«Stelle frei – wen interessiert's?»
Das Phänomen des non-visiblen Kandidatenmarkts macht in vielen Unternehmen die jahrelangen Investitionen in die Arbeitgebermarke zunichte und lässt Talent-Attraction-Aktivitäten wirkungslos verpuffen.
März 2022, Richmond HR Forum – Die in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsinstitut LINK durchgeführte Befragung der anwesenden CHROs war für einmal nicht auf den demografischen Wandel oder die verminderte Zuwanderung ausgelegt. Der Fokus lag auf geschäftskritischen Rekrutierungsoffensiven im ausgetrockneten Kandidaten- markt. Die Anwesenden wurden zu fünf elementaren Bereichen befragt. Das Resultat: Über 80 % der HR-Organisationen haben heute keine Chance mehr, unternehmenskritische Stellen fristgerecht zu besetzen, weil ihre Arbeitgebermarke die Zielgruppe nicht erreicht.
Alles beim Alten, ausser den Arbeitnehmenden
Unternehmen sind gefordert: Bleiben Fach- und Führungspositionen über längere Zeit unbesetzt, schadet dies der Geschäftsentwicklung und kostet Geld. Der Druck auf das HR steigt. Und was macht die Linie? Wie eh und je definiert sie komplexe Anforderungsprofile und hegt den Anspruch auf eine «gründliche Selektion» aus vielen Bewerbenden. Der Haken: Dass sich Persönlichkeiten aktiv bewerben und zudem die gefragten Qualifikationen mitbringen, ist je länger je unwahrscheinlicher. Die Zielgruppe verliert ihre Visibilität – sie taucht ab oder koppelt sich sogar so weit ab, dass sie am liebsten gar nicht mehr gefunden (und kontaktiert) werden will.
Ergebnis der Erhebung am Richmond-Forum 2022 unter den teilnehmenden CHROs
80% sind der Ansicht, dass ihre Arbeitgeber- marke überdurchschnittlich gut ausgebaut ist. Dennoch greift sie bei gesuchten Profilen im ausgetrockneten Kandidatenmarkt zu wenig.
Im Trockenen fischen
Mit dem passiven oder non-visiblen Kandidaten- markt hat ein neues Phänomen an Wichtigkeit gewonnen. Was bedeutet das für Unternehmen? Die Auseinandersetzung mit Menschen, die kein eigentliches Interesse und keinerlei intrinsische Motivation an einer Vakanz zeigen, gleicht einer Herkulesaufgabe. Als Folge dieser Entwicklung zielen herkömmliche Employer-Branding-Strategien am eigentlichen Zielmarkt vorbei, denn sie sind zu stark auf Personen ausgerichtet, die aktiv auf Stellensuche sind und sich sowieso schon für ein Unternehmen interessieren.
Arbeitgeberin: Von der Königin zur Bettlerin
Fachkräfte sind rar, wertvoll und begehrt – und das wissen sie. Die neue Situation weckt Begehr- lichkeiten. Linie & HR sehen sich nicht nur mit hohen Gehaltsforderungen oder Ansprüchen beim hybriden Arbeiten, sondern in erster Linie mit einer veränderten Haltung des Gegenübers konfrontiert. Mitarbeitende wollen – wenn überhaupt – gefunden werden. Wer zum passiven Kandidatenmarkt gehört, hört sich Jobangebote unverbindlich an, stellt Ansprüche und pickt sich Rosinen heraus – ein Umsturz des bisher geltenden Kräfteverhältnisses zwischen Unternehmen und Arbeitnehmenden, das Organisationen zu grundlegendem Umdenken zwingt.
Gewohnheit vs. Reflektieren
Die Umfrage am Richmond HR Forum zeigt, dass CHROs diese Veränderung im Markt durchaus erkannt haben. Allerdings sind sich viele Management-Teams der Dringlichkeit und auch der Auswirkungen nicht bewusst. Sie verharren in alten Schemata, setzen weiterhin auf die Methode «Post & Pray» und auf das Prinzip Hoffnung. Eine rechtzeitige Auseinandersetzung mit der zielgruppengerechten Vermarktung der Vakanzen kommt zu kurz. Und nicht selten fehlt das selbstkritische Reflektieren: Was haben wir zu bieten? Welche Skills brauchen wir wirklich? Warum sollen die gesuchten Personen überhaupt bei uns arbeiten?
