Interview über Führungsqualitäten

«Unreife Vorgesetzte lassen sich von der Macht verführen»

Markus Marthaler stieg mit einem Bluff in die HR-Welt ein – und zieht daraus überraschende Lehren. Was er über Mut, Machtmissbrauch und Selbstreflexion bei Führungskräften denkt, und warum Scheitern für ihn Teil des Erfolgs ist, erzählt er im Gespräch.

Herr Marthaler, Ihr grosser Eintritt in die Welt des HR basierte, so schreiben Sie, auf einem «Bluff», als Sie sich ohne Erfahrung bei Mövenpick als Ausbildungsleiter bewarben. Welche Lehren ziehen Sie rückblickend daraus?

Markus Marthaler: Nun, ich sagte mir einfach: «Natürlich kann ich Seminare geben, obschon ich noch nie eins durchgeführt habe». Ich war damals überzeugt, dass ich es schaffe, verfügte ich doch über ein gutes Lernumfeld. Ich erlebe oft, dass es Menschen schwerfällt, an sich zu glauben. Doch wenn man spürt, dass die innere Haltung gegenüber einer Sache stimmt, warum nicht einmal etwas riskieren und sich selber oder auch einer anderen Person eine Chance geben? Wenn ich zurückblicke, hatte ich viele solche Momente gerade auch in Rekrutierungsgesprächen. Manchmal gelingt es, manchmal geht der Schuss daneben. Ist das nicht einfach auch Teil des Lebens?

Dank einem grossen Netzwerk konnten Sie sich selbständig machen und wurden von der Führungskraft zum Berater. Was gefällt Ihnen an dieser Position?

Marthaler: Sein eigener Chef zu sein ist schon eine faszinierende Herausforderung. Erfolg und Misserfolg hängt auf einmal ausschliesslich von der persönlichen Leistung ab. Man wird gezwungen Verantwortung zu übernehmen und durch kreative Ideen das eigene Geschäft voranzutreiben. Trotzdem habe ich in regelmässigen Abständen immer wieder in Unternehmen Führungspositionen gesucht und die Aktivitäten der Firma jeweils einige Zeit in den Hintergrund gestellt. So kam mir der wichtige Bezug zum praktischen Arbeitsalltag nie abhanden und ich war jederzeit in all meinen Rollen mitten in der Aktualität des Wirtschaftslebens.

Vielfältige Führungskraft und Berater

Markus Marthaler bringt 35 Jahre Erfahrung als Führungskraft und Berater in verschiedenen Branchen mit. Er war Vorstandsmitglied in einem deutschen Konzern, Teil der Geschäftsleitung in Schweizer Unternehmen und Notfallpsychologe für Blaulichtorganisationen. Als Dozent an Hochschulen wie SIB, AKAD und IST Tourismusfachschule teilte er sein Wissen und schrieb 15 Jahre lang für «HR Today». Sein Erfahrungsspektrum reicht von Versicherungen und IT bis zu Gastronomie und Verbänden. Sein Erfahrungsschatz teilt er in seiner Autobiografie «Lehrer werden wollt’ ich nie!».

 

Sie wandten sich als Coach relativ früh dem Thema Burnout zu. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Marthaler: Das ist ein schwieriges Thema. Meine Erfahrungen mit Klientinnen und Klienten bezüglich dieses Phänomens decken sich wenig mit der Meinung in der Gesellschaft. «Zuviel Arbeit, der Chef oder die Chefin ist schuld» und vieles mehr, was an Ursachen aufgeführt wird, ist für mich nur ein Teil der Wahrheit. Die Thematik liegt viel tiefer. Während meiner Ausbildung zum Notfallpsychologen habe ich den Bezug zwischen Trauma und Burnout erkannt. Mit diesem Ansatz konnten sich nicht viele meiner Klienten anfreunden. Geblieben sind jene, welche bereit waren zu reflektieren, auf Kosten der Schuldzuweisung Verantwortung zu übernehmen, das eigene Leben unter einem neuen Blickwinkel zu betrachten um auf diese Weise den Heilungsprozess zu beschleunigen. Als Coach habe ich mich sehr früh mit diesem Thema auseinandergesetzt, dies nicht zuletzt darum, weil ich im Jahre 2001 selbst haarscharf einem kompletten «Grounding» entgangen bin.

Im ersten Kapitel Ihres Buchs stellen Sie die drei Säulen der Achtsamkeit für Führungskräfte vor: Umgang mit Macht, Selbstreflexion und vertrauensvolle Kultur. Welcher dieser Aspekte wird im Alltag häufig unterschätzt?

