Psychologie

Strategien für erfolgreiche Selbstführung

Die Flexibilisierung und Digitalisierung in der Arbeitswelt erfordern von hochqualifizierten Mitarbeitenden zunehmende Eigenverantwortung. Gut ausgebildet, steigert Selbstführung nachhaltig Motivation, Gesundheit und Wohlbefinden. Doch wie wird sie gefördert? Evidenzbasierte Tipps aus der Forschung.

Die aktuellen Veränderungen in der Arbeitswelt durch die Digitalisierung und Flexibilisierung sind fundamental. Neue Technologien, flexible Arbeitsplätze und veränderte Anforderungen bieten höher qualifizierten Mitarbeitenden mehr Entscheidungsfreiheit: Sie gestalten ihre Arbeitsaufgaben eigenverantwortlich, während die Digitalisierung orts- und zeitunabhängiges Arbeiten ermöglicht. Die grössere Autonomie erfordert mehr Selbständigkeit und erhöht die Arbeitsintensität. Die gestiegene Eigenverantwortung verlangt nach ausgeprägter Selbstführung. Zudem verändert sich die Bedeutung der Erwerbsarbeit, was Führungspersonen und Organisationen dazu zwingt, auf den Wertewandel zu reagieren. Stimmen die Werte der Organisation mit denen ihrer Mitarbeitenden überein, stärkt das die intrinsische Motivation und Zufriedenheit, während der Energieaufwand für die Selbstführung reduziert wird.

Selbstführung im Arbeitskontext

Selbstführung ist die Fähigkeit, eigene Ziele zu definieren, zu verfolgen, stetig anzupassen und zu erreichen. Dazu gehört auch, das eigene Verhalten und die eigenen Emotionen in einer Weise zu regulieren, dass es besser gelingt, langfristige Ziele zu erreichen, ohne sich von kurzfristigen Bedürfnissen ablenken zu lassen.

Menschen, die Ziele auswählen, die mit den eigenen Werten und Interessen übereinstimmen, können auf mehr Ressourcen zurückgreifen und sind zufriedener, gesünder und leistungsfähiger. Studien zeigen, dass diese Personen effektive Selbstregulationsmethoden nutzen, um Ablenkungen zu minimieren, etwa durch die gezielte Auswahl und Anpassung von Situationen sowie kognitive Umdeutungen. Sie erleben eine erhöhte Selbstwirksamkeit, das heisst, sie sind überzeugt, die Ziele auch wirklich erreichen zu können. Ausserdem sehen sie eine bessere Übereinstimmung zwischen ihren Werten und denen der Organisation, was die Wahrscheinlichkeit der Zielerreichung und damit die Zufriedenheit erhöht. Im Gegensatz dazu beeinträchtigt das Verfolgen von Zielen aus externen Gründen die Selbstwirksamkeit und die Wahrnehmung der Werteübereinstimmung, was sich negativ auf die Zielverwirklichung und Mitarbeiterzufriedenheit auswirkt.

Wie kann die Selbstführung verbessert werden?

Aus den Ergebnissen der psychologischen Forschung lassen sich folgende Strategien für Mitarbeitende ableiten:  

Werte bei der Zielsetzung integrieren

Das Festlegen von Zielen und die Planung von Aktivitäten, die den eigenen Werten entsprechen, sind entscheidend für eine erfolgreiche Selbstführung. Arbeitsziele können individuell an persönliche Bedürfnisse und Kompetenzen angepasst werden, sogar in einfachen Routineabläufen. Zum Beispiel kann eine Verkäuferin, die grossen Wert auf den Respekt legt, ihre Interaktionen mit Kundinnen und Kunden entsprechend gestalten. In der Selbstführung spielen gemäss Forschung die Selbstwahrnehmung und das Verständnis der eigenen Werte eine wichtige Rolle und können durch achtsamkeitsbasiertes Training gefördert werden. Indem man seine Präferenzen berücksichtigt und Ablenkungen voraussieht, kann man alternative Handlungsmöglichkeiten einplanen, die leichter umgesetzt werden können.

