HR Today 3/23: Praktika und Traineeships

Junges Potenzial

Die Zeiten sind vorbei, in denen Praktikantinnen und Praktikanten zu unliebsamen Jobs verpflichtet wurden. Wie Unternehmen lernwillige und engagierte Fachkräfte ans Unternehmen binden.

Viele Absolventinnen und Absolventen arbeiten nach Abschluss nicht in ihrem ursprünglichen Studiengebiet. Und doch müssen sie sich im Verlauf des Studiums fragen, wie es später beruflich weitergehen soll. «Viele Studiengänge zielen nicht auf ein spezifisches Tätigkeitsfeld. Wir ermutigen Studierende deshalb, bereits während des Studiums Arbeitserfahrung zu sammeln und so herauszufinden, wo sie nach ihrem Abschluss arbeiten möchten», sagt Sandra Läderach Biaggi, diplomierte Laufbahnberaterin der Career Services UZH, Anlaufstelle für Karrierefragen an der Universität Zürich. Demnach ist ein Praktikum während der Semesterferien oder unmittelbar nach Studienabschluss ein Vorteil für Absolvierende wie auch für Arbeitgeber: Studierende sammeln erste Arbeitserfahrung, Arbeitgeber wiederum lernen gut ausgebildete Berufseinsteigende kennen und können diese mit «on the Job»-Lernen an ihr Unternehmen binden.

Raum für Ausbeutung

Praktikum, Traineeship und Volontariat sind keine geschützten Begriffe – somit kann jedes Unternehmen die Rahmenbedingungen bei diesen Anstellungen selbst festlegen. Diese Rechtsunsicherheit begünstigt Missbrauch: So erhalten Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger in manchen Fällen eine tiefe oder gar keine Entlöhnung und nehmen eine unbeliebte Arbeit in Kauf. Darüber schrieb der ZEIT-Autor Matthias Stolz erstmals 2005 in seinem Artikel «Generation Praktikum» und beklagte darin die geringen Einstiegschancen von Studierenden, die ungeregelten und prekären Anstellungsbedingungen und die endlos aneinandergereihten «Kettenpraktika», bis sie endlich eine Festanstellung fanden. Damit stiess er einen riesigen Diskurs an.

Wie stark die Schweiz von dieser Problematik betroffen war, ist unklar (siehe beispielsweise «Die erfundene Generation Praktikum», NZZ). Fakt ist: Anhand der Auswertung einer Studentenbefragung zwischen 1991 und 2005 stellte das Bundesamt für Statistik fest, dass die «Generation Praktikum» kein Schweizer Phänomen sei.1 Das war 2007, seither wurden keine neuen Zahlen erhoben. Das stösst in Fachkreisen auf Unmut. So bemängelt der Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS) in ihren Forderungen, dass Daten und Dokumentation Voraussetzung seien, um Praktika gesetzlich zu regeln. Auch Gewerkschaften befürchten, dass eine Zunahme von Praktika, auch in Form eines Vorlehrpraktikums, die Wahrscheinlichkeit missbräuchlicher Arbeitsbedingungen erhöht. Das von den Grünen im Jahr 2019 eingereichte Postulat, neue Daten zu erheben, wurde vom Bundesrat mit der Begründung aber abgelehnt, dass keine Anhaltspunkte bestünden, wonach Praktika schweizweit zu einem Einfallstor für prekäre Anstellungsbedingungen von Berufseinsteigenden geworden seien. Des Weiteren unterstehe das Praktikumsverhältnis als befristetes oder unbefristetes Arbeitsrecht den Regeln des privaten Arbeitsrechts und geniesse deshalb dieselben gesetzlichen Schutzbestimmungen.

