Sexuelle Belästigung

Jeder Zehnte beobachtet sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

In einer repräsentativen Studie gab jede zehnte arbeitstätige Person in der Schweiz an, dass Mitarbeitende in ihrem direkten Arbeitsumfeld in den letzten zwei Jahren sexuell belästigt worden seien. Das Management schaue oft weg, sagen die Macher der Studie.

Eine repräsentative Studie, welche die 4N6 Factory zusammen mit dem Meinungsforschungsinstitut GfK Switzerland AG im Dezember 2017 unter den erwerbstätigen Arbeitnehmenden in der Schweiz durchgeführt hat, zeigt, dass die Zahl der Belästigungen an den Schweizer Arbeitsplätzen erheblich ist:

  • Jeder zehnte der Befragten gab an, dass Mitarbeitende in seinem direkten Arbeitsumfeld in den letzten zwei Jahren sexuell belästigt worden seien.
  • Über sechs Prozent aller Befragten gaben an, im gleichen Zeitraum selbst Opfer sexueller Belästigungen geworden zu sein.
  • 9 Prozent aller befragten Frauen gaben an, in den vergangenen 24 Monaten selbst sexuell belästigt worden zu sein, während es bei den Männern knapp 3 Prozent sind.
  • 13 Prozent der befragten Frauen haben in den vergangenen 24 Monaten sexuelle Belästigungen im direkten Arbeitsumfeld beobachtet. Bei den Männern sind es knapp 7 Prozent.
  • Zwei Drittel aller Teilnehmenden haben im eigenen Unternehmen in den letzten 2 Jahren keine sexuelle Belästigungen beobachtet.
  • Knapp 15 Prozent der Teilnehmenden haben selbst zwar keine sexuelle Belästigungen in ihrem Arbeitsumfeld beobachtet, geben aber an, dass sie sich vorstellen können, dass solche in ihrer Unternehmung vorkommen oder vorgekommen sind.

Insgesamt wurden 1369 Arbeitstätige befragt, davon 655 Männer und 714 Frauen.

Deutlicher Anstieg interner Untersuchungen

«Ein Blick in die Praxis Schweizer Unternehmen zeigt einen deutlichen Anstieg der gemeldeten Fälle im Jahr 2017», sagt Lukas Fischer, Geschäftsleiter und Partner bei der 4N6 Factory, der mit seinem Team Fälle von Mobbing und sexueller Belästigung genauer unter die Lupe nimmt.

Die #MeToo-Debatte habe sicher auch dazu beigetragen, dass sich Opfer vermehrt trauen, Übergriffe von Vorgesetzten und Arbeitskollegen zu melden. Entsprechend sei auch die Zahl der internen Untersuchungen deutlich gestiegen: «Im letzten Jahr verzeichneten wir einen deutlichen Anstieg solcher Ermittlungen. Aus Unabhängigkeitsgründen werden wir in besonders heiklen Verdachtsfällen hinzugezogen, wenn beispielsweise Führungskräfte oder Geschäftsleitungsmitglieder involviert sind, oder wenn der Arbeitskonflikt eine hohe Eskalationsstufe erreicht hat.»

Zur Person

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Lukas Fischer, Geschäftsleiter und Partner der 4N6 Factory GmbH, ist seit mehr als 16 Jahren auf dem Gebiet der Wirtschaftskriminalistik tätig. Er hat umfangreiche Erfahrung mit Untersuchungen aller Arten von kriminellem Verhalten im Unternehmen, inklusive Mobbing und Belästigungen am Arbeitsplatz.

Klare Beweise gibt es selten

Ein Fall von Mobbing oder sexueller Belästigung zeichne sich dadurch aus, dass sowohl Opfer als auch Täter konkrete Handlungen, Äusserungen oder Gesten aus ihrer eigenen Perspektive beurteile, erklärt Fischer.

Wer der Wahrheit auf den Grund gehen möchte, müsse die Schilderungen aller Beteiligten (inklusive Zeugen) akribisch genau festhalten und kritisch prüfen. Klare Beweise gebe es in den seltensten Fällen. Deshalb sei es wichtig, den Kontext jedes einzelnen Vorfalls zu verstehen und alle Aussagen zu prüfen. Jede Person empfinde anders, deshalb sei Vorsicht geboten.

Dieselbe Handlung könne von der einen Person als angenehm empfunden werden, während sich eine andere Person davon belästigt fühle – je nachdem, von wem die Handlung kommt und wann, wo und auf welche Weise sie stattfindet. Zum Kontext würden zudem auch die Hintergründe der Handlungen gehören: Das persönliche Arbeitsumfeld, das unmittelbare Arbeitsklima sowie die vorherrschenden Arbeitsbedingungen.

