HR Today Nr. 11/2017: Im Gespräch

«Querdenker haben einen Störauftrag»

Werden Menschen einem alldurchdringenden Konformitätsdruck ausgesetzt, ist das für Freigeist und Managementberater Reinhard K. Sprenger ein Unternehmensgraus. Ein Gespräch über Angepasste, Querschläger und eine ausufernde HR-Bürokratie.

Herr Sprenger, Sie gelten als «scharfzüngiger» Managementvordenker und wollen Unternehmen «humaner» machen. Was treibt Sie an?

Reinhard K. Sprenger: Manchmal würde ich mich gern selbst belügen, statt mich damit zu beschäftigen, Organisationen zu verbessern. Ich bin aber ein ausgesprochen freiheitsliebender Mensch und weiss aus eigener Erfahrung, wie es sich anfühlt, in traditionell organisierten Firmen zu arbeiten. Ich verstehe mich mit meinen Büchern als «personifizierter Störungsauftrag», der die Unternehmen wach hält – besonders bei den erfolgreichen, denn Erfolg macht «lernbehindert». Was gestern funktioniert hat, wird morgen nicht mehr funktionieren.

Was ist für Sie das grösste Unternehmensübel?

Der hohe Konformitätsdruck. Natürlich kommt kein Unternehmen ohne organisationskonformes Verhalten der Mitarbeiter aus. Wenn dies jedoch übertrieben wird, ist das moralphilosophisch abzulehnen und betriebswirtschaftlich nicht zukunftsfähig.

Woher kommt dieser Konformitätszwang?

Organisationen sind vornehmlich auf Effizienzsteigerungen ausgerichtet. In der alten Maschinenwelt waren Skaleneffekte bedeutsam und dabei war die Kontrolle sehr wichtig. Der Konformitätsdruck ist schon gewaltig. Denken Sie nur an Feedback-Gespräche oder Zielvereinbarungen. Heute braucht es jedoch ein erheblich höheres Mass an firmeninternem Künstlertum, damit die Unternehmen den wirtschaftlichen Veränderungen gewachsen sind und innovativ bleiben.

Was meinen Sie mit «firmeninternem Künstlertum»?

Damit gemeint sind «Andersdenker». Sie schauen auf das Ausgeschlossene und wollen es mit einschliessen. Sie sorgen für Alternativen. Firmen sind auf eine gewisse Vielfalt angewiesen, auch wenn diese Ineffizienzen mit sich bringen. Je schneller sich die Umweltbedingungen ändern, desto wichtiger wird die Abweichung. Denn wenn die Zukunft unberechenbarer wird, sichert nur die Problemlösungs-Vielfalt das Weiterbestehen. Zu empfehlen sind deshalb «kantige» Menschen, die dennoch kommunizieren können. Manche sprechen von «Querdenkern», obwohl ich nie verstanden habe, wie man «quer» denken kann.

Andersdenkende scheinen aber nicht besonders beliebt zu sein?

Sie nerven, solange sich technologisch und absatzwirtschaftlich nicht allzu viel ändert.

Womit lässt sich dieser Nerv-Faktor erklären?

Evolutionär ist dies an das Überleben der Primatengruppe gebunden. Davon übrig geblieben ist das, was Elisabeth Noelle-Neumann die «Schweigespirale» nannte. Das ist die Neigung des Menschen, das umgebende Meinungsklima zu ertasten und sich harmonisch einzufügen. Geht es ins Extreme, sagen Sie «rot», wenn alle «rot» sagen, wenngleich etwas eindeutig blau ist. Dies soll den Zusammenhalt der Gruppe sichern. Moderne Ausprägungen solcher Gruppen sind Business-Sekten wie Google oder Facebook. Wer dagegen hält, stört.

Daher der Abwehrreflex der Firmen gegenüber Querdenkern?

Die einzigen Wesen, die Veränderung lieben, sind Babys mit vollen Windeln. Der Rest der Menschheit ist tendenziell veränderungsscheu, manchmal sogar reaktionär, sogar dann, wenn die Notwendigkeit für Veränderungen klar erkennbar ist. In Unternehmen hat man alle zu Gegnern, die aus dem Status quo ihren Vorteil gezogen haben. Organisationen haben eine immense Stabilitätsneigung. Die geht – wie wir ja oft gesehen haben – bis in den Untergang.  Deren Mitglieder glauben einfach nicht, dass es morgen anders sein könnte.

Querulant oder Querdenker: Worin besteht für Sie der Unterschied?

Das ist abhängig von der Perspektive und insofern kaum zu beantworten. Wenn Sie harmoniesüchtig sind, ist jede leichte Meinungsdifferenz schon ein Verrat. Ich versuche es mal so zu erklären: Ein Querulant ist dauerhaft gegen alle. Er ist psychologisch gesprochen immer in der Gegenanpassung. Im Gegensatz zum Querdenker gilt seine Loyalität nicht dem Unternehmen, sondern sich selber. Nur seine eigenen Ideale sind ihm heilig. Meist hat er eine starke moralische Gesinnung und geht dafür mit dem Kopf durch die Wand. Im Grunde ist es jemand, der einmal sehr geliebt hat und dann enttäuscht worden ist.

Ohne Andersdenkende keine Innovation?

