Sonja Stark-Traber: «Bei Pflicht-verletzungen können Arbeitgeber nötigenfalls auch mittels Kündigung eingreifen.»
Jeder Mitarbeitende hat gemäss Rechtsprechung das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Dazu gehört, dass es ihm freisteht, eine andere Tätigkeit zu suchen – selbst wenn ein bestehendes Arbeitsverhältnis noch nicht gekündigt wurde. Die Stellensuche aus einer ungekündigten Position heraus hat für einen Mitarbeitenden zweifellos Vorteile und ist im Alltag entsprechend gang und gäbe.
Allerdings hat die Stellensuche bei ungekündigtem Arbeitsverhältnis auch Grenzen. Der Mitarbeitende darf bei seinen Suchbemühungen insbesondere die berechtigten Interessen des aktuellen Arbeitgebers nicht beeinträchtigen.
So stellt Art. 329 Abs. 3 OR klar, dass der Mitarbeitende nur nach bereits erfolgter Kündigung Anspruch auf die für die Stellensuche erforderliche Zeit hat und zu diesem Zweck in beschränktem Umfang dem Arbeitsplatz fernbleiben darf.
Im ungekündigten Arbeitsverhältnis hat der Mitarbeitende seine Suchbemühungen in die Freizeit zu verlegen oder dafür Ferien zu beziehen.
Führt der Mitarbeitende während der Arbeitszeit Vorstellungsgespräche oder stellt er beispielsweise am Arbeitsplatz seine Bewerbungsunterlagen zusammen und verschickt diese dann gar noch über seine geschäftliche E-Mail-Adresse, so verletzt er damit seine vertragliche Arbeitspflicht.
Auch aus Sicht der arbeitsrechtlichen Treuepflicht kann eine Stellensuche im ungekündigten Arbeitsverhältnis heikel werden. Dies zum Beispiel dann, wenn ein Mitarbeitender im Hinblick auf einen Wechsel zur Konkurrenz Kontakt mit Kunden aufnimmt, um sie abzuwerben.
Oder wenn er sich im Hinblick auf die neue Stelle schon einmal vorsorglich Daten des Arbeitgebers sichert, um diese beim neuen Arbeitgeber weiterzuverwenden. Eine Treuepflichtverletzung wurde vom Bundesgericht auch in einem Fall bejaht, als zwei Mitarbeitende kurz nach Antritt einer auf zwei Jahre befristeten Stelle per Inserat eine neue Tätigkeit ab sofort suchten. Die Absicht war klar: Der bestehende Arbeitsvertrag drohte gebrochen zu werden.
Eine Verletzung der Arbeits- oder Treuepflicht durch den Mitarbeitenden im Rahmen der Stellensuche, kann für den Arbeitgeber ein wichtiger Grund sein, das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen.
In der Regel ist der Mitarbeitende jedoch vorher zu verwarnen. Deshalb empfiehlt sich für Arbeitgeber, die den Verdacht oder konkrete Kenntnis haben, dass sich ein Mitarbeitender auf dem Absprung befindet, ein Augenmerk auf mögliche Pflichtverletzungen zu richten. So können sie nötigenfalls – auch mittels Kündigung – rechtzeitig eingreifen.