Ohne Strategie bleibt das Ziel auf der Strecke
Die Gesundheit der Mitarbeitenden ist Grundvoraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg jedes Unternehmens. Haben die Betriebe das erkannt? Die Gesundheitsförderung Schweiz meint «Nein». Eine strategische Verankerung in den Unternehmenszielen tut Not.
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Die Arbeitswelt wird immer komplexer. Globalisierung und technische Neuerungen haben dazu geführt, dass wir stärker als je zuvor miteinander vernetzt sind und immer und überall arbeiten können. Nur Pause machen – das haben wir verlernt. Die betriebs- und volkswirtschaftlichen Kosten dieses Lebensstils steigen ungebremst. Und so steht die Frage im Raum, wie lange wir uns das noch leisten können und wollen. In der Schweiz belaufen sich schon heute allein die Folgekosten psychischer Probleme auf geschätzte 19 Milliarden Franken, wenn man die Produktivitätsverluste, die Kosten der Gesundheitsversorgung und die steigenden sozialen Ausgaben einrechnet. Das sind immerhin 3,2 Prozent des BIP!
Die Gesundheit der Mitarbeitenden ist damit Grundvoraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg jedes Unternehmens. Haben die Betriebe das erkannt? Die Schweizerische Gesundheitsförderung meint «Nein». So stehen gemäss einer Studie der Fachhochschule St. Gallen 44 Prozent der Unternehmen erst im Anfangsstadium des BGM. Und das, obwohl eine bessere Work-Life-Balance der am häufigsten genannte Grund für den Arbeitgeberwechsel darstellt und in der Öffentlichkeit das laute Klagelied des Fachkräftemangels und der Demografie angestimmt wird.
Auch auf gesetzlicher Ebene gibt es in der Schweiz noch einiges zu tun, denn die betriebliche Gesundheitsförderung ist im Gegensatz zur Arbeitssicherheit und zum Gesundheitsschutz nicht vorgeschrieben. Damit ist die breite Akzeptanz und Umsetzung für die Privatwirtschaft nicht zwingend, so das Fazit der letztjährigen Dreiländertagung der BGM-Fachexperten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Ob das nun ein Vor- oder Nachteil ist, darüber lässt sich streiten. Die liberale Haltung der Schweiz ermöglicht es Firmen, ihr BGM effizienter und schneller zu entwickeln, ohne von übermässigen Regelungen gebremst zu werden, meint René Rippstein, Mitglied der Geschäftsleitung der Gesundheitsförderung Schweiz.
BGM: In wenigen Jahren im Employer Branding nicht mehr wegzudenken
So oder so: Auf freiwilliger Basis ist jedenfalls schon vieles möglich. So vergibt die Gesundheitsförderung Schweiz das Label «Friendly Workspace» und zeichnet damit jene Unternehmen aus, die ihr BGM im Betrieb strategisch verankert haben. Damit belegen diese Betriebe, dass die Gesundheit der Mitarbeitenden im Unternehmen als wichtig erachtet wird und das BGM auf allen Ebenen konstant gelebt wird. Das sind wichtige Argumente im Employer Branding, die in wenigen Jahren nicht mehr aus dem Marketing-Mix eines Unternehmens wegzudenken sind, so die Einschätzung von René Rippstein. «Für Arbeitnehmende ist der Lohn bei der Wahl des Arbeitgebers immer weniger matchentscheidend.»
Ob ein BGM «top» oder «flop» ist, hängt nach Meinung des BGM-Experten von folgenden Faktoren ab:
- Ob sich die Geschäftsleitung (GL) zum BGM bekennt
- Ob die GL das BGM in den Unternehmensleitbildern und -zielen verankert hat
- Ob die GL das BGM vorlebt
- Ob die GL den BGM-Zielen grundsätzlich dieselbe Bedeutung beimisst wie allen anderen.
Hansjörg Huwiler, Leiter Corporate Health beim BGM-Dienstleister AEH, ergänzt diese Aussage: «Um Glaubwürdigkeit zu schaffen und BGM im gesamten Unternehmen zu verankern, sollte die Geschäftsleitung eine BGM-Vision definieren, die den Mitarbeitenden als Richtlinie für das Handeln auf allen Ebenen dient.» Diese habe auch dafür zu sorgen, dass genügend Ressourcen für die Umsetzung zur Verfügung stünden. Etwa indem sie einen BGM-Verantwortlichen bestimmt, der an die Geschäftsleitung rapportiert.
Das BGM liege jedoch in der Verantwortung der Geschäftsleitung. «Diese muss sich regelmässig mit dem Thema auseinandersetzen. Das kann nicht delegiert werden.» Die Umsetzung der BGM-Massnahmen hingegen schon. Zudem gelte es ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, was Kadermitglieder mit ihrem Verhalten bei der Belegschaft auslösten. Wer eine Führungsposition innehabe, sei ein Vorbild. Wenn ein Kaderangestellter abends um 22 Uhr E-Mails verschickt, setzt er damit ein Zeichen für die Unterstellten, die sich nach seinem Verhalten orientieren, so Huwiler. «Da nützen alle schriftlichen Bekenntnisse nichts, wenn das Verhalten der Führung von den schriftlichen Absichtserklärungen abweicht.»