Ereignisse neu interpretieren lernen

Ereignisse lassen sich unterschiedlich deuten. Bei anstrengenden oder unattraktiven Aktivitäten hilft es, sich auf positive Aspekte zu konzentrieren, die Grundbedürfnisse wie Sinnhaftigkeit, Autonomie, Kontrolle und Kompetenz erfüllen. Motivierend ist es, sich auf Aspekte der Arbeit zu fokussieren, die den eigenen Bedürfnissen, Vorlieben und Werten entsprechen. Beispielsweise können die Arbeitsumgebung oder Arbeitsabläufe gemäss den persönlichen Vorlieben gestaltet werden. Auch kann durch zielförderliche Selbstinstruktion die eigene Stimmung beeinflusst werden: Ziele werden leichter erreicht, wenn sie als hilfreich für langfristige Ziele betrachtet werden.

Routinen etablieren

«Wenn-Dann»-Pläne sind ein wirksames Werkzeug, Verhaltensänderungen zu fördern und energiesparende Routinen zu etablieren. Diese Pläne verknüpfen eine bestimmte Situation (das «Wenn») mit einer gezielten Handlung (das «Dann»). So entstehen positive Gewohnheiten, die bei der Zielerreichung helfen und auf individuelle Bedürfnisse abgestimmt werden sollten.

Auch für Führungspersonen und Organisationen lassen sich praktische Implikationen aus der Forschung ableiten:

Führung und Werte

In einer Zeit, in der Selbstverwirklichung und eigenständiges Handeln wichtiger werden, kann ein transformativer Führungsstil die Übereinstimmung zwischen Mitarbeitenden und Organisation fördern. Dieser Stil setzt auf individualisierte Führung und intellektuelle Anregung. Durch die Unterstützung von Diskussionen über Werte und Erwartungen können Führungskräfte die Zufriedenheit, Motivation, Gesundheit und die nachhaltige Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden steigern. «Servant Leadership» ist ein weiterer Ansatz, der die Interessen und die Entwicklung der Mitarbeitenden in den Mittelpunkt stellt, und fördert damit die Grundbedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und Kontrolle. Die Verbindung zwischen den Werten der Organisation und denen der Mitarbeitenden sollte auch in der Führungsentwicklung thematisiert werden.

Belohnungssystem und Arbeitsorganisation

Langfristig empfiehlt die Forschung, die Arbeitsorganisation und das Belohnungssystem so anzupassen, dass Mitarbeitende sinnstiftende und kreative Arbeit ausführen können. Sinnvolle Tätigkeiten wirken belohnend und motivierend. Eine umfangreiche Längsschnittstudie zeigte, dass sinnvolle Arbeit das Engagement und die Motivation erhöht und gesundheitsförderliche Effekte hat. Wenn Organisationen Ziele vorgeben, liegt es an den Mitarbeitenden, sich selbst zu regulieren, um diese zu erreichen. Die Organisation sollte verdeutlichen, warum diese Ziele relevant sind und wie deren Erreichung die individuellen Werte und Bedürfnisse der Mitarbeitenden erfüllt. Zudem ist es wichtig, die Mitarbeitenden davon zu überzeugen, dass sie die Fähigkeiten besitzen, die gesteckten Ziele zu erreichen.

Rahmenbedingungen innerhalb der Organisation

Auf organisatorischer Ebene ist ein bewusster Umgang mit individuellen Bedürfnissen und Verschiedenheit erforderlich, um die Unterschiede zwischen Mitarbeitenden bewusst zu nutzen. Das umfasst die Berücksichtigung diverser Hintergründe und generationenübergreifender Bedürfnisse sowie den Wandel hin zu intrinsischen Werten. Teilzeitstellen für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind ein gutes Beispiel dafür. Organisationen, die auf die Interessen und Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden eingehen, fördern die Übereinstimmung der Werte. Schliesslich führt das zu erhöhtem Wohlbefinden, besserer Gesundheit und nachhaltiger Leistungsfähigkeit – im Interesse der Organisation und des Einzelnen.

Der Artikel ist eine Zusammenfassung eines Artikels, der einen Überblick zu evidenzbasierten Strategien gibt (Knafla & Keller, 2023).


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Carmen Keller

Carmen Keller ist als Psychologin, Psycho­therapeutin und Dozentin am IAP Institut für Angewandte Psycho­logie der ZHAW tätig, nachdem sie mehrere Jahre an der Universität Zürich und an der ETH Zürich in der Forschung und Lehre zu Selbst- und Emotionsregulation arbeitete.

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Imke Knafla

Imke Knafla, Professorin am IAP Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW, verantwortet dort in Co-Leitung das Zentrum für Klinische Psycho­logie & Psychotherapie.

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