Höhere Erwartungen

Sich an die Richtlinien des Kantons und des Bundes zu halten, liegt im Interesse der Unternehmen. Denn inzwischen buhlen Unternehmen um die Aufmerksamkeit der jungen Talente, die sich in den Hallen der Universitäten tummeln. «Studierende und Studienabgänger können im Moment aus zahlreichen Stellenangeboten und Einstiegsmöglichkeiten auswählen», sagt Sandra Läderach Biaggi und verweist als Beispiel auf die gut entlöhnten Praktikumsstellen, die auf dem Karriereportal uzhcareer.ch ausgeschrieben sind. In ihren Ratgebern ermutigen die Career Services UZH Studierende, sich nach spannenden Arbeitgebern umzusehen, die ihnen herausfordernde Aufgaben zuteilen. Und mahnen: «Verzichtet auf Praktika ohne Lerneffekt und ohne Bezahlung.» Das empfiehlt auch Seraina Campell, Co-Präsidentin Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS): «Unternehmen dürfen Praktikantinnen und Praktikanten nicht als billige Arbeitskräfte betrachten und müssen den Weiterbildungsaspekt ernst nehmen.» Problematisch seien auch unrealistische Erwartungen an junge Berufseinsteigende. Viele arbeiten zwar während des Studiums, doch ein zu hohes Pensum erhöhe den ohnehin steigenden Druck auf Studierende (siehe dazu «Soziale und wirtschaftliche Lage der Studierenden (SSEE)», Bundesamt für Statistik).

Doch was macht ein attraktives Praktikum aus? «Wenn Unternehmen und Praktikantinnen und Praktikanten sich auf Augenhöhe begegnen», antwortet Läderach Biaggi. Das bedeutet, dass sich Praktikantinnen und Praktikanten trotz ihrer befristeten Anstellung als Teil des Teams und des Unternehmens fühlen. Praktikumsinhalte müssten interessant und vielfältig sein, idealerweise bestehe auch die Möglichkeit der Rotation in verschiedenen Abteilungen. Damit das Praktikum keiner regulären Anstellung gleiche, müsse es zudem einen didaktischen Mehrwert haben, schreibt der VSS. Dazu gehört Zeit für Selbstreflexion und Feedback, um Praxis und Theorie miteinander zu vereinbaren.2 Dieser Aufwand lohne sich, denn was Unternehmen in Praktikantinnen und Praktikanten investieren, erhalten sie um ein Vielfaches zurück. Beispielsweise ein neues, qualifiziertes und motiviertes Teammitglied. «Stimmt die Chemie, werden Praktikantinnen und Praktikanten häufig in eine Festanstellung befördert», weiss Sandra Läderach Biaggi. «Mit einem Praktikum können beide Seiten testen, ob die Zusammenarbeit passt und ob eine junge Fachkraft in den Job hineinwachsen kann.»

Checkliste für faire Praktika

gemäss Career Services UZH

Kriterien der Arbeitsinhalte

  • Adäquates Anforderungsniveau
  • Vielfältigkeit der Aufgaben
  • Anwendungsbezug zum Studium
  • Realitätsabbildung und Lerneffekt

Arbeits- und Organisationsbezug

  • Einbindung in Team und in Arbeitsprozesse
  • Möglichkeiten zum teamübergreifenden Networking
  • Selbständigkeit in der Aufgabenerledigung

Betreuung

  • Anleitung und Führung sowie eine klar definierte Ansprechperson
  • Regelmässiges Feedback inkl. Besprechung der ­Selbstreflexion

Rahmenbedingungen

  • Angemessene und festgelegte Dauer: 3–6 Monate, ­ um sich in die Aufgabe vertiefen zu können (Ausnahme: Schnupperpraktika kürzer)
  • Arbeitszeugnis
  • Angemessenes Salär
  • Zeit für Selbstreflexion

Die Career Services der Universität Zürich unterstützen Studierende, Doktorierende und Postdocs beim Übergang von der Universität ins Berufsleben und bringen sie mit Fakultätsmitgliedern, Alumni und Arbeitgebern zusammen. careerservices.uzh.ch


Quellen:

1«Generation Praktikum – Mythos oder Realität?», Medienmitteilung des Bundesamtes für Statistik, 23.08.2007
2Mottet, Pauline. «Le stage: une nouvelle étape vers l’insertion professionnelle des étudiants universitaires?» Mémoire de Master, Université de Lausanne (2016), S. 20.

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Online-Redaktorin, HR Today. jc@hrtoday.ch

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