Sexuelle und sexistische Belästigung am Arbeitsplatz

Nein, heisst Nein!

Ein respektvolles und belästigungsfreies Arbeitsklima sollte für jedes Unternehmen erstrebenswert sein. Ausserdem sind Arbeitgebende gesetzlich dazu verpflichtet, die Arbeitnehmenden zu schützen. Die Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich berät, unterstützt und begleitet Unternehmen bei der Prävention von sexueller und sexistischer Belästigung am Arbeitsplatz – neuerdings mit einer Weiterbildung extra für KMU. Ein Gespräch mit der Leiterin der Fachstelle, Anja Derungs.

Das Angebot «KMU konkret +» richtet sich – wie der Name schon sagt – an KMU. Wieso an diese Unternehmensgrösse?

Anja Derungs: Über 99% aller Unternehmen in der Schweiz sind Klein- und Mittelunternehmen. Zwei Drittel der Beschäftigten in der Schweiz sind in KMU tätig. Seit 1996 verbietet das Gleichstellungsgesetz (GlG) die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Erwerbsleben; von der Anstellung über den Lohn, die Weiterbildung und die Kündigung bis hin zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz. Und dennoch: Eine Befragung von gfs.bern im Auftrag von Amnesty International zeigte 2019, dass 33 Prozent der befragten Frauen ab 16 Jahren an ihrem Arbeitsplatz eine kritische Situation erlebt haben.

Ein ähnliches Bild zeigt eine Studie vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und dem Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) aus dem Jahr 2008: Von den Befragten wurden 30 Prozent der Frauen und 10 Prozent der Männer mindestens einmal in ihrer Berufslaufbahn Opfer von sexueller oder sexistischer Belästigung am Arbeitsplatz. Dies gilt für alle Unternehmen, unabhängig ihrer Grösse.

Je grösser das Unternehmen ist, desto schneller werden doch allfällige Probleme «unter den Teppich gekehrt». Stimmt diese Wahrnehmung?

Mir ist diese Wahrnehmung nicht bekannt. In der Seco- und EBG-Studie gaben Befragte aus grösseren Unternehmen signifikant häufiger an, dass es im Unternehmen, in dem sie aktuell tätig sind, Massnahmen gibt, um sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu vermeiden. Gemeint sind mit Präventionsmassnahmen beispielsweise Informationen, was unter sexueller und sexistischer Belästigung zu verstehen ist, eine Grundsatzerklärung, dass Belästigung im Unternehmen nicht geduldet wird und interne oder externe Ansprechpersonen, an die sich betroffene Mitarbeitende wenden können. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass in grösseren Unternehmen mehr Mittel vorhanden sind für präventive Massnahmen. Zudem sind in grösseren Betrieben die verschiedenen Rollen und Aufgaben oft auch einfacher trennbar.

Gemäss der Studie von Seco und EBG, die zwar schon etwas älter ist, gibt es Branchen, in denen überdurchschnittlich häufig von sexueller oder sexistischer Belästigung berichtet wird. Dazu gehören auch Branchen mit besonders vielen KMU wie etwa das Gastgewerbe oder die persönlichen Dienstleistungen. Umso wichtiger ist es, KMU darin zu unterstützen, damit auch sie Präventionsmassnahmen umsetzen können.

Sie schreiben weiter, dass es um Prävention von sexueller und sexistischer Belästigung am Arbeitsplatz geht: Wie schlimm ist denn die Situation in der Stadt Zürich, dass es ein solches neues Programm braucht?

In den letzten Jahren sind die Anfragen zu sexueller und sexistischer Belästigung an die Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich stetig gestiegen, sowohl von Betroffenen als auch von Verantwortlichen aus Unternehmen oder aus der Verwaltung. Geschäftsleitungen oder HR-Verantwortliche wollen etwas für die Prävention tun – gerade auch aus KMU. Verständlicherweise sind Zeit und Kosten ein wichtiger Faktor. Das Zentrale an «KMU konkret +» ist, dass es für teilnehmende Unternehmen dank Finanzhilfen nach Gleichstellungsgesetz des Bundes nahezu kostenlos ist. Das eröffnet neue Möglichkeiten.

Zur Person

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Anja Derungs (44) ist seit 2012 Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich und seit 2018 Präsidentin der Schweizerischen Konferenz der Gleichstellungsbeauftragten SKG. Sie ist anerkannte Mediatorin SDM und hat einen Master of Advanced Studies ZFH in Ausbildungsmanagement. Sie lebt mit ihren zwei Kindern und ihrem Partner in der Stadt Zürich. Ursprünglich ist Anja Derungs eidgenössisch diplomierte Übersetzerin FH.

Es geht um die Information, Beratung und Vermittlung im Allgemeinen, aber auch im konkreten Fall. Was ist damit gemeint?

Das Angebot beinhaltet unter anderem, dass die Verantwortlichen eines KMU einen alltagstauglichen Interventionsablauf für einen konkreten Fall samt möglichen Präventionsmassnahmen erhalten, den sie in ihren Betrieb implementieren können. Selbstverständlich ist klar, dass es den idealtypischen konkreten Fall nicht immer gibt. Deshalb ist ebenso wichtig, sich in einem konkreten Fall bei einer geeigneten Fachstelle oder Fachperson Beratung und Unterstützung zu holen.

Heisst das auch, dass KMU mit konkreten Beispielen, also real existierenden Problemen an die Weiterbildung kommen können?