Werden die Märkte unordentlich, passen klare Ordnungsmuster nicht mehr. Dann braucht es Menschen, die Neues wagen, eigensinnig und kreativ sind. Menschen mit Mut und Urteilskraft.  Querdenker stärken die Widerstandskraft eines Unternehmens. Sie machen das Unternehmen intern komplexer und spiegeln damit die Komplexität volatiler Märkte. Damit vergrössern sie die Problemlösungsoptionen eines Unternehmens. Es gibt diesen fast naturgesetzlichen Kreislauf, dass Wohlfahrt zu Dekadenz führt und diese dann die Wohlfahrt unterhöhlt. Um diesen Zyklus zu unterbrechen, müssen Unternehmen in ihre alltagshypnotischen Routinen Krisen einbauen. Das ist der Störauftrag der Führung. Diese Störung ist eine Ressource zur Revitalisierung der wirtschaftlichen Kraft, um nicht zu verweichlichen, sondern anpassungsfähig zu bleiben. Damit ist vor allem die präventive Vorbereitung der Organisation auf mögliche Veränderungen gemeint. Eine Alarmierfunktion, die Wachsamkeit und Dauerskepsis am «Weiter so» signalisiert.

Zur Person

Der 64-jährige gebürtige Essener gilt als scharfzüngiger Management-Denker und einer der profiliertesten Führungsexperten Deutschlands. Zu seinen Kunden zählen internationale Konzerne sowie fast alle im Deutschen Aktienindex (DAX) vertretenen Unternehmen, die er im Bereich Management-Entwicklung berät.

Nach einem Studium der Philosophie, Psychologie, Betriebswirtschaft, Geschichte und des Sports arbeitete Sprenger als wissenschaftlicher Assistent beim Kultusminis­terium Nordrhein-Westfalen, bevor er zu 3M wechselte. Dort wurde er nach verschiedenen Aussendienst-Tätigkeiten zum Leiter der Personalentwicklung befördert. Seit 1990 ist Sprenger selbständiger Berater. Seine Bücher wie «Das anständige Unternehmen», «Mythos Motivation» oder «Das Prinzip der Selbstverantwortung» wurden ausnahmslos Bestseller, in etliche Sprachen übersetzt und haben sich weltweit über 1,8 Millionen Mal verkauft. Nebst seiner Beratungs- und Autorentätigkeit ist Sprenger als Referent tätig und leitet verschiedene Führungsseminare. Etwa bei der International Business School ZFU, wo er 2018 die zwei Tagungen «Radikal führen – Reduced to the Max» sowie «Das anständige Unternehmen» abhält.

www.sprenger.com

Kann es in einem Unternehmen auch zu viele Querdenker geben?

Nach der Lage der Dinge können die meisten Unternehmen mehr Querdenker vertragen, als sie überhaupt bekommen können. So viele gibt es in unserer harmoniesüchtigen Gesellschaft nicht.

Ein Grund, weshalb Firmen lieber Durchschnittlichkeit einkaufen?

In Unternehmen zählt nicht die Leistung, sondern die soziale Ähnlichkeit. Anerkannt und gefördert wird, wer vom Interpretationsmonopolisten ähnlich wahrgenommen und bewertet wird. Das ist nicht zu verurteilen, sondern in gewissen Massen sogar für beide Seiten klug. Das Unternehmen bestätigt sich so in seiner altorganisatorischen Verfasstheit und der Bewerber wird nicht bitter enttäuscht. Kreative Querdenker hingegen machen selten Karriere.

Wie kann man Querdenkertum trotz Anpassungstendenzen fördern?

Die Personalauswahl ist dabei der Schlüssel. Man muss sich fragen: Dominiert das Schmidt-sucht-Schmidtchen-Syndrom oder wollen wir Mitarbeiter mit verschiedenen Ausrichtungen? Dabei spielt natürlich auch der «Verregelungsgrad» im Unternehmen eine Rolle. Wird jedes Problem mit einer Richtlinie erschlagen oder gibt es viele Freiräume? Wer macht Karriere: die hochangepassten Ja-Sager oder die Initiativen, bei denen auch mal was schief läuft? Signifikant ist auch die Einstellung zu Fehlern. Der Fehler wird von der Organisation negiert, ist aber das Herzblut der Kreativität. Es ist wie beim Fussball: Wer noch nie am Tor vorbeigeschossen hat, schiesst einfach zu selten drauf.

Was erwarten Sie diesbezüglich vom HR?

Die Personalarbeit zieht ganz bestimmte Menschen an und die sind meiner Erfahrung nach eher defensiv und regelhörig. Sie verkaufen mit ihren Instrumenten ja auch Anpassung und Konformität. Dennoch halte ich die Personalarbeit für eine der wichtigsten Aufgaben des Managements. Sie hat sich in den letzten Jahren stark ausdifferenziert und träumt seit

Jahrzehnten davon, «Strategiepartner des Topmanagements zu sein». Sie will Macht und Einfluss, sie will mitbestimmen und nicht länger dienen. Deshalb zwingt sie. Ihre Gestaltungsgeste ist das allseits wuchernde «ich weiss, was für euch gut ist». Wer nicht dienen kann, versucht zu beherrschen. Deshalb wird Personalarbeit selten geliebt. Sie löst keine Probleme. Sie macht sie.

Zudem ist sie blind für die Transaktionskosten und für das bürokratische Anschwellen. Das wird nur deshalb hingenommen, weil es dafür keine Kos­tenstelle gibt. Personalarbeit darf für sich werben und sich einmischen, aber keinen Machtwillen entwickeln. Wie alle zentralen Einheiten hat sie den dezentralen zu dienen. Das zielt nicht in ers­ter Linie auf die Mitarbeitenden des Unternehmens, sondern auf die Kunden. Sie hat ihre Diens­te auf den Kunden zu richten. Sie muss die Fenster öffnen und von aussen nach innen arbeiten. Dann kann sie auch stark und selbstbewusst sein. 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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