HR Today Nr. 8/2022: Selbstständig oder beschäftigt II - Rechtlicher Status

Schöne neue Freiheit?

Ob Freelancer, Freiberuflerin oder Plattformarbeit: Für diese Arbeitsformen existieren noch keine gesetzliche Definitionen. Diese rechtliche Unklarheit hat verheerende finanzielle Folgen, wenn Behörden ein Auftragsverhältnis in ein Arbeitsverhältnis umqualifizieren. Damit das nicht passiert, gibt es einige Punkte zu klären.

Der Drang nach Freiheit steckt im Menschen, seit es ihn gibt. Nicht selten steht dieser Drang im Widerspruch zu seinem Bedürfnis nach Sicherheit. Das Arbeits- und Sozialversicherungsrecht garantiert Arbeitnehmenden deshalb eine gewisse Sicherheit, schränkt zugleich aber die Vertragsfreiheit ein. Deshalb entwickeln sich aktuell viele neue Zusammenarbeitsformen. Ob Freelancer, Gigworker, Crowdworker: Keiner dieser Begriffe ist rechtlich klar definiert. Vielen dieser Modelle liegt der Wunsch zugrunde, sein eigener Chef zu sein, die Zeit frei einteilen zu können und den Verdienst selbst zu bestimmen. Diese Flexibilität bedeutet jedoch auch, keine Beschäftigungsgarantie und damit auch kein sicheres Einkommen zu haben.

Aus wirtschaftlicher Sicht kann eine Zusammenarbeit ohne rechtliche Verpflichtungen, die mit einer Festanstellung verbunden sind, interessant sein, da die Vergütung enger mit der produktiven Leistung verknüpft wird. Auch für leistungsfähige und -willige Erwerbstätige erweisen sich solche Modelle als Alternative zur Festanstellung, da viele Menschen selbst bestimmen möchten, wie sie ihre Versicherungssituation und Vorsorge gestalten. Das ermöglicht die selbstständige Tätigkeit, rechtlich die einzige Alternative zum Arbeitsverhältnis.

Rechtlicher Status der selbstständigen Tätigkeit

In der Regel gehen die Vertragsparteien bei den erwähnten Arbeitsformen davon aus, dass es sich bei der Zusammenarbeit nicht um ein Anstellungsverhältnis handelt, sondern um eine selbstständige Tätigkeit. Damit entfallen die arbeitsrechtlichen Vorschriften und auch die Pflicht, den Auftragnehmenden zu versichern.

Es besteht jedoch keine grundsätzliche Wahlfreiheit bezüglich des sozialversicherungsrechtlichen Status. Ob es sich um eine selbstständige Tätigkeit handelt, hängt von der Erfüllung folgender Beurteilungskriterien ab:

Selbstständigerwerbende treten nach aussen mit eigenem Firmennamen auf. Das kann mittels Eintrag ins Handelsregister, einer Registration bei der Mehrwertsteuer, eines eigenen Logos und Briefpapiers oder eines Webauftritts erfolgen.

  • Selbstständige tragen das wirtschaftliche Risiko ihrer Tätigkeit. Sie tätigen Investitionen, finanzieren ihre Betriebsmittel, tragen das Inkassorisiko gegenüber ihren Kunden und verfügen über eigene Räumlichkeiten.
  • Selbstständige organisieren ihren Betrieb. Sie bestimmen frei, wann sie wo für wen und wofür arbeiten.
  • Selbstständige sind für mehrere Auftraggebende tätig und beschäftigen Personal.

Diese Kriterien müssen nicht kumulativ erfüllt sein, jedoch mehrheitlich. Ob das der Fall ist, beurteilt primär die Ausgleichskasse am Sitz des Selbstständigen. Diese stellt auf Verlangen eine Bestätigung aus, die den Anschluss für die angemeldete Tätigkeit bescheinigt. Diese bestätigt nur die grundsätzliche subjektive Unterstellung unter den Status des Selbstständigerwerbenden.

Neue Begriffe

  • Freelancer, Freischaffende, Freiberufler, freie Mitarbeitende: Alle diese Begriffe meinen grundsätzlich dasselbe: Auftragnehmende, die Leistungen erbringen für Auftraggebende, ohne ein Anstellungsverhältnis einzugehen.
  • Plattformarbeit nennt man Dienstleistungen, die über Onlineplattformen vermittelt oder erbracht werden. Typische Beispiele sind Immobilienvermieter (Airbnb), Personalvermittlung (Coople), Vermittlung von Freelancern (Fiverr, Upwork), Personenbeförderung (Uber), Lieferdienste (Just Eat, Uber Eats) sowie Warenhandel (Ebay, Ricardo).
  • Gigwork und Cloudwork sind kurzfristig und flexibel vergebene, zeitlich befristete Aufträge, die meist über Plattformen vermittelt werden. Während Gigwork lokal ausgeführt wird, findet Cloudwork online statt.
  • Bei Crowdwork werden Aufträge an mehrere unabhängige Personen vergeben.