Alle Personen und Firmen aus der Stadt Zürich können sich bei real existierenden Problemen für eine Beratung an unsere Fachstelle wenden. Es ist auch an Weiterbildungen immer sinnvoll, wenn Erfahrungen aus dem eigenen Betrieb und beruflichen Umfeld eingebracht werden, natürlich unter Einhaltung des Persönlichkeitsschutzes. Häufig werden in unseren Weiterbildungen Beispiele aus dem Arbeitsalltag thematisiert, wo es auch um Fragen der angemessenen Nähe und Distanz am Arbeitsplatz geht – u.a. auch zu Umgangsformen, Witzen und zur angewandten Sprache.

Es ist jedoch nicht zielführend, dass vor versammelter Belegschaft ein aktueller ungeklärter Fall aus dem Unternehmen verhandelt wird. Für diese Klärung wählen wir ein anderes Vorgehen. Eine Weiterbildung kann zudem auch Teil der erforderlichen Präventionsmassnahmen sein nach einem konkreten Vorfall – dann planen wir diese mit den Verantwortlichen zusammen aufgrund ihrer individuellen Bedürfnisse.

Auch wenn wir mittlerweile im 21. Jahrhundert leben und die #MeToo-Bewegung in aller Munde ist – irgendwie beschleicht einen noch immer das Gefühl, es habe sich nichts geändert. Stimmt das?

Die #MeToo-Bewegung und der Frauenstreik haben das Bewusstsein und die Wahrnehmung für die Thematik sicherlich geschärft – und ermutigen Betroffene, sich zu wehren. Insofern hat sich sehr wohl etwas geändert.

Dennoch werden Mädchen weiterhin dazu erzogen und aufgemuntert, über gewisse Dinge hinwegzusehen, sich nicht über unaufgeforderte Berührungen oder anzügliche Bemerkungen aufzuregen, souverän drüberzustehen und – besonders wenn sie als hübsch gelten – es als Kompliment aufzufassen.

Dass mehr Fälle von sexueller oder sexistischer Belästigung am Arbeitsplatz ans Tageslicht kommen, kann aber auch ein Indikator dafür sein, dass die Sensibilisierung funktioniert und diese Art von Diskriminierung nicht mehr einfach so hingenommen wird. Es bleibt zu hoffen, dass wir dabei auf dem Weg zu einem tiefgreifenden Kulturwandel sind.

Zurück zum Programm «KMU konkret +»: Die Weiterbildung besteht aus drei Teilen, wobei Kader und Mitarbeitende getrennt geschult werden. Wieso das?

Kader haben von Gesetzes wegen eine Präventions-  und Interventionspflicht. In dieser Rolle werden sie in ihrer Weiterbildung angesprochen und erhalten Führungsinstrumente für ihren Alltag. Selbstverständlich sind die verschiedenen Aufgaben und Rollen auch für Mitarbeitende zentral. Und diese müssen auch sichtbar werden.

Darum ist die Eröffnung der Mitarbeitendensequenz durch die Geschäftsführenden wichtig. Nur sie können glaubwürdig Sinn und Zweck der Weiterbildung darlegen und so ein Zeichen setzen, dass sexuelle Belästigung im Unternehmen nicht geduldet wird. Diese Aufteilung hat sich in unseren langjährigen Weiterbildungen bewährt. Sie schaffen Vertrauen und Sicherheit in den jeweiligen Rollen.

Was wird den Kaderleuten vermittelt?

Es geht darum, dass Geschäftsführende und vorgesetzte Personen ihre Fürsorgepflicht rund um sexuelle Belästigung und Sexismus am Arbeitsplatz kennen, dass sie wissen, wie sie ein respektvolles Arbeitsklima schaffen sowie frühzeitig grenzüberschreitendes Verhalten erkennen, ansprechen und beenden können. Anhand von kurzen Theaterszenen werden die Teilnehmenden – in ihrer Rolle als Verantwortliche – interaktiv zu ihrer Präventions- und Interventionspflicht geschult. Instrumente beispielsweise zum «Beschwerdegespräch», zu «Kommunikations- und Handlungsempfehlungen» und zu «Sanktionen und Massnahmen» sowie Visualisierungen zur «Führsorgepflicht» sollen den Teilnehmenden die Erfüllung ihrer Fürsorgepflicht im Arbeitsalltag erleichtern.

Was den Mitarbeitenden?

Auch in der Mitarbeitendensequenz arbeiten wir mit Theaterszenen, die über die Schutzpflicht ihrer Vorgesetzten informiert. Gleichzeitig können die Mitarbeitenden verschiedene Abwehrmöglichkeiten anhand von szenischen Interventionen ausprobieren. Ziel ist, dass die Mitarbeitenden wissen, was eine sexuelle Belästigung ist und dass diese verboten ist. Zugleich geht es darum zu wissen, wie sie sich wehren können anhand von vier möglichen Wegen und was sie selber zu einem respektvollen Klima beisteuern können.

Am Schluss wird noch ein betriebsinterner Leitfaden entwickelt. Was gehört da rein?

Auf der Basis eines Muster-Reglements und eines Muster-Merkblatts wird ein auf das KMU massgeschneidertes Reglement erarbeitet mit Präventions- und Interventionsmassnahmen. In einem zweiten Schritt werden die für die Abläufe und Massnahmen zuständigen Personen bestimmt.

Hier gibt's weitere Infos zur Weiterbildung «KMU konkret +».

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Online-Redaktorin, HR Today. es@hrtoday.ch

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