Adventsserie 2019 – Collaboration matters: Beitrag 4

Vertrauen muss verschenkt und gestaltet werden

Vertrauen scheint ein Schlüsselfaktor gelingender Zusammenarbeit zu sein – sowohl face-to-face als noch viel mehr in digitalen Kontexten. Prof. Dr. Antoinette Weibel (Universität St. Gallen, Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitswelten) beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dieser Thematik – ihr Lieblingsthema, wie sie sagt. In unserem Gespräch haben wir verschiedene Aspekte zum Aufbau von Vertrauen angesprochen, aber auch Massnahmen bei Missbrauch und Verletzung.

Welchen Stellenwert hat Vertrauen in einer vernetzten Arbeitswelt?

Antoinette Weibel: Vertrauen in einer vernetzten Arbeitswelt hat zwei Funktionen. Es ist einerseits ein «Schmiermittel» und zweitens ein «Kit». Als «Schmiermittel» hilft Vertrauen dort, wo man Sand im Getriebe hat. In einer digitalisierten Welt gibt es viele Veränderungen, die gefühlt auch zunimmt. Es ist wichtig, dass die Menschen das Gefühl haben, dass es gut kommt und dass man auf dieser Basis bereit ist, sich auf Veränderung einzulassen. Vertrauen als «Schmiermittel» ist auch wichtig bei Missverständnissen, gerade auch wenn man virtuell zusammenarbeitet – da ist sehr schnell mal etwas nicht ganz klar. Wenn man da Vