Interview

​«Unsere Werte dienen uns als Kompass»

In geopolitisch und wirtschaftlich unsicheren Schwellenmärkten bleibt das Schweizer Pharmaunternehmen Acino flexibel. Chief Human Resources Officer Richard Letzelter erklärt, wie das Unternehmen dem Talentmangel entgegentritt, Mitarbeitende in Krisenregionen wie der Ukraine schützt und globale HR-Standards den lokalen Gegebenheiten anpasst.

HR Today: Herr Letzelter, Acino ist in zahlreichen Schwellenmärkten aktiv. Welche spezifischen Herausforderungen gibt es in diesen Regionen aus HR-Sicht?

Richard Letzelter: Die Arbeit in Schwellenmärkten ist geprägt von geopolitischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten. Wir haben beispielsweise eine starke Präsenz in Brasilien
und in der Ukraine, wo der Krieg gravierende Auswirkungen auf unsere Geschäfte hat. Die Ukraine ist einer unserer zentralen Märkte, und wir sind national führend bei der Produktion von Generika sowohl für den ukrainischen Markt als auch für die angrenzenden Länder.

Diese geopolitischen Entwicklungen erfordern, dass wir flexibel auf Krisen reagieren können. Dazu gehören Kriege, Hyperinflation oder Naturkatastrophen. Unsere globalen HR-Standards, etwa für Vergütung und Leistungsmanagement, geben uns eine Grundlage. Doch in Krisensituationen müssen Entscheidungen oft schnell und auf Basis unserer Werte getroffen werden. Unsere Werte – Empathie, Vertrauen, Engagement und Mut – dienen uns dabei als Kompass.

Wie sieht die Situation Ihrer Mitarbeitenden in der Ukraine konkret aus?

Letzelter: In der Ukraine beschäftigen wir rund 900 Mitarbeitende, davon etwa 500 in unserem Werk in der Hauptstadt Kiew. Der Rest ist überwiegend im Vertrieb tätig. Unsere Standorte befinden sich hauptsächlich in Kiew, und unsere Anlagen verfügen über Bunkereinrichtungen, um die Sicherheit unseres Personals zu gewährleisten. Es kann durchaus vorkommen, dass Mitarbeitende während Meetings plötzlich Schutz suchen müssen.

Unsere Verpflichtung gegenüber der Ukraine zeigt sich darin, dass wir alle Operationen aufrechterhalten haben – sowohl für den lokalen Markt als auch für benachbarte Regionen. Zudem unterstützen unsere Teams in Kiew globale Aktivitäten. Wir sehen es als unsere Verantwortung, auch in Krisenzeiten Stabilität und Kontinuität zu gewährleisten. Wir haben aber das Glück, als systemrelevantes Unternehmen zu gelten, und tun alles, um unsere Mitarbeitenden zu unterstützen, sowohl durch rechtliche Beratung als auch durch flexible Arbeitsmöglichkeiten.
Zudem pflegen wir einen guten und engen Kontakt mit den ukrainischen Behörden.

In einigen Ländern, wie der Türkei oder Ägypten, sind Sie mit Hyperinflation konfrontiert. Wie bewältigen Sie diese Herausforderung?

Letzelter: Die Hyperinflation ist eine wiederkehrende Herausforderung in einigen unserer Märkte, etwa in der Türkei oder Ägypten. Sie entsteht meist im Zusammenhang mit politischen Ereignissen wie Wahlen oder durch Entscheidungen der Zentralbanken, die zu einer Abwertung lokaler Währungen führen. In solchen Fällen ist die Kaufkraft unserer Mitarbeitenden stark betroffen, manchmal um bis zu 70 Prozent. Um dem entgegenzuwirken, analysieren wir die wirtschaftlichen Entwicklungen genau und ergreifen kurzfristige Massnahmen, wie etwa vorübergehende Gehaltserhöhungen oder Boni. In Märkten wie Ägypten werden solche temporären Massnahmen häufig nach etwa zwölf Monaten in dauerhafte Vergütungselemente umgewandelt, um die Mitarbeitenden langfristig zu stabilisieren und ihre finanzielle Sicherheit zu gewährleisten. Natürlich müssen solche Massnahmen langfristig finanziell tragbar sein – hierbei kommt uns die Diversifikation unserer globalen Märkte zugute, die es ermöglicht, wirtschaftliche Schwankungen in einer Region durch Stabilität in anderen auszugleichen.