Marthaler: Ganz klar die Macht. Sie ist wie das Geld: ein guter Diener, aber ein schlimmer Herr. Viele Menschen werden in Führungsfunktionen katapultiert, ohne sich der Verantwortung ihres Einflussbereichs bewusst zu sein. Unreife Vorgesetzte lassen sich von der Macht verführen. Ihre eigene Minderwertigkeit offenbart sich auf diese Weise im Missbrauch der Macht und verstärkt dadurch ihre Schwächen. Das Trügerische gerade in hohen Positionen ist die Vermischung von Funktion und Persönlichkeit. Plötzlich glaubt man das zu sein, was auf der Visitenkarte steht, und denkt auf einmal, mehr Rechte zu haben, etwas «Besseres» zu sein. Wer das Thema der Macht wirklich verstanden hat, weiss, dass nicht Hochmut angebracht ist, sondern Demut. Man dient einem Unternehmen durch seine Arbeit. Viele Führungskräfte haben vergessen, dass sie ohne andere Menschen, die an sie geglaubt haben, ohne passende Umstände und ohne glückliche Entscheidungen auch nicht da wären, wo sie heute sind.

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«In all den Studiengängen, die ich absolviert habe, war das angeeignete intellektuelle Wissen nur die «Verpackung». Den wahren Inhalt aber hat mir das Leben mit einem grossen Privileg ermöglicht.»

 

 

Während ihrer langjährigen Karriere als «Berater» haben Sie einiges miterlebt. Welche Fehler machen HR-Verantwortliche und Führungskräfte immer wieder?

Marthaler: Da kann ich nahtlos an die vorangehende Antwort anknüpfen. Oft sind es Themen von Machtmissbrauch, gerade HR und Führungskräfte untereinander, da ist aus meiner Erfahrung viel Nachholbedarf. Wenn der eine sich über den anderen erhebt, ist eine konstruktiv aufbauende Zusammenarbeit oft nicht zielführend. Eine Eigenschaft, welche es Führungskräften ermöglicht, ein vertrauensvolles Umfeld zu gestalten, ist für mich die Authentizität, aber auch, so banal es klingen mag, dass man Menschen mögen sollte. Voraussetzung dafür: Selbstreflexion. Ich muss wissen was ich kann und was nicht, zu mir selbst stehen und dadurch Sicherheit vermitteln. Doch dafür müsste man auch wissen, wer man ist! In zahlreichen Momenten während Kriseninterventionen speziell auch während Corona hat sich gezeigt, ohne diese Eigenschaft gelingt es kaum, in herausfordernden Situationen die Mitarbeitenden für sich und das Unternehmen zu begeistern.

Ihr letzter Blogbeitrag für HR Today thematisiert Krisenmanagement im HR. Wieso gerade dieses Thema?

Marthaler: Wir befinden uns in einem, in seiner Dimension, noch nicht absehbaren Wandel: Digitalisierung, KI, gesellschaftliche Veränderungen, politische Spannungen und so weiter. Unsicherheit und «Change» lösen immer auch Angst aus. Unsere Eltern oder auch Grosseltern sind teilweise damit gross geworden. Die letzten 60 Jahre aber waren in der Schweiz von Wachstum und Wohlstand geprägt. Man versuchte den folgenden Generationen etwas zu bieten, Probleme zu lösen bevor sie entstehen, primär sozial und demokratisch zu denken. Ein ganzes Bildungssystem ist darauf aufgebaut. Jetzt kommt der aktuelle Alltag und zeigt uns die andere Seite der Medaille. Resilienz, Ressourcenmanagement wird das grosse Thema der Zukunft sein, um den künftigen Herausforderungen zu begegnen. Diese finden sich im privaten und beruflichen Alltag wieder. Mit meinem Beitrag wollte ich auf diese, meine persönlichen Schlussfolgerungen sensibilisieren.

Sie nehmen «lebenslanges Lernen» sehr ernst und bildeten sich auch immer wieder weiter, unter anderem zum freiwilligen Sterbebegleiter und zum Notfallpsychologen. Wie geht es jetzt bei Ihnen weiter?

Marthaler: Ich habe das Privileg, mit Menschen zusammen zu sein, die mich fordern und mich geistig nicht ruhen lassen. Partner, Familienvater und Freund zu sein, sind für mich tägliche Lernfelder. Zudem begleite ich aktuell in der Rolle des «Hofnarren» einige Persönlichkeiten, von denen ich einerseits vieles lernen kann und bei denen es andererseits grosses Fingerspitzengefühl verlangt, sie dort abzuholen, wo sie stehen. Wenn ich auf die letzten Jahre zurückblicke, ist mir bezüglich des Lernens eine Erkenntnis zugewachsen: In all den Studiengängen, die ich absolviert habe, war das angeeignete intellektuelle Wissen nur die «Verpackung». Den wahren Inhalt aber hat mir das Leben mit einem grossen Privileg ermöglicht. So würde ich heute mit einem Augenzwinkern sagen: lieber einmal mehr bluffen und einen Job annehmen, um daran zu wachsen, als mit einem Zertifikat zu wedeln und zu behaupten, dass man es kann!

Markus Marthaler, Lehrer werden wollt’ ich nie!, BoD, 2024, 188 Seiten.

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Online-Redaktorin, HR Today. jc@hrtoday.ch

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