Ein Label für das BGM
Unternehmen, die im Assessmentverfahren der Gesundheitsförderung Schweiz eine durchschnittliche Punktzahl von 3,0 und mehr erreichen, werden mit dem Label «Friendly Workspace» ausgezeichnet und können dieses in der gesamten Kommunikation mit ihren Anspruchsgruppen wie Kunden, Lieferanten, der Öffentlichkeit, Mitarbeitenden oder bei der Talentsuche verwenden.
Mit BGM-Strategien Commitment beweisen
Wo das BGM im Organigramm zugeordnet ist, wird hauptsächlich durch die Unternehmensgrösse bestimmt. Während in Grossunternehmen BGM-Spezialisten engagiert werden, kümmern sich in kleineren und mittleren Unternehmen vor allem die HR-Fachleute um die BGM-Belange oder externe Fachpersonen, die als Unterstützer beigezogen werden.
Ist eine BGM-Strategie einmal definiert, sollte die Belegschaft rasch erste Zeichen des Commitments der Geschäftsleitung erleben. Zum Beispiel durch eine erste Mitarbeiterbefragung, deren Ergebnisse an einer Info-Veranstaltung präsentiert werden und in der gleichzeitig erläutert wird, weshalb das BGM eingeführt wird, wozu sich die Geschäftsleitung verpflichtet und wie die Mitarbeitenden miteinbezogen werden. Mit anderen Worten: Das Unternehmen gibt ein Versprechen zur Erhaltung der Gesundheit der Mitarbeitenden ab. Wichtig sei, die unterschiedlichen Bedürfnisse der Mitarbeitenden ihren verschiedenen Lebensphasen gemäss im Auge zu behalten, erläutert Huwiler. «Während jüngere Mitarbeitende eine Weltreise planen, befinden sich andere Mitarbeitende in der Familienphase, arbeiten gezielt an ihrer Karriere oder pflegen ihre älter werdenden Angehörigen. Damit BGM wirksam wird, müssen sich die BGM-Ziele an den unterschiedlichen Bedürfnissen orientieren.»
Lücken zwischen «Sagen» und «Machen» werden sichtbarer
Wer ein BGM ernsthaft verfolgt, fördert damit auch eine offene und fehlerfreundliche Unternehmenskultur. Denn mit der Transparenz, die das Internet schafft, werden Lücken zwischen «Sagen» und «Machen» auch öffentlich immer sichtbarer. Unternehmensprobleme gelangen an die Oberfläche, wenn Versprechen nicht eingehalten werden, was schnell zu Imageproblemen führen kann. Diese erschweren es solchen Unternehmen, Fachkräfte an sich zu binden. Kontinuierliche Verbesserung oder «Kaizen», wie dies die Japaner nennen, ist zudem nur dann möglich, wenn Probleme offen angesprochen werden können. «Das kann durchaus im Guten geschehen und nicht aufgrund eines akuten Problems», meint Hansjörg Huwiler.
Langfristiges Denken ist beim BGM ein Must
Analyse der BGM-Situation – Strategien entwickeln – Prozesse anpassen – Ziele setzen – Massnahmen bestimmen und umsetzen – Ergebnisse messen und daraus Verbesserungsmassnahmen ableiten. Nur wer diesen Kreislauf aufrecht erhält, betreibt ein nachhaltiges BGM. Nach Einschätzung von René Rippstein gilt ein BGM-Kreislauf nach sechsmaligem Durchlauf in der Praxis als etabliert. Dabei das Niveau über Dauer zu halten, sei nicht ganz einfach, gibt er zu. «BGM-Strategien scheitern in der Praxis am häufigsten, weil die Rückkopplung von der Ergebnismessung zur Anpassung der Strategie langfristig nicht eingehalten wird oder Ressourcen nicht auf längere Frist eingeplant werden.» Das sei oft bei Führungswechseln der Fall, wenn das Commitment der neuen Führung zur BGM-Strategie verloren gehe. Oft unterschätzten die Unternehmen dabei den negativen Effekt, welcher das abrupte Ausbremsen des BGM auf die Motivation der Mitarbeitenden habe, so Rippstein.
Kurzfristiges Denken ist beim BGM jedenfalls nicht gefragt: Deshalb werden alle «Friendly-Workspace»-Labelträger jedes dritte Jahr auf die Nachhaltigkeit ihres BGM überprüft und reassessiert, womit das Bewusstsein wachgehalten werden kann.
Service
Auf www.assessment-tool.ch steht interessierten Betrieben ein kostenloses Tool zur Verfügung, um den Stand des eigenen BGM einzuschätzen. Aufgrund dieses Selbst-Assessments können Unternehmen fundiert entscheiden, ob sie sich für die Zertifizierung anmelden möchten.