Da der Pharmasektor stark reguliert ist, können wir unsere Produktpreise oft nicht schnell genug anpassen, um die gestiegenen Importkosten auszugleichen, die in stabileren Währungen wie dem US-Dollar berechnet werden. Diese Balance zwischen kurzfristigen Anpassungen und langfristigen Lösungen ist essenziell, um sowohl unsere Mitarbeitenden zu unterstützen als auch die wirtschaftliche Stabilität des Unternehmens zu gewährleisten.

Welche Rolle spielt die psychische Gesundheit Ihrer Mitarbeitenden?

Letzelter: Psychische Gesundheit hat für uns oberste Priorität. In der Ukraine haben wir ein HR-Team eingerichtet, das sich ausschliesslich um das Wohlbefinden der Mitarbeitenden kümmert. Ein Phänomen, das wir öfters beobachten, ist das sogenannte «Postponed Life Syndrome». Mitarbeitende verschieben wichtige Lebensentscheidungen wie Heirat, Kinder, Investitionen oder auch weniger wichtige wie Ferien. Zudem fördern wir eine Kultur der psychologischen Sicherheit, in der Fehler erlaubt und offene Gespräche möglich sind. Unsere «Head-to-Heart Conversations» helfen dabei, Leistung und Wohlbefinden regelmässig zu thematisieren.

Wie bringen Sie globale HR-Standards mit lokalen Anforderungen in Einklang?

Letzelter: Unsere globalen Richtlinien bieten eine Grundlage, müssen jedoch flexibel genug sein, um auf lokale Gesetze und kulturelle Anforderungen einzugehen. In Saudi-Arabien etwa müssen je nach Funktion 30 bis 100 Prozent der Belegschaft saudische Staatsangehörige sein. In Südafrika haben wir den höchsten Status «BBBEE Level 1» erreicht, um benachteiligte Gruppen wie Frauen und schwarze Mitarbeitende zu fördern. Diese lokalen Anforderungen erfordern eine enge Zusammenarbeit zwischen unseren globalen und lokalen HR-Teams, um sicherzustellen, dass unsere Standards überall sinnvoll umgesetzt werden.

Wie begegnen Sie diesem Problem des Talentmangels?

Letzelter: Wir haben klar definiert, dass Talente nicht das Eigentum einer einzelnen Führungskraft sind, sondern ein strategischer Vermögenswert des gesamten Unternehmens. Unser Ansatz besteht darin, Talente als zentrale Ressource zu betrachten, die für das Wachstum und den Erfolg von Acino entscheidend ist. Deshalb liegt unser Fokus darauf, Talente frühzeitig zu identifizieren und ihnen gezielte Entwicklungspläne zu bieten, die sie auf künftige Führungspositionen vorbereiten. Dazu gehört, ihnen vielfältige Erfahrungen zu ermöglichen, etwa durch internationale Einsätze oder die Mitarbeit an bereichsübergreifenden Projekten. Diese Massnahmen helfen nicht nur, ihre fachlichen und kulturellen Kompetenzen zu erweitern, sondern zeigen ihnen auch, dass ihre Ambitionen und Fähigkeiten im Unternehmen geschätzt werden. Indem wir Talente gezielt fördern und ihnen klare Karrierewege aufzeigen, sichern wir nicht nur ihre persönliche Entwicklung, sondern auch die nachhaltige Zukunft unseres Unternehmens.

Welche technologischen Tools setzen Sie ein, um Ihre HRProzesse zu unterstützen?

Letzelter: Derzeit nutzen wir verschiedene eher einfache Tools, planen aber bis 2026 die Einführung eines umfassenden Human-Capital-Management-Systems. Unser Ziel ist es, ein System zu schaffen, das unser Wachstum unterstützt und neue Regionen effizient integriert. Wichtig ist jedoch, dass wir unsere Mitarbeitenden kennen – nicht nur ihre beruflichen Fähigkeiten, sondern auch ihre Ambitionen und Bedürfnisse. Diese persönliche Verbindung ist essenziell, bevor wir auf KI-gestützte Systeme umstellen.

Sie erwähnten im Vorgespräch, dass Sie regelmässig Engagement-Umfragen durchführen. Welche Bedeutung haben diese für Acino, und wie nutzen Sie die Ergebnisse?

Letzelter: Die jährliche Engagement-Umfrage ist für uns ein zentrales Instrument, um die Zufriedenheit und Motivation unserer Mitarbeitenden zu messen. Dieses Jahr haben wir einen beeindruckenden Engagement-Score von 85 Prozent erreicht – ein Wert, der im Vergleich zu anderen multinationalen Unternehmen überdurchschnittlich hoch ist. Dieser Engagement-Wert setzt sich aus zwei zentralen Fragen zusammen: Würden die Mitarbeitenden die «Extrameile» gehen, und würden sie Acino als Arbeitgeber weiterempfehlen?

