Learnfluencer werden?
Unternehmen stehen vor einer Herausforderung: Lernen wird Teil des Arbeitsalltags, Führungskräfte müssen Vorbilder sein. Digitale Formate und Eigenverantwortung ersetzen Präsenzseminare – doch das reicht nicht, um den Wandel zu meistern.
Begeisterung für Wissen ist ansteckend. (Bild: iStock)
Der Change- und somit Lernbedarf in den meisten Unternehmen steigt – bereichsübergreifend. Deshalb kann er oft nicht mehr zeitnah mit zentral organisierten Massnahmen befriedigt werden; auch weil der Lernbedarf der Bereiche und deren Mitarbeitern immer spezieller und individueller wird.
Deshalb verlagert sich im Betriebsalltag die Verantwortung dafür, dass die erforderlichen Lern- und Entwicklungsprozesse erfolgen, zunehmend auf die Führungskräfte oder sie obliegt der Eigenverantwortung ihrer Mitarbeiter. Sie müssen zunehmend selbst dafür sorgen, dass sie attraktive Arbeitnehmende sind und bleiben. Und ihre Arbeitgebende, die Unternehmen? Sie stehen vor der Herausforderung in ihrer Organisation, die hierfür erforderlichen Lernlandschaften und -kulturen zu schaffen.
Lernen wird ein integraler Teil des Arbeitsalltag
Mit Präsenzworkshops allein gelingt uns der angestrebte Change nicht. Denn sie erfüllen in der modernen Arbeitswelt, in der das Lernen ein kontinuierlicher Prozess sein sollte, die erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr; unter anderem, weil sie nicht flexibel genug handhabbar sind.
So erfordern zum Beispiel Präsenzseminare stets eine längere Vorbereitung. Ausserdem sind sie oft mit tagelangen Abwesenheiten im Betrieb sowie zeitraubenden An- und Abreisen verknüpft. Zudem lassen sie sich häufig nur schwer in die prall gefüllten Terminkalender der Teilnehmenden integrieren. Ähnliches gilt für Präsenzcoachings. Deshalb setzen die Unternehmen bei ihrer Personalentwicklung verstärkt auf digitale Lernformate. Mit ihnen lassen sich Lernprozesse oft interaktiver und individueller sowie effektiver gestalten; speziell dann, wenn sie mit den traditionellen Lehr- und Lernmethoden zu sogenannten Blended-Learning-Konzepten verknüpft werden.
Doch den Mitarbeitenden die erforderliche Lerninfrastruktur und die nötigen Lerntools zur Verfügung zu stellen, genügt in der Praxis meist nicht, um diese zu einem systematischen Lernen zu animieren. Das hat die Vergangenheit gezeigt. Vielmehr muss das Gros von ihnen zum Lernen animiert werden. Zudem sollten die Mitarbeitende in ihren Lern- und Entwicklungsprozessen unterstützend begleitet werden.
«Facilitator» und «Learnfluencer» zugleich
Deshalb boomt in der Weiterbildungsszene gerade der Begriff «Learnfluencer» – in Anlehnung an den Begriff «Influencer», den man aus dem Social-Media-Bereich kennt. Als «Learnfluencer» werden im betrieblichen Kontext die Personen bezeichnet, die darauf hinarbeiten,
- die intrinsische Motivation der Mitarbeitende für das Lernen zu stärken,
- das individuelle und kollektive Lernen in dem jeweiligen Bereich oder Unternehmen zu verzahnen und
- in ihnen eine Lernkultur zu etablieren, die verstärkt auf Eigenverantwortung setzt.
Hierbei kann es sich ausser um Führungskräfte, auch um firmeninterne Weiterbildner oder externe Berater, Trainer, Coaches handeln – also alle Personen, die in der betrieblichen Weiterbildung nicht selten auch als «Facilitator», also Ermöglicher, bezeichnet werden. Anders als dieser Begriff betont der Begriff «Learnfluencer» jedoch stärker die Funktion, für ein eigenständiges und -verantwortliches Lernen und die hierfür nötigen Einstellungs- und Verhaltensänderungen zu werben.
Führungskräfte haben eine Vorbildfunktion
Eine Schlüsselrolle beim Etablieren einer neuen Lernkultur in Unternehmen spielen stets die Führungskräfte, denn sie sind die zentralen Ansprechpartner der Mitarbeitende in ihrem Bereich. Es ist wichtig, dass sie als Vorbilder in Sachen Lernen fungieren. Das erfordert auch von ihnen nicht selten eine Verhaltensänderung. So sollten sich Führungskräfte zum Beispiel im Dialog mit ihren Mitarbeitende auch selbst als Lernende präsentieren; also als Personen, die
• sich ebenfalls in einem kontinuierlichen Lernprozess befinden und • bestrebt sind, sich neues Know-how und neue Fähigkeiten anzueignen, um ihre Wirksamkeit zu erhöhen, was sich ausser in ihrer Bereitschaft, Gewohntes zu hinterfragen, auch in ihrem Weiterbildungsverhalten zeigt.
Deshalb sollten Führungskräfte offen über ihre eigenen Weiterbildungsbedarfe und Lernaktivitäten sprechen.
Learnfluencer kreieren zudem in ihrem Umfeld ein Milieu, in dem es erlaubt ist, Fehler zu machen, um hieraus zu lernen. Denn wenn die Mitarbeiter bei Fehlern sofort am Pranger stehen, trauen sie sich nicht, Neues auszuprobieren. Also findet weder bei ihnen noch in der Organisation eine Entwicklung statt. Das Gegenteil hiervon wollen Learnfluencer. Also sind sie auch offen für ein konstruktives Feedback ihrer Mitarbeitenden – auch bezüglich ihres eigenen Verhaltens. Denn dies hilft ihnen, Lernfelder bei sich zu entdecken und ihr Verhalten zu optimieren.