Risiko Umqualifizierung

Ein einzelner Auftrag kann die Kriterien der Selbstständigkeit objektiv ungenügend erfüllen, was eine Umqualifizierung von einer selbstständigen zu einer unselbstständigen Tätigkeit zur Folge haben kann. Festgestellt wird das meist durch die Ausgleichskasse des Auftraggebenden. Massgebend für die Beurteilung sind schriftliche Vereinbarungen, aber auch, was in der Realität tatsächlich gelebt wird. So hilft es nicht, wenn die Vereinbarung festhält, dass der Beauftragte selbstständig sei und somit die Sozialversicherungen selbst abzurechnen habe. Sind die Kriterien nicht genügend erfüllt, ist dieser Teil der Vereinbarung nichtig.

Ebenfalls eine Umqualifizierung auslösen kann die Steuerverwaltung. Das ist vor allem dann zu befürchten, wenn der Selbstständigerwerbende in einem Kanton wohnt und in einem anderen seinen Geschäftssitz hat. Bei Selbstständigerwerbenden wird das Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit im Sitzkanton besteuert, während Arbeitnehmende das Einkommen im Wohnkanton versteuern.

Folgen einer Umqualifizierung

Der vermeintliche Auftraggebende erhält bei einer Umqualifizierung von seiner Ausgleichskasse eine Nachrechnung für die Sozialversicherungsbeiträge des Auftragnehmenden, gegebenenfalls bis fünf Jahre zurück. Die bezahlten Honorare werden als Nettolohn betrachtet und in Bruttolohn hochgerechnet. In Folge muss der Auftraggebende die neue AHV-Lohnsumme auch den weiteren Sozialversicherungen melden. Betroffen sind die Unfallversicherung nach UVG, eine allfällige Krankentaggeldversicherung sowie weitere Versicherungen, die auf die Lohnsumme abstellen. Zudem muss der Auftragnehmende rückwirkend bei der Pensionskasse angemeldet werden, wenn das hochgerechnete Honorar die Eintrittsschwelle der beruflichen Vorsorge erreicht. Der Auftraggebende kann die Arbeitnehmendenbeiträge vom Auftragnehmenden zurückfordern. Das Risiko, dass es dann zu Unstimmigkeiten kommt, ist je nach Geschäftsbeziehung aber hoch.

Auch für den Auftragnehmenden hat eine Umqualifizierung nebst den nachträglichen Forderungen des Auftraggebenden weitere unangenehme Folgen. Da die abgerechneten Umsätze jetzt als Lohn betrachtet werden, muss er eine allfällige darauf abgerechnete Mehrwertsteuer rückabwickeln, zudem den Jahresabschluss seines Unternehmens anpassen und bei der Steuerverwaltung ein Rektifikat einreichen. Ist die Steuer bereits definitiv veranlagt, muss ein Revisionsverfahren eröffnet werden. Erst auf Basis der korrigierten Steuerveranlagung können AHV-Beiträge zurückgefordert werden, die er als Selbstständigerwerbender bereits abgerechnet hat. Insbesondere bei rückwirkenden Nachforderungen ist eine vollständige Rückabwicklung mit vertretbarem Aufwand nicht mehr möglich. Schlimmstenfalls sind dann die Beiträge doppelt bezahlt.

Verhältnis vor Vertragsabschluss abklären

Umqualifizierungen sind für beide Parteien mit vielen Unannehmlichkeiten und Mehrkosten verbunden. Das kann mitunter die Geschäftsbeziehung schwer belasten oder gar zum Bruch führen. Es ist daher dringend zu empfehlen, die Verhältnisse bereits vor Vertragsabschluss möglichst abschliessend zu klären. Unsere Checkliste bietet dabei Unterstützung:

Checkliste für Auftragspartner

 

  1. Rechtsform: Ist der Vertragspartner eine juristische Person?
  2. Liegt eine aktuelle Bescheinigung der Ausgleichskasse vor, dass die selbstständig erwerbende Person als solche angeschlossen ist für die vereinbarte Tätigkeit?
  3. Erfüllt die selbstständig erwerbende Person die Kriterien der Selbstständigkeit?
  4. Liegt ein schriftlicher Auftrag vor, der die Kriterien der selbstständigen Tätigkeit mehrheitlich erfüllt?
  5. Ist die Summe der bezahlten Honorare in den letzten fünf Jahren wesentlich? (BVG-Eintrittsschwelle erreicht oder zu erwartende Nachzahlung ist wesentlich im Verhältnis zum Gesamterfolg beziehungsweise zur kurzfristig verfügbaren Liquidität).

Bei einem «Nein» bei den Fragen 1 bis 4 besteht ein (hohes) Risiko einer Umqualifizierung. Bei einem «Ja» bei Frage 5 dürfte auch die Schadenssumme bei einer Umqualifizierung relevant sein. Eine eingehende Überprüfung ist dringend zu empfehlen.

 

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­­Myriam Minnig betreut seit über 25 Jahren Betriebe in den Bereichen ­Finanzen, Lohn und Personal und unterrichtet in Lehrgängen und Seminaren. Sie ist Sozialversicherungs- und Finanzfachfrau sowie Ausbilderin mit Eidg. FA und leitet bei BDO Schweiz das Treuhandteam in Luzern sowie die Fachgruppe Sozialversi­cherung und Vorsorge.

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