Die Umfrage gibt uns jedoch nicht nur eine Momentaufnahme, sondern liefert uns auch detaillierte Einblicke durch die über 2400 Kommentare, die wir erhielten. Diese Kommentare werden sorgfältig analysiert und anschliessend in Meetings mit den Führungskräften besprochen. Auf dieser Basis erstellen wir Aktionspläne, um in Bereichen, in denen Verbesserungsbedarf besteht, gezielt Massnahmen zu ergreifen. Gleichzeitig feiern wir die Erfolge, die uns die hohe Engagement-Rate zeigt.

Ein besonders wichtiger Aspekt der anonymen Umfrage ist die Transparenz. Die Ergebnisse werden nicht nur im Führungskreis diskutiert, sondern auch an die Teams weitergegeben. Unsere Führungskräfte sind dabei gefordert, offene Gespräche mit ihren Mitarbeitenden zu führen, um sicherzustellen, dass deren Anliegen ernst genommen werden. Letztlich geht es darum, eine Arbeitsumgebung zu schaffen, in der sich unsere Mitarbeitenden wohlfühlen, sich entfalten können und ihre Beiträge geschätzt werden. Diese Umfrage ist somit mehr als nur ein HR-Tool – sie ist ein zentraler Bestandteil unserer Unternehmenskultur.

Wie bleiben Sie in Kontakt mit den Teams im Ausland?

Letzelter: Ich reise regelmässig in alle Länder, in denen wir eine starke Präsenz haben – in der Regel alle sechs bis zwölf Monate. Zuletzt war ich in Südafrika, Kairo und Dubai, um die Teams vor Ort zu treffen. Mir ist es wichtig, mit möglichst vielen unserer Mitarbeitenden, Talente und Schlüsselpersonen direkt in Kontakt zu treten. Nur so kann ich ihre Anliegen, Ideen und Bedürfnisse wirklich verstehen.

Diese Besuche sind auch eine Gelegenheit, den Mitarbeitenden Wertschätzung zu zeigen und sie in ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung zu unterstützen. Der persönliche Austausch hilft mir, die Unternehmenskultur zu stärken und sicherzustellen, dass unsere Werte überall gelebt werden. Auch andere Führungskräfte von Acino ermutige ich, bei ihren Reisen den direkten Dialog mit unseren Mitarbeitenden und wichtigen Teammitgliedern zu suchen. Dieses persönliche Engagement ist für mich essenziell, um eine starke Verbindung zu unseren Teams weltweit aufzubauen.

Zum Abschluss: Was treibt Sie bei Acino besonders an?

Letzelter: Die Arbeit in Schwellenmärkten ist eine Herausforderung, die uns inspiriert. Die kulturelle Vielfalt und die Komplexität dieser Märkte motivieren uns, innovative Lösungen zu finden. Es ist diese Dynamik, die Acino zu einem besonderen Arbeitsplatz macht – für mich und unsere Mitarbeitenden weltweit.

Zur Person

Richard Letzelter kam im April 2023 als Chief Human Resources Officer zu Acino. Er ist ein Personalverantwortlicher mit über 20 Jahren Erfahrung in generalistischen und spezialisierten Human-Resources-Disziplinen in der Pharma und Telekommunikationsbranche. Derzeit in der Schweiz tätig, lebte und arbeitete Richard Letzelter in Japan, Frankreich, im Nahen Osten und in Grossbritannien. Er ist französischer Staatsbürger und verfügt über einen MSc- Abschluss in Business Marketing der Ecole Supérieuredes Technologies et des Affaires (ESTA).

Firmensteckbrief

Acino International AG ist ein führendes Schweizer Pharmaunternehmen mit Hauptsitz in Zürich. Gegründet 1836, hat sich Acino auf die Entwicklung, Herstellung und den internationalen Vertrieb von verschreibungspflichtigen Medikamenten, rezeptfreien Produkten sowie Nahrungsergänzungsmitteln spezialisiert. Das Unternehmen, das in über 90 Ländern aktiv ist, fokussiert sich besonders auf Märkte mit hohem Wachstumspotenzial, darunter der Nahe Osten, Afrika, die GUS-Staaten (ohne Russland) sowie Lateinamerika. Acino verfügt über sechs Produktionsstandorte in der Schweiz, in der Ukraine, in Estland, in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Südafrika. Mit über 3000 Mitarbeitenden weltweit und einem Umsatz von mehr als 653 Millionen US-Dollar (2023) spielt Acino eine bedeutende Rolle in der globalen Gesundheitsbranche. 
www.acino.swiss

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Daniel Thüler

Daniel Thüler, Chefredaktor HR Today, daniel.thueler@hrtoday.ch

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