Sich mit den digitalen Lerntools befassen
Dabei sollte Führungskräften jedoch stets bewusst sein, dass das Lernen in ihrer Organisation kein Selbstzweck ist. Es dient vielmehr dazu, die angestrebten Ziele zu erreichen und dass jeder Beteiligte auch künftig seinen Beitrag hierzu leistet. Deshalb definiert eine Führungskraft, die sich als Learnfluencer versteht, ausser für sich selbst, auch für ihr Team Lern- und Entwicklungsziele – im Dialog mit ihren Mitarbeitenden. Sie schafft zudem nicht nur im eigenen Kalender die nötigen Freiräume für ein effektives Lernen, sie sorgt auch dafür, dass ihre Mitarbeitende Lernphasen in ihre Arbeit integrieren können, denn: Lernen erfordert stets Zeit.
Learnfluencer beschäftigen sich zudem intensiv mit der Frage, wie mittels Digitalisierung neue, interaktive Lernumgebungen geschaffen werden können, bei denen das individuelle Lernen in ein kollektives mündet. Sich mit diesem Thema zu befassen, wird immer wichtiger, weil die Zusammenarbeit und Kommunikation in den Unternehmen zunehmend online erfolgt. Zudem sind insbesondere die nachrückenden Mitarbeitende der Generation X und Y es inzwischen gewohnt mit Kollegen virtuell zusammenzuarbeiten und zu kommunizieren und mit Hilfe digitaler Medien wie Lern- und Coachingapps zu lernen- Deshalb erwarten sie heute ganz selbstverständlich, dass die Digitalisierung auch in der betrieblichen Weiterbildung und Personalentwicklung genutzt wird.
Social Media sind wichtige Austausch-Foren
Eine immer wichtigere Rolle spielen beim Schmieden zeitgemässer Lernarchitekturen die Social Media – speziell in Klein- und Mittelunternehmen (KMU), die über keine eigenen firmeninternen, digitalen Lern- und Kommunikationsplattformen verfügen. Sie sind heute auch im beruflichen Kontext ein mächtiges Tool, um Menschen zu erreichen und zu inspirieren.
Führungskräfte können solche Plattformen wie LinkedIn, Instagram, YouTube und X zum Beispiel nutzen,
- um Lerninhalte mit anderen Personen zu teilen,
- Diskussionen zwischen und mit ihnen anzuregen und
- Lern-Communities zu schaffen.
Sie können über sie beispielsweise regelmässig für das Erreichen der Lernziele relevante Artikel, Videos oder Podcasts mit anderen Personen teilen. Zudem können sie in ihnen über ihre Lernerfahrungen berichten und ihre Mitarbeitende dazu animieren, es ihnen gleichzutun, so dass im Team ein authentischer Dialog entsteht, der das kollektive Lernen vorantreibt. Dasselbe kann selbstverständlich auch auf den firmeninternen Lernplattformen geschehen, sofern diese zur Verfügung stehen.
Das Lernen und die Kommunikation hierüber stimulieren
Wichtig ist jedoch, dass die Animation zum Lernen kein singuläres Ereignis ist, sondern mit System erfolgt. So zum Beispiel, weil die Führungskräfte auf der genutzten Plattform immer wieder Lernimpulse setzen, indem sie ihren Mitarbeitern sogenannte «Learning Nuggets» senden. Hierbei handelt es sich um kleine, leicht verdauliche «Lernhäppchen» deren Inhalte in kurzer Zeit auf- und verarbeitbar sind. Das können zum Beispiel Artikel, Videos, Infografiken oder Podcasts sein.
Wichtig ist es zudem, in der Kommunikation immer wieder das Thema Lernen selbst zu thematisieren; ausserdem die Mitarbeitende zu ermutigen, ihr Wissen zu teilen und voneinander zu lernen – beispielsweise indem sie Lern-Communities oder interdisziplinäre Arbeitsgruppen bilden. Denn letztlich lautet das übergeordnete Ziel aller Learnfluencer,
- in ihrem Umfeld ein Milieu zu schaffen, das ausser dem individuellen auch das kollektive Lernen fördert, und
- dass in ihrem Verantwortungsbereich eine Lernkultur entsteht, in der jeder Einzelne intrinsisch motiviert, sich und seine Fähigkeiten weiterentwickelt.
Sich für die Transformation der Weiterbildung wappnen
Sich als Führungskraft für das Entstehen einer solchen Kultur zu engagieren, ist auch wichtig, weil meines Erachtens aktuell die betriebliche Weiterbildung und Personalentwicklung an der Schwelle einer beispiellosen Revolution steht, in der die Künstliche Intelligenz (KI) ausser der Zusammenarbeit auch das Lernen in den Betrieben fundamental verändern wird. Wie diese Transformation sich konkret gestaltet, kann aktuell noch niemand mit Gewissheit sagen.
Klar ist aber bereits: Mit Hilfe der Digitalisierung, zu der auch die KI zählt, werden in den Betrieben ganz neue Lernlandschaften geschaffen werden. Und hierfür sollten die Führungskräfte und Weiterbildende in den Unternehmen sich wappnen … auch damit sie zu den Mitgestaltern der neuen Kultur und Struktur zählen und nicht von den Veränderungen überrollt und zur Seite gefegt werden.