Talentmanagement

«Talent-Softwaremarkt steckt noch in den Kinderschuhen»

Seit Juni leitet Marc Stoffel das Talentmanagement-Software-Unternehmen Haufe-umantis. Das Jungtalent über die Wahl zum CEO, Expansionspläne, die Ambivalenz gegenüber der Konkurrentin SAP, Energiekiller, Gurus, Trends und Visionen.

Sie beschäftigen sich seit rund zehn Jahren mit Talentmanagement und wie sich dessen Prozesse in Softwarelösungen abbilden lassen: Wo sehen Sie eigentlich Ihre persönlichen Talente?

Marc Stoffel: Ich kann Leute für unsere Firma, Ideen und Produkte begeistern. Ich bin weniger gut darin, Detailprobleme zu lösen, aber ich kann Menschen auf eine Reise mitnehmen und habe auch eine gute Intuition, was strategisch funktioniert und was nicht.

Sie sind im Juni dieses Jahres mit 31 Jahren von 
der Belegschaft als Nachfolger von umantis-Firmengründer Hermann Arnold zum CEO gewählt worden: Gab es eigentlich Gegenkandidaten oder war die Aktion nur eine gute Marketinggeschichte?

Nein, diese Wahl ist Auftakt dafür, das Prinzip, dass die Mitarbeiter ihre Vorgesetzten wählen, generell in unserer Unternehmenskultur zu verankern. Ab diesem November werden wir jährlich alle Kaderstellen von den Mitarbeitern in einer Wahl neu besetzen lassen. Hermann Arnold hat die Wahl seiner Nachfolge offen gestaltet, mich jedoch im Plenum vorgeschlagen. Es hat keine Gegenkandidaten gegeben. Aber es gab die Gegenoption, dass er CEO bleibt.

Warum hat er den CEO zur Disposition gestellt?

Er hat die Firma seit der Gründung im Jahr 2000 absolut hervorragend positioniert, war jedoch zur Auffassung gelangt, dass für die nächste Ausbauphase, die wir «100 Mitarbeiter plus» nennen, jemand mit anderen Kompetenzen und Ansätzen erfolgreicher sein würde als er selbst. Indem er einen Schritt zurücktrat, hat er viel Stärke bewiesen. Heute beschäftigt er sich mit seiner Leidenschaft: mit Produktinnovationen die Arbeitswelt der Zukunft mitzugestalten.

Hand aufs Herz: Gab es auch Vorbehalte?

Ich habe gedacht, dass mein relativ junges Alter ein Thema sein könnte. Anlass für die grössten Vorbehalte war jedoch die Frage, ob ich mit meinem Vertriebshintergrund auch für die CEO-Funktion geeignet bin. Viele Mitarbeiter kennen mich nur aus meiner letzten Funktion als Vertriebs- und Marketingleiter.

Und was haben Sie entgegnet?

In meiner langen umantis-Karriere habe ich ausser der Buchhaltung praktisch jeden Job gemacht. Ich bin als Praktikant in der Beratung gestartet und habe anfangs auch noch selber entwickelt. Gemeinsam mit dem Team habe ich vor etwa sechs Jahren eine Idee entwickelt, wie wir statt der ehemals massgeschneiderten Lösungen für unsere damals rund 30 Kunden ein standardisiertes Softwareprodukt entwickeln könnten, welches sich tausendfach multiplizieren lässt. Diese Idee haben wir der Geschäftsleitung vorgeschlagen und wir bekamen die Chance, die Idee als Produktentwickler und -manager umzusetzen und am Markt zu etablieren.

Zur Person

Marc Stoffel (31) ist in Horn am Bodensee aufgewachsen. Nach einer Informatiklehre mit Berufsmatur absolvierte der leidenschaftliche Ruderer und Junior-Schweizermeister ein Wirtschaftsinformatik- und MBA-Studium an der Universität Vaduz in Liechtenstein. Noch als Student ist er als Praktikant bei dem 
Talentmanagement-Software-Start-up umantis eingestiegen, die 2012 für eine unbekannte Summe von der deutschen Haufe-Gruppe übernommen wurde und seither unter dem Namen Haufe-umantis AG firmiert. Im Juni wurde er als Nachfolger des Firmengründers Hermann Arnold von der Belegschaft zum CEO gewählt.

