HR Today Nr. 4/2022: Serie – Sozialversicherungen

Knackpunkt Berufskrankheit

Damit Firmen leistungsfähig bleiben, wird das betriebliche Gesundheits­management immer wichtiger. Dazu gehören auch die Fragen, wie sich Berufskrankheiten vermeiden lassen und inwiefern Long Covid dazu gehört.

Die soziale Unfallversicherung deckt neben Unfällen vor allem berufsbedingte Erkrankungen, die ab ihrem Ausbruch dem Berufsunfall gleichgestellt sind. Eine Anerkennung als Berufskrankheit kann über die soziale Absicherung eines Versicherten entscheiden, weil die Leistungen der Unfallversicherung deutlich besser ausgestaltet sind als jene der Krankenversicherung – beispielsweise wegen einer fehlenden Selbstbeteiligung und der UV-Dauerleistungen.

Berufsrisiko als Abgrenzungsmerkmal

Jede Krankheit kann eine Berufskrankheit darstellen, sofern nachweisbar ist, dass die Krankheit mindestens zu 75 Prozent durch die berufliche Tätigkeit verursacht wurde. Dieser Nachweis kann in der Regel jedoch kaum erbracht werden. Das gilt besonders für berufsassoziierte Beschwerden wie Kopfschmerzen oder innere Spannungen, die vielfach mehrere Ursachen haben. Allgemein setzt die Rechtsprechung voraus, dass eine versicherte Person während einer bestimmten Zeit einem typischen Berufsrisiko ausgesetzt war. Geprüft wird beispielsweise, ob der oder die Berufstätige mindestens viermal häufiger von einem Leiden betroffen ist als der Bevölkerungsdurchschnitt.

Diese (bewusst) enge Umschreibung der Berufskrankheit führte beispielsweise dazu, dass das Bundesgericht den Bandscheibenvorfall eines Postbeamten, eines Gipsers sowie eines Schauspielers nicht als Berufskrankheiten anerkannte. Das stösst in der Lehre teilweise auf Kritik. Kritisiert wird die Einschränkung, wonach der Versicherungsschutz entfällt, wenn eine Erkrankung berufsbedingt, aber nicht «berufstypisch» ist. Kritische Stimmen möchten Arbeitgebende für alle arbeitsbedingten Gesundheitsrisiken verantwortlich machen. Das korreliert mit der Pflicht der Arbeitgebenden, berufsbedingte Gesundheitsschädigungen generell zu verhüten.

Die Beweisschwierigkeiten wurden bei gewissen Krankheiten mittlerweile entschärft. So enthält beispielsweise die Verordnung über die Unfallversicherung eine Liste krankmachender Stoffe und arbeitsbedingter Krankheiten wie Asbeststaub und Staublungen. Damit eine Berufskrankheit vorliegt, genügt in diesen Fällen, dass die Listenstoffe im Ursachenspektrum der Krankheit überwiegen. Ist eine Krankheit auf der Liste der Berufskrankheiten zu finden, wird die Arbeit als Ursache vermutet, solange die konkreten Umstände des Einzelfalls nicht dagegensprechen.

Covid als Berufskrankheit?

Aktuell zeigt etwa die Corona-Krise, wie umstritten die Anerkennung einer Berufskrankheit sein kann. «Infektionskrankheiten bei Arbeiten in Spitälern, Laboratorien, Versuchsanstalten und dergleichen» werden in der Liste der anerkannten Berufskrankheiten geführt. Auch Covid-19 ist unstrittig eine Infektionskrankheit. Dennoch bereitet die Auslegung dieser Norm Mühe: Sind alle Angestellten eines Spitals erfasst oder nur jene, die besonders exponiert und dadurch einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind, weil sie mit infizierten Patientinnen und Patienten arbeiten? Können nur Einrichtungen des Gesundheitswesens (beispielsweise Alters- und Pflegeheime, Spitex-Betriebe, Rettungssanitäten etc.) oder auch andere Branchen (beispielsweise Bauhauptgewerbe, Hochschulen) den Spitälern gleichgestellt werden? Über diese Fragen schweigt sich das Gesetz aus. Klärende Antworten der Gerichte sind ausstehend.

Wird eine Listenkrankheit verneint, ist eine Anerkennung als Berufskrankheit in der Praxis ein dorniger Weg – insbesondere aufgrund der hohen Kausalitätshürde von Nicht-Listenkrankheiten (mindestens 75 Prozent-Verursachung durch berufliche Tätigkeit). In Anlehnung an die teilweise kritisierte Rechtsprechung setzt die Suva voraus, dass die Versicherten für eine gewisse Dauer einem typischen Berufsrisiko ausgesetzt waren, beispielweise mehrfachem und längerem bewussten Kontakt mit infizierten Personen.

Verhütung von Berufskrankheiten

Berufskrankheiten sind kostenintensiv, weshalb das Bonmot «Verhüten ist besser als vergüten» besonders wichtig ist. Arbeitgebende sind verpflichtet, alle Massnahmen zu treffen, um berufsbedingte Gesundheitsschädigungen zu verhüten. Diese müssen der Erfahrung nach notwendig, gemäss dem Stand der Technik anwendbar und den gegebenen Verhältnissen angemessen sein. Arbeitnehmende wirken bei der Umsetzung der Massnahmen mit. Arbeitgebende tun gut daran, Berufskrankheitsrisiken systematisch zu ermitteln, bei Bedarf unter Beizug von Arbeitssicherheitsspezialistinnen und -spezialisten. Bei besonders gefährlichen Arbeiten führt die Suva Eignungsuntersuchungen durch. Sind Arbeitnehmende für diese Arbeiten ungeeignet, richtet die Unfallversicherung Übergangsleistungen aus.

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Dr. iur. Philipp Egli, Rechtsanwalt, Dozent und Leiter des Zentrums für Sozialrecht an der ZHAW in ­Winterthur.

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Marc Wohlwend, MLaw, Rechtsanwalt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Sozialrecht an der ZHAW und Doktorand im Doktoratsprogramm ­Biomedical Ethics and Law / Law Track an der Universität Zürich.

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