HR Today Nr. 3/2016: Im Gespräch

Raus aus der Komfortzone!

Executive-Coach John Mattone hält nichts von Leadership-Gemütlichkeit. Executives sollen ihre persönlichen Grenzen sprengen, um ihr Unternehmen voranzubringen. Im Gespräch erläutert er, wodurch sich professionelles Leadership auszeichnet und weshalb sein ehemaliger Klient Steve Jobs nicht als grossartiger Leader in die 
Geschichte eingehen wird.

Herr Mattone, Sie haben 2010 Steve Jobs gecoacht. Wie war das?

John Mattone: Die Human-Resources-Verantwortlichen von Apple haben Steve Jobs auf mein Leadership-Assessment aufmerksam gemacht. Steve Jobs war sehr, sehr neugierig und hat das Assessment dann gemacht. Natürlich wollte er wissen, wie er abgeschnitten hatte. Anfänglich gab er sich sehr zugeknöpft. Je mehr ich ihm jedoch über sein Leadership-Profil erzählte, desto mehr Interesse zeigte er und er stellte viele Fragen. Schliesslich ist uns sogar die Zeit davongelaufen.

Und was ist beim Assessment herausgekommen?

Eigentlich nichts Überraschendes. Steve Jobs hatte eine aussergewöhnlich kreative und künstlerische Ader und war weit über dem Durchschnitt fähig, «out of the box» zu denken. Seine Assessmentwerte waren in diesen Bereichen unvergleichlich höher ausgeprägt als jene der Executives, mit denen ich zuvor zusammen gearbeitet hatte. Obwohl Steve Jobs eine viel stärkere Führungspersönlichkeit geworden war, als er 1997 als 40-Jähriger zu Apple zurückkehrte, wird er bestimmt nicht als grossartiger Leader in die Geschichte eingehen. Aber vielleicht als das kreativste Genie unserer Zeit. Genies sind allerdings meist eher unreife Führungspersönlichkeiten. So hat sich Steve Jobs, wenn er unter Stress stand, häufig stark ich-bezogen verhalten und ist unter akutem Druck vor seinen Problemen sogar regelrecht davongelaufen.

Was sagte Steve Jobs zu dieser Diagnose?

Er meinte, dass ich durchaus recht haben könnte (lacht).

Zur Person

John Mattone gilt als eine der weltweit einflussreichsten Leadership-Autoritäten. In seiner langjährigen Karriere hat er über 250 Unternehmen (u. a. Microsoft, Citygroup oder Fedex) zur Leadership- und Talent-Kultur beraten und über 200 Executives gecoacht – darunter auch Steve Jobs. Mattone hat über 2000 Vorträge gehalten und Workshops durchgeführt sowie drei Bücher geschrieben: «Intelligent Leadership», «Talent Leadership» und «Cultural Transformations.» 2011 und 2013 wurde er für den «Thinkers50 Leadership Award» nominiert.

Veranstaltungshinweis: «Becoming the Very Best Leader You Can Be», Retreat mit John Mattone: 23.–25. Juni und 
27.–29. Oktober 2016, 9.–11. März 2017. 
Anmeldung: www.zfu.ch/go/lrm

Können alle Leader inspirierende Vorbilder sein?

Wie erfolgreich Sie als Leader sind, hängt vom Umfeld ab, das Sie für Ihre Mitarbeitenden schaffen. Glauben diese mit Herz und Seele daran, dass sie die Fähigkeiten haben, auszuführen, was von ihnen verlangt wird? Sind sie mit Leidenschaft bei der Sache? Bei diesen Fragen geht es um das Wollen und das Können. Das Wollen bezeichnet die Leidenschaft, den Drive und die Motivation. Das Können das Ausmass, in welchem Menschen sich einer Mission verbunden fühlen. Sind es die Menschen, sagen sie: «Ich muss es einfach tun.» Das bedingt aber, dass Sie als Leader eine Vorbildrolle einnehmen. Wenn Sie keine Ideen haben, keine Leidenschaft zeigen und Ihnen der Drive fehlt, wie sollen dann Ihre Mitarbeitenden das tun?

Was kann das HR tun, damit sich Menschen mit Leidenschaft für das engagieren, was sie tun?