Erst wenn alle Einzelheiten und der Kontext auf dem Tisch liegen, könne ein Gesamtbild gezeichnet, könnten mögliche Lösungen diskutiert und zweckmässige Massnahmen umgesetzt werden.

Es kann in alle Richtungen gehen

Es kommt laut Fischer auch vor, dass Mitarbeitende falsche Anschuldigungen machen und den Sachverhalt mit Unwahrheiten ergänzen, um ungeliebte Vorgesetzte aus dem Weg zu räumen, die ihnen nicht passen oder eine schlechte Beurteilung der Arbeitsleistung ausgestellt haben.

Solche Mitarbeitende hoffen insbesondere HR-Mitarbeitende so zu instrumentalisieren, damit diese Einfluss auf das Untersuchungsergebnis nehmen. Wer sich schon in einer ähnlichen Situation befunden hat, weiss, wie leicht man dazu neigt, voreingenommen Partei zu ergreifen.

Sowohl Opfer als auch potenzieller Täter haben ein Recht auf eine professionelle Aufarbeitung der Vorfälle. Deshalb sollten die Ermittler auch erfahren und unabhängig von sämtlichen Beteiligten sein. HR-Mitarbeitende, die Vorfälle im eigenen Team untersuchen, sollten daran denken, dass sie unter Umständen mit den Beteiligten weiterarbeiten müssen und so selbst Teil des Konflikts werden können.

Management drückt sich

Viele Unternehmen schreiben in ihren Verhaltenskodizes, dass jegliche Form von Diskriminierung, Belästigungen und Mobbing am Arbeitsplatz zum Schutz aller Mitarbeitenden nicht toleriert und hart bestraft wird. Das bedeutet, dass Mitarbeitende ermutigt werden sollten, solches Fehlverhalten direkt anzusprechen oder zu melden, damit angemessen reagiert werden kann.

«Wir stellen leider allzu oft fest, dass das Management sich vor unangenehmen Massnahmen drückt und hofft, dass sich der Konflikt mit einem Coaching beilegen lässt», sagt Fischer. «Dabei vergisst es, dass den betroffenen Mitarbeitenden in den meisten Fällen nicht zugemutet werden kann, dass die Arbeitssituation unverändert bleibt und die Betroffenen nebeneinander weiterarbeiten, als wäre nichts geschehen.»

Das Unternehmen bzw. das Management ist gesetzlich verpflichtet, allfälliges Fehlverhalten zum Schutz der Arbeitnehmenden sofort zu unterbinden. Das bedeutet, dass für die Beteiligten eine entsprechende Lösung gefunden werden muss, die diesem Erfordernis Rechnung trägt. Die örtliche Trennung und Veränderung des gegenseitigen Arbeitsverhältnisses der Konfliktparteien ist deshalb in den meisten Fällen unumgänglich.

Veranstaltung: Vorwurf der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz – wie weiter?

Gfk Switzerland und die 4N6 Factory widmen dem Thema «Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz» eine Abendveranstaltung, bei der Experten das Thema aus verschiedenen Fachbereichen und Perspektiven beleuchten. Der Schwerpunkt der Veranstaltung liegt in der Untersuchung solcher Fälle, den damit verbundenen Tücken und Besonderheiten sowie in möglichen Massnahmen zur Prävention.

  • Dienstag, 20. März 2018, 17:00 Uhr (Türöffnung 16:30)
  • GfK Switzerland AG, Schützengasse 4, Haus Stadthof, 3. Stock, 8001 Zürich (direkt beim Hauptbahnhof)
  • Anmeldung unter www.gfkevents.ch

 

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Peter Jonker ist Partner bei der 4N6 Factory GmbH und ein Experte auf dem Gebiet «Corporate Integrity». Er unterstützt seit vielen Jahren mit viel Engagement Unternehmen bei deren Bemühungen, die Werte und Normen ethischen Verhaltens in den Geschäftsaktivitäten zu stärken und aufrecht zu erhalten. Er verfügt zudem über umfangreiche Erfahrung bei der Untersuchung von Mobbing und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. www.4n6-factory.ch

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Silvan Winkler

Dr. Silvan Winkler, Leiter Diagnostik und Projekte bei der Jörg Lienert AG, ist Experte in den Bereichen Personalselektion und -diagnostik. Davor war er als HR-Berater bei PwC und in einer HR-Stabsfunktion bei der Credit Suisse tätig. Als promovierter Organisationspsychologe verfügt er über Erfahrungen in leitender Funktion in den Bereichen Management-Diagnostik, Mitarbeiter- und Organisationsforschung sowie People Analytics.

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