Ist der Vertrieb doch Ihr eigentlicher Traumjob?

Trotz anfänglicher Bedenken habe ich in dieser Aufgabe tatsächlich meine Passion gefunden und konnte mit einem hervorragenden Team in den letzten Jahren die Kundenzahl von 300 auf 1000 hochskalieren, die Mitarbeiterzahl ist in dieser Zeit auf heute rund 100 Leute angewachsen. Die Geschichte ist ein gutes Beispiel dafür, wie es oft die Mitarbeiter an der Front sind, welche die wichtigsten Ideen einbringen, und nicht unbedingt die Unternehmensleitung. Diese wurde quasi zum Investor und die Mitarbeiter zu Unternehmern. Das ist ein spannendes Führungsmodell, dem wir nicht nur in unserer eigenen Firma eine grosse Zukunft voraussagen.

Wie gross ist die Haufe-umantis in drei Jahren?

Mittelfristig wollen wir weltweit einer der führenden Anbieter einer neuen Generation visionärer Talentmanagement-Software werden. Ich glaube, dass wir das Potenzial haben, weltweit einer der führenden Player zu sein. Deshalb ist es unser Ziel, stark zu internationalisieren. Ende Jahr lancieren wir den Markteintritt in den USA. Durch die Haufe-Gruppe verfügen wir auch über einen starken Marktzugang in Asien.

Apropos USA: Dort treten Sie unter anderem gegen den Giganten Oracle an, der 2011 für geschätzte 1,9 Milliarden Dollar den Software-Anbieter Taleo gekauft hat. Womit kann die verhältnismässig kleine Haufe-umantis auftrumpfen?

Wir glauben, dass unser Ansatz, alle Mitarbeitenden demokratisch in die Unternehmensentscheidungen zu involvieren, langfristig erfolgreicher und nachhaltiger ist als das Top-down-Modell, das vor allem in den USA vorherrscht. Moderne Unternehmen, die auf Wissensarbeit aufbauen, sind heute permanent gefordert, Innovationen zu bringen und sich neu zu erfinden. Dieser Prozess findet nicht nur an der Spitze statt, sondern bei jedem Mitarbeiter oder eben Mitunternehmer.

Auch in Europa haben Sie mächtige Konkurrenten. Allen voran wohl die deutsche SAP, die drei Monate vor dem Aufkauf von Taleo durch Oracle für geschätzte 3,4 Milliarden Dollar den Software-Anbieter Successfactors gekauft hat. Wie beurteilen Sie diese Übernahme aus heutiger Sicht?

Für viele unserer Schweizer Kunden ist SAP das führende HR-System. Insofern ist die SAP für uns nicht nur ein Konkurrent, sondern auch Partner, weil viele unserer Lösungen auf SAP aufsetzen.

Allerdings berichten uns viele Kunden von einer gewissen Unsicherheit, was sie nun tun sollen. Jetzt, wo SAP mit Successfactors eine neue Talentmanagement-Lösung gekauft hat und diese nun pushen will, nachdem sie die vergangenen zehn Jahre lang natürlich ihre eigene Lösung empfohlen hat. Für uns ist diese Verunsicherung sehr positiv, weil wir heute Kunden erreichen, die vorher blind auf die Lösung von SAP vertraut haben, weil es die strategische Lösung war. Heute, wo SAP im Talentmanagement zwei Optionen anbietet, liegt es auf der Hand, dass Unternehmen bei Neuevaluationen etwas breiter Ausschau halten und vielleicht auch noch eine dritte Option ins Boot nehmen.

Der Begriff Talentmanagement ist Ende des 20. Jahrhunderts aufgekommen. Wo steht das Talentmanagement heute?

Talentmanagement und auch der entsprechende Softwaremarkt stecken heute noch in den Kinderschuhen. Bis anhin hat man vor allem versucht, HR-Prozesse, die bisher auf dem Papier stattgefunden haben, mit Softwaresystemen zu unterstützen. Das dauert noch bis heute an. Das Talentmanagement der Zukunft nutzt jedoch die neusten Technologien, um die Art und Weise der Zusammenarbeit zu verändern. Facebook beispielsweise hat etwas entfesselt, was in den Leuten gesteckt hat. Darum glauben wir sehr stark an die Kraft von Plattformen. Aber Tools sind nicht alles. Um die Wirkung der Werkzeuge zu entfalten, braucht es auch Menschen, Organisation und Führung. Wir werden uns schwerpunktmässig auf Plattformen fokussieren, unsere Kunden aber immer stärker ganzheitlich beraten.

Welchen Ansatz verfolgen Sie?

Unser Menschenbild geht davon aus, dass jeder Mitarbeiter das Beste und Sinnvollste aus sich und dem Unternehmen machen will. Wir bauen Prozesse und Softwarelösungen, die auf diesem Prinzip beruhen. Wenn man hingegen ein Tool für die HR-Abteilung baut, wo die Mitarbeitenden und Vorgesetzten das Gefühl haben, sie müssten Daten einklopfen, damit der HRler mit schönen Reports in die Geschäftsleitung gehen kann, dann ist die Akzeptanz natürlich nicht so gross. Oft sind Talentmanagement-Prozesse, die im HR verantwortet werden, eigentlich viel zu kompliziert und fernab von den Bedürfnissen der Mitarbeitenden und Vorgesetzten. Dadurch entfremdet sich die Linie vom HR.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Noch vor zehn Jahren haben alle wissenschaftlich fundierte Kompetenzmodelle designt. Man hatte die Idee, dass man einen Mitarbeiter mit seinen Fertigkeiten und Fähigkeiten in einem Kompetenzraster abbilden kann. Das hat dazu geführt, dass sich die Mitarbeitenden und Führungskräfte auf zig Dutzend Kompetenzen einschätzen mussten, obwohl sie die Begriffe zum Teil gar nicht verstanden haben. Das grosse Problem ist, dass das Kompetenzmodell zwei Monate später schon wieder veraltet war, weil sich Firmen heute ständig verändern und deshalb ständig neue Kompetenzen gefordert sind.

Was halten Sie diesem Ansatz entgegen?

HR-Instrumente sollen sich einzig an den Bedürfnissen der Organisation ausrichten, nicht an theoretischen Modellen, die in der Praxis nicht funktionieren. Ich glaube, dass es einen starken Trend gibt, dass man wegkommt von überentwickelten Lösungen und Performance-Management-Prozessen, die sich nur zu oft als Energiekiller entpuppen. Der Trend geht hin zu viel einfacheren, praktikableren Lösungen, die von der Belegschaft geliebt werden sollten, Energie freisetzen und so auch wirklich etwas bewirken.

Sie sprechen viel von «Energie», «Kultur» und sogar «Liebe» im Zusammenhang mit Talentmanagement-Software. Gibt es für Sie auch eine Art Guru?

Es gibt viele Gurus und Vorbilder für uns. Peter Drucker ist für uns ganz wichtig. Ein Vordenker, der bereits um 1950 beschrieben hat, wie man Wissensarbeiter motivieren und zu Höchstleistungen bringen kann. Drucker hat schon vor über 70 Jahren gefordert, dass ein Wissensarbeiter am ersten Tag seinen eigenen Stellenbeschrieb festhalten und seine Ziele selber festlegen soll.

Gibt es auch zeitgenössische Vordenker?

Auf der wissenschaftlichen Seite steht uns Prof. Dr. Heike Bruch von der HSG 
St. Gallen sehr nahe. Mit ihr arbeiten wir auch sehr eng zusammen. Sie hat sich in den letzten zwölf Jahren damit beschäftigt, wie man organisationale Energie messen kann, und einen Zusammenhang festgestellt zwischen der Motivation von Mitarbeitern – also organisationaler Energie, Produktivität, Innovationsquote und wirtschaftlichem Erfolg von Unternehmen. Wir haben diese Energiemessung jetzt als Softwareprodukt auf den Markt gebracht, welches sich zurzeit bei einem ersten Kunden im Pilotbetrieb befindet. Selber sind auch wir gerade an einer Energiemessung.

Wie wird Energie gemessen?

Energie wird über eine Mitarbeiterbefragung gemessen, die weder auf die persönliche Energie noch auf die Mitarbeiterzufriedenheit abzielt, sondern auf die Energie in der Organisation, in der man arbeitet. Mit unserer Software können Sie diese Energie zwischen verschiedenen Teams, Divisionen und Abteilungen vergleichen, über längere Zeitperioden hinweg Benchmarks entwickeln und dann schauen, wie diese Werte mit der Unternehmensperformance korreliert.

Was ist Ihre Vision?

Wir haben die Vision, dass wir so gute Produkte bauen müssen, dass der Mitarbeiter die Software am Ende selber kaufen würde respektive bei seinem Arbeitgeber einfordert. So versuchen wir unsere Software auszurichten. Weg vom reinen Bedürfnis des HR-Managers hin zum Bedürfnis des Mitarbeiters. Talentmanagement der Zukunft wird sich dadurch auszeichnen, dass der Mitarbeiter seine eigenen Talente erkennt – nicht zuletzt durch Feedbacks seiner Kollegen –  und so seine Talente voll einbringen, entfalten und dadurch zum Unternehmenserfolg beitragen kann.

Konkret?

Beispielsweise indem ein Mitarbeiter fernab von seiner Stellenbeschreibung Ideen einbringen kann und diese mit anderen teilt, weiterentwickelt und Innovationen generiert mit Leuten, mit denen er normalerweise vielleicht nicht direkt zusammenarbeitet, und so die Unternehmung weiterbringt. Ich sage bewusst fernab vom Stellenprofil, weil wir glauben, dass in Zukunft die Arbeit viel stärker flexibilisiert wird. Wir werden vermehrt von zu Hause aus arbeiten. Es wird viel weniger klassische Arbeitsverhältnisse geben im Sinne «Dienst gegen Geld». Man wird viel projektbezogener arbeiten. Wir sehen das Talentmanagement-System als etwas, das ein Unternehmen zusammenhält. Weg von reinen Zielvereinbarungen und Bonussystemen hin zu etwas, das Spass macht und den Leuten ermöglicht, an wichtigen Dingen mitzuarbeiten und Erfolg zu haben.

Wo bleibt hier noch der Talent-Aspekt?

Das ist eine Definitionsfrage. Es kommt darauf an, ob man «Talente» als einzelne Leistungsträger, also «Goldfische», betrachtet oder «Talente» als Fähigkeiten erachtet, die alle Mitarbeiter mitbringen. Wir verfolgen eindeutig die zweite Definition. Wenn Mitarbeiter ihre Talente in Projekten optimal einbringen können, entfacht das Energie und Leistung. Wo Talentmanagement-Tools nicht nur einmal im Jahr mit Daten gefüttert werden, sondern als tägliches Arbeitsinstrument zum Einsatz kommen, sieht man, dass sich was dreht.

Sie unterstützen mit Ihren Produkten aber auch die klassischen Kernprozesse des Talentmanagements?

Sicher, wir holen den Kunden dort ab, wo er heute ist, mit den Bedürfnissen, die er heute hat. Das sind in der Regel Themen wie die Gewinnung von neuen Mitarbeitern, Zielvereinbarungs- und Bonussysteme, Personalentwicklungsinstrumente oder Nachfolgeplanungs-Tools. Wir zeigen unseren Kunden aber auch die Welt von morgen auf und begleiten sie Schritt für Schritt in eine neue Arbeitswelt.

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Ehemaliger Chefredaktor HR Today.

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