HR-Fachleute müssen Ambassadoren, Partner und Leader eines funktionierenden Talentmanagements sein, das die Rekrutierung, die Beförderung und das Training beinhaltet. Das System muss «gut geölt» sein und reibungslos funktionieren. Ein solches Talentmanagement-System sorgt für eine «Can do»-Kultur. HR muss einem CEO auf Augenhöhe begegnen. Eine Partnerschaft zwischen HR und CEO sollte zu optimalen Entscheidungen führen, wenn es darum geht, Menschen im Unternehmen zu integrieren, die unsere Unternehmenskultur vorwärtsbringen. Also jene jungen Leute, die Leadership-Potenzial zeigen.

In den vergangenen Monaten gab es einige Fälle von Unternehmen, die durch das unethische Verhalten ihrer Leader von sich reden machten. Beispielsweise die Fifa oder VW. Woran liegt das?

Ganz bestimmt nicht daran, dass Führungskräfte nicht begriffen haben, was ethisches Verhalten ist. Der Intellekt ist da, ganz bestimmt. Zum Thema Leadership sind ja auch gefühlte 300 000 Bücher geschrieben worden. Wir nutzen dieses Wissen nur nicht. Führungskräfte wissen, was sie zu tun haben. Sie tun es aber nicht, weil sie das, was sie tun, als lustvoller empfinden, als das zu tun, was richtig ist. Leadership beginnt im Inneren eines Menschen. Wem Macht und Geld wichtiger sind, als Beziehungen zu Menschen aufzubauen, authentisch und altruistisch zu sein und einen Wertbeitrag zu leisten, wird leicht fehlgeleitet. Es ist wichtig, dass Menschen, die eine Leadership-Rolle ausfüllen, selbst innerlich stark sind. Denn wenn man innerlich nicht stark ist, wie soll man sich dann äusserlich stark geben? Und das äusserliche Verhalten ist ja das, was Mitarbeitende sehen. Der Grund, weshalb wir all diese ethischen Probleme haben, liegt darin, dass wir zu viele innerlich unreife Führungspersönlichkeiten haben. Und diese Problematik existiert auf der ganzen Welt. Das müssen wir korrigieren. Tun wir es nicht, werden wir es weiterhin mit solchen Leaderschwächen in Unternehmen, im Gesundheitswesen und in der Politik zu tun haben.

Wie trifft man auf Executive Level denn gute Entscheidungen?

Ich glaube, das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Das eine ist die Fähigkeit, strategisch zu denken – mit dem Endergebnis im Kopf. Wenn Sie eine Entscheidung treffen wollen, müssen Sie eine Vision haben, um ein gutes Resultat zu erzielen. Das andere ist das kritische Denken und die Problemanalyse. Im strategischen und kritischen Denken gibt es heute aber Lücken. Und das hat einen Einfluss darauf, wie Leader Entscheide fällen. Ausserdem ist die Entscheidungsfindung genauso eine Sache des Herzens wie des Bauchgefühls. Sicher müssen wir die Dinge analysieren, aber genauso wichtig ist der Erfahrungsschatz, den erfahrene Leader haben. Viele Nachwuchskräfte haben wenig Verständnis dafür, wenn ich ihnen von einer Top-Position abrate, obwohl sie den Job ausfüllen könnten. Das Problem ist ihre begrenzte Erfahrung im Umgang mit kritischen Situationen. Der Umgang mit schwierigen Situationen wird zur Erfahrung und darauf kann man sich abstützen, um mit neuen Herausforderungen fertig zu werden. Wenn man jung ist, hat man diese Erfahrungen noch nicht.

Wie wächst ein Leader über sich selbst hinaus?

Indem er seine Komfortzone verlässt. Das ist nicht einfach, denn wir alle sind von unserer Familie und in der Schule darauf konditioniert worden, unsere Komfortzone zu suchen – und sie nie mehr zu verlassen. Deshalb weisen wir Feedback oft auch dann zurück, wenn es von unserer Familie kommt. Wir verhalten uns defensiv, weil wir nicht wollen, dass unsere Komfortzone erschüttert wird. Über uns selbst wachsen wir aber nur dann hinaus, wenn wir diese verlassen und eine neue schaffen. Dass wir reifen, wachsen und zum Besten werden, was wir sein können, das gelingt nur, wenn wir unsere Komfortzone erschüttern lassen. Dasselbe gilt für Unternehmen: Wenn ein Unternehmen etwa den Kundenservice nicht misst und das Senior Executive Team nicht bereit ist, Änderungen vorzunehmen, wird das Unternehmen sterben. Früher oder später. Das ist nur eine Frage der Zeit.

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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