HR Today Nr. 11&12/2022: Digitalisierungsprozesse hinterfragen

Menschlichkeit trotz Digitalisierung

Nicht immer ist sofort ersichtlich, welche HR-Prozesse digitalisiert werden können. Worauf zu achten ist, weshalb sich das lohnt und wie man trotzdem persönlich bleibt.

HR-Prozesse werden häufig um der Digitalisierung Willen digitalisiert. Doch ein schlechter ­Prozess, bleibt ein schlechter – auch in digitaler Form. Das findet auch Stefanie Mathis, Senior Transformation Consultant beim Beratungsunternehmen «tts Talent Management Consulting GmbH». «Das geschieht oft, wenn Anwenderinnen und Anwender nicht allzu stark in ihrer ­Komfortzone erschüttert werden sollen. Oder es fehlt an Vorstellungskraft oder Mut.» Deshalb nähern sich Firmen lieber häppchenweise ihren Zielen, anstatt radikale Neuerungen einzuführen. Manchmal brauche es Innovation, manchmal genüge es, einen Prozess eins zu eins zu ­digitalisieren.Das sieht auch Ralf Ploner, Senior Manager bei der Avenir Group so: «Man kann die HR-Digitalisierung auch pragmatisch angehen. Es ist legitim, HR-Prozesse an einer neu ­eingeführten Technologie auszurichten.»

Beispielsweise, um ein Bewerbermanagement-System zu implementieren. «Sollen HR-Prozesse dagegen effizienter werden, kommt ein Unternehmen nicht darum herum, seine HR-Abläufe zu überarbeiten.» Zu Problemen bei der Digitalisierung von HR-Prozessen kommt es für die Recruiting-Spezialistin und Inhaberin der ­Recruitment Process GmbH, Weiji Stocker, vor allem dann, wenn das technische Verständnis und das Interesse dafür fehlt. Kein Wunder: ­«Häufig bekommen HR-Fachleute solche ­Aufgaben zusätzlich zum Tagesgeschäft aufgebrummt.» Daher rührt auch der fehlende Enthusiasmus vieler Beteiligter. «Ein gewisses Interesse für die Digitalisierung sollte man aber schon mitbringen und diese Veränderung als Chance begreifen, bestehende Prozesse zu überarbeiten.»

Gute und schlechte HR-Prozesse

Gute und schlechte HR-Prozesse unterscheiden sich. Doch wie erkennt man sie? «Ein schlechter Recruiting-Prozess ist nach innen gerichtet, bürokratisch und langwierig», sagt Stocker. Ähnlich sieht das Ploner: «Bei einem schlechten Prozess durchläuft eine unerledigte Arbeit unnötig viele Instanzen. Gut ist ein HR-Prozess dagegen, wenn möglichst wenige Rollen involviert sind und es keine Prozessunterbrüche gibt.»

Für Mathis müssen HR-Prozesse zudem benutzerfreundlich und verständlich sein. Um bei der Gestaltung eines HR-Prozesses alle Eventualitäten zu berücksichtigen, sollten gemäss Stocker zudem alle Betroffene beteiligt werden. «Vom HR- über das Hiring-Team, den Kandidatinnen und Kandidaten bis hin zu Personalvermittelnden.» Gelinge das nicht, investiere das Unternehmen unter Umständen viel Zeit und Geld in ein digitales HR-System, das nur rudimentär genutzt werde.

Unzufriedenheit bringt Fortschritt

Prinzipiell kann vieles digitalisiert werden. Doch wie lassen sich die dafür geeigneten Prozesse identifizieren? «Durch die grosse Unzufriedenheit der Mitarbeitenden», meint Ralf Ploner. «Zudem durch die Zahl der administrativen Tätigkeiten, etwa die manuelle Datenübertragung von einem System auf das andere.» Immer dann, wenn sich die Frage stellt, ob Kosten oder Zeit gespart werden oder sich die Qualität des HR-Prozesses verbessert, ergänzt Stefanie Mathis.

Beispielsweise bei Routinearbeiten mit vielen ähnlichen Arbeitsschritten oder Prozesse, die von überall her erledigt werden können – etwa Terminbuchungen für Interviews ohne langes Hin und Her zwischen Vorgesetzten, HR und Bewerbenden, Absagen an Bewerbende oder die Suche nach passenden Kandidatinnen und Kandidaten über Keywords in der Bewerber-Datenbank. Bei der Kosten-, Zeit- und Qualitätsfrage komme es allerdings immer wieder zu Zielkonflikten, weiss Stefanie Mathis. «Das kann die Digitalisierung nicht lösen.» Bei einer Investition müsse ein Unternehmen deshalb immer abwägen, in welchem Verhältnis der Nutzen zum Aufwand stehe.