Abnehmende Tendenzen
- Qualitativer, aktiver Bewerbermarkt
- Visibilität Zielpersonen
- Employer Brand greift bei Zielgruppe
- Reaktionen auf unqualifizierte Direktansprachen
- Lust, in Unternehmen veralteter Denk- und Handlungsweise zu arbeiten
Zunehmende Tendenzen
- Anspruchhaltung der Mitarbeitenden
- Wichtigkeit, Mitarbeitende zu halten (Retention is King)
- Bedeutung Onboarding-Qualität Investition in Personalstrategie
- Time to Performance
- Fluktuation
- Druck auf Lohnhygiene
- Team-Belastung
- Druck auf Recruiting-Abteilung
Bewusstsein schärfen ist der Weg zum Ziel
Bei Viavanta hat man in den letzten zwei Jahren bei der Talent Acquisition von Führungs- und Fachpersonen eine Verschiebung der Kräfte beobachtet. Je eher man sich in den Unternehmen der Veränderungen bewusst ist, desto erfolgreicher gelingt das Gewinnen – und das Halten – der begehrten Fachkräfte. Was lösen folgende Fragen bei Ihnen aus? Ist Ihnen und Ihrem Führungsgremium bewusst, dass:
- die Zeitspanne vom Start der Rekrutierung bis die Person die volle Leistung erbringt (Time to Performance) durchschnittlich 9-12 Monate dauert?
- die gesuchten Fachkräfte aufgrund des ausgetrockneten Kandidatenmarkts und der hohen Nachfrage in den non-visiblen Bereich verschwinden?
- eigene Mitarbeitende mehrmals monatlich von Recruitern angegangen werden?
- die Fluktuation bestehender Mitarbeitenden verhindert werden muss (Retention is King)?
- die eigene Lohnhygiene unter Druck kommt?
Die Auseinandersetzung mit den Mitarbeitenden der Zukunft betrifft nicht nur das HR. Es erfordert ein grundlegendes Umdenken in den Führungsgremien. Dazu gehört das Bewusstsein, dass die eigenen Mitarbeitenden die gleichen Ansprüche haben wie Kandidat:innen, sich aber vielleicht nicht trauen, diese offen einzufordern. Noch nicht.
Tipps vom Experten
- Starten Sie eine quartalsweise, rollierende Prüfung Ihrer Personalplanung über die nächsten 12 Monate.
- Kalkulieren Sie eine erhöhte Fluktuation und berücksichtigen Sie die «Time to Performance».
- Validieren Sie Ihre Employer-Branding-Strategie mit Blick auf den passiven Kandidatenmarkt.
- Identifizieren Sie überlastete Teams und ergreifen Sie dezidierte Massnahmen, um unnötige Fluktuation zu verhindern.
Fitness-Test: Wo steht Ihre HR-Organisation?
Ist Ihr Unternehmen gewappnet für den Wandel des Arbeitsmarktes? In weniger als 5 Minuten wissen Sie mehr: Machen Sie den Test. Mit der Auswertung erhalten Sie ein Instrument, um Ihr Anliegen in der Geschäftsleitung zu erläutern.
Die Erkenntnisse werden in der nächsten Ausgabe des HR Today beleuchtet. Am HR FESTIVAL europe vom 28. und 29. März 2023 diskutieren wir das kontroverse Thema auf dem Podium mit Expert:innen und Vertreter:innen von Arbeitnehmenden und Unternehmen.
Der Fitnesstest für CHROs und HR-Entscheider:innen ist eine Kooperation von HR Today, Viavanta und dem Marktforschungsinstitut LINK. viavanta.ch/multiple-search/fitnesstest
Viavanta steuert geschäftskritische Rekrutierungsoffensiven und beschäftigt sich systematisch mit Kandidatenmärkten. Als Ambassado- rin ermöglicht sie Unternehmen den Zugang zu potentiellen Mitarbeitenden.