start-up übertreiben es nach meinem Dafürhalten mit der Inszenierung. Der Moment der Wahrheit kommt dann in der Probezeit. Den Sweet Spot zwischen sich attraktiv zu zeigen und aufrichtig authentisch zu bleiben, haben noch nicht viele Unternehmen gefunden.
Ein Blick in die Zukunft: Wo sehen Sie die grössten HR-Herausforderungen?
In Westeuropa «Die grosse Arbeiterlosigkeit», wie sie Sebastian Dettmers, der CEO von StepStone, in einem Buch gerade beschrieben hat. Ich habe das Buch zwar noch nicht gelesen, aber die grossen Trends wie die demografische Entwicklung und der Mangel an qualifizierter Zuwanderung sind seit Jahrzehnten bekannt. Das Thema wird gerade besonders intensiv diskutiert, weil die letzten Babyboomer langsam, aber sicher in Rente gehen. Zudem hat die Corona-Pandemie in einigen Branchen den Mangel an Arbeitskräften in kurzer Zeit drastisch verschärft, etwa in der Gastronomie- oder in der Eventbranche.
Inwiefern sind Unternehmen dafür gerüstet?
Die einen mehr, die anderen weniger – wie immer. Das ist aber keine Frage, welche die Unternehmen für sich allein beantworten können. Hier braucht es mutige politische Weichenstellungen.