Die Frage, ob HR einen Prozess mit eigener Technologie inhouse oder über eine externe Plattform erbringen soll, stellt sich für Mathis immer dann, wenn der eigene Aufwand zu gross wird. ­Beispielsweise, weil ein Unternehmen die dafür benötigte Technologie selbst kreieren müsste, es auf dem Markt aber Anbietende gibt, die sich darauf spezialisiert haben und diese HR-Aufgaben schneller und innovativer abwickeln können. «Job-Postings lassen sich beispielsweise mittels künstlicher Intelligenz attraktiver gestalten.»

Standardisiert und unmenschlich?

Digitalisierung bedeutet ein Stück weit, Prozesse zu standardisieren. Dabei kann die Menschlichkeit schon mal vergessen gehen. «In 99 Prozent der Fälle wird dieselbe gleichlautende Botschaft emotionslos ohne Wertschätzung vermittelt», sagt Weiji Stocker. «Deshalb sollte man sich immer fragen, «wie» man eine Nachricht übermittelt bekommen möchte.»

Dass die Technologie die Kommunikation dafür vereinfacht, ist für Tamara Hoffmann, Senior Talent Management Consultant bei «tts Talent Management Consulting GmbH» offensichtlich: «Fallen zeitaufwändige administrative HR-Aufgaben weg und haben Recruiter und Recruiterinnen mehr Markttransparenz, können sie mehr Zeit in den Kontakt zu Bewerbenden investieren. Mit einer Recruiting-Lösung können sie beispielsweise auf Talentpools, Kandidatenlisten und übersichtliche Dashboards zugreifen und haben damit die beste Voraussetzung, den Kontakt zu Bewerbenden aufrechtzuerhalten.» Ausserdem könnten Kandidatinnen und Kandidaten so über passgenaue Karrierewebsites angesprochen werden.

Abschreckende Komplexität

Komplizierte Prozesse sind nicht nur für HR-Fachkräfte ärgerlich. Oft schrecken sie auch qualifiziertes Personal ab, etwa durch Videoaufzeichnungen, bei denen Bewerbende viel von sich preisgeben, während sich die Arbeitgeberseite in Schweigen hüllt. «Die Akzeptanz von asynchronen Videos ist häufig besser als man denkt», entgegnet Ralf Ploner. «Aus Sicht der Bewerbenden können sie zu jeder Tages- oder Nachtzeit ein Interview durchlaufen.»

Etwas kritischer sieht das Stocker: «Bewerbende wissen oft nicht, wie sie solche Video-Interviews angehen sollen. Es fehlt der menschliche Kontakt.» Es besteht somit ein Dafür und Dawider: Einerseits wird der Recruiting-Prozess beschleunigt, andererseits bleibt das Menschliche auf der Strecke. Ob sich die eingesparten Kosten und die Zeit sowie die Qualität der erbrachten HR-Dienstleistung «beissen» ist in diesem wie jedem anderen HR-Prozess jeweils abzuwägen.

Checkliste: Wann ist Digitalisierung sinnvoll?

  1. Analysieren Sie Ihr HR-Dienstleistungsportfolio und die dahinterstehenden Prozesse. Sind diese teilweise oder ganz ­digitalisierbar, oder nicht? Kennzeichnen Sie diese mit Ja oder Nein.
  2. Wo befinden sich Ihre grössten Baustellen? Priorisieren Sie diese und überlegen Sie, wie Sie diese mit digitalen Mitteln beheben können.
  3. Informieren Sie sich laufend intern und extern über veränderte oder neue Systeme, Funktionalitäten und Applikationen.
  4. Bauen Sie Bestehendes aus und ­vernetzen Sie sich mit Expertinnen und Experten.
  5. Laufen Sie nicht einfach Trends hinterher, sondern beurteilen Sie, welche der unzähligen Möglichkeiten Ihr Bedürfnis erfüllt, zu Ihrer Kultur oder zum Mindset passt.
  6. Sprechen Sie über Ihre Erfahrungen. Was hat sich bewährt, was hat einen grossen Einfluss, was minderte Probleme?
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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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