HR Today Nr. 7&8/2020: Praxis – Berufliche Vorsorge

Ü50 als vermeintlicher Risikofaktor

Bei einem Jobverlust haben es ältere Arbeitnehmende schwerer, eine neue Stelle zu finden. Häufig werden als Mitgrund dafür die in der zweiten Säule anfallenden Kosten genannt. Doch senkt die berufliche Vorsorge tatsächlich die Anreize zur Beschäftigung älterer Personen?

Die berufliche Vorsorge steht schon seit längerem im Verdacht, zur Diskriminierung älterer ­Arbeitskräfte beizutragen. Zwar reagiert die ­Arbeitslosenquote der Älteren auf konjunkturelle Schwankungen weniger empfindlich als jene der Jüngeren. Menschen über 50 haben es jedoch schwerer, eine neue Stelle zu finden. Die zweite Säule wird dabei immer wieder als Hindernis für die Arbeitsmarktintegration genannt. Häufig hört man zudem, dass die mit dem ­Lebensalter steigenden Lohnbeiträge ältere ­Arbeitskräfte zu stark verteuern.

Zu hohe Renten

Die berufliche Vorsorge enthält weitere Fallstricke, beispielsweise die Pensionierungsverluste. Sie entstehen, wenn das angesparte ­Altersguthaben einer Person nicht ausreicht, um ihre lebenslange Rente zu finanzieren. Im BVG-Obligatorium legt das Gesetz mit dem Umwandlungssatz fest, wie das angesparte Guthaben in eine jährliche Altersrente umzuwandeln ist. Der gesetzliche Umwandlungssatz von aktuell 6,8 Prozent ist anerkanntermassen zu hoch. Die Folge: Die Renten sind gemessen an der gestiegenen Lebenserwartung und dem aktuellen Zinsumfeld ebenfalls zu hoch. Für Pensionskassen werden Pensionierungen deshalb zum Verlustgeschäft.

Besonders betroffen sind Pensionskassen, die nur das gesetzliche Minimum oder wenig mehr versichern. Für die Finanzierung der laufenden Renten müssen sie Anlageerträge verwenden oder Aktivversicherte und Arbeitgebende mit höheren Beiträgen belasten. Pensionskassen, die überobligatorische Leistungen versichern, verfügen über einen gewissen Risikopuffer. Sie können über Leistungskürzungen im Überobligatorium Pensionierungsverluste ausgleichen. Doch auch hier gilt: Verluste sollen möglichst vermieden werden. Entsprechend werden Pensionskassen bei der Aufnahme neuer Firmen wählerisch und Betriebe mit vielen Älteren werden als Risikofaktor empfunden.

Dazu kommen Rechnungslegungsvorschriften, welche die Kosten der beruflichen Vorsorge den Unternehmen bewusstmachen. So führt der internationale Rechnungslegungsstandard IFRS (IAS 19) dazu, dass Pensionierungsverluste in den Bilanzen der Unternehmen auftauchen. Es wird befürchtet, dass das den Druck der CFOs auf die PK-Verantwortlichen erhöht. Auch kann sich ein unterfinanzierter Rentnerbestand bei Firmenübernahmen oder Fusionen negativ auf den Firmenwert auswirken.

Leistungsverschlechterung sozialverträglich umsetzen

Auf Nachfrage bei verschiedenen Unternehmen aus diversen Branchen, ob Pensionierungsverluste für ihr Unternehmen ein wichtiges Thema seien, kamen unterschiedliche Antworten: Alle waren sich einig, dass es ältere Arbeitskräfte bei einem Jobverlust schwerer haben, eine neue Stelle zu finden. Bei der Frage, ob die Gründe dafür überwiegend in der zweiten Säule zu orten sind, waren die Befragten aber unterschiedlicher Meinung. Unternehmen mit vorwiegend jüngerer Arbeitnehmerstruktur sahen die berufliche Vorsorge als einen von vielen Faktoren, weshalb Unternehmen ältere Arbeitnehmende nur zurückhaltend anstellen. Unternehmen mit vielen älteren Arbeitskräften nannten dagegen den hohen Umwandlungssatz und die Pensionierungsverluste als Gründe. Gemischte Rückmeldungen kamen ebenfalls zur Abbildung der Pensionierungsverluste in den Bilanzen: Für manche Firmen sind Pensionierungsverluste lediglich eine kalkulatorische Grösse, die wie jede Bilanzposition schwanken kann. Für andere Unternehmen sind diese dagegen ein wichtiger Faktor, der dazu führt, dass bei jeder Firmenübernahme eine Strategie entwickelt werden muss, wie damit umzugehen ist.

Im Resultat hat diese nicht repräsentative Umfrage ergeben, dass sich Unternehmen mit vielen älteren Arbeitskräften der Problematik bewusster sind als solche mit einer grösseren Altersdurchmischung. Im Hochlohnsegment scheint das Thema weniger relevant zu sein als in Bereichen mit durchschnittlichen oder tieferen Lohnstrukturen. Unternehmen, deren CEOs und Finanzchefs sich der Problematik bewusst sind und sich dieser aktiv annehmen, bemühen sich, Leistungsverschlechterungen sozialverträglich umzusetzen.

Politik hinkt hinterher

Im internationalen Vergleich betrachten Schweizer Unternehmen ältere Arbeitskräfte überdurchschnittlich häufig als Wettbewerbsnachteil. Die berufliche Vorsorge läuft Gefahr, diese Haltung zu verstärken, wenn sie ältere Arbeitskräfte zu «schlechten Risiken» macht und ihre Kosten ins Bewusstsein der Arbeitgebenden rückt. Das Problem liegt massgeblich darin, dass die Politik den zu hohen gesetzlichen Umwandlungssatz bislang nicht gesenkt hat. Pensionierungen sind damit per Gesetzesbefehl ein Verlustgeschäft.

Um der Diskriminierung älterer Arbeitskräfte entgegenzuwirken, wäre die Senkung des überhöhten Umwandlungssatzes die naheliegende Antwort. Sie entspräche am besten der Logik der zweiten Säule. Doch vielleicht gelangt diese Logik auch an (politische) Grenzen. Ebenso denkbar ist, den Solidaritätsgedanken zu stärken und einen «solidarisch» finanzierten Rentenzuschlag einzuführen, wie er von den Sozialpartnern vorgeschlagen worden ist und zurzeit politisch diskutiert wird.

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Dr. iur. Philipp Egli, Rechtsanwalt, Dozent und Leiter des Zentrums für Sozialrecht an der ZHAW in ­Winterthur.

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Dr. iur. Martina Filippo, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Sozialrecht der ZHAW und Studiengangleiterin des CAS Sozialversicherungsrecht für die Unternehmenspraxis.

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Dr. Claudia Sidler-Brand, Dozentin am Zentrum für Unternehmensentwicklung der ZHAW in ­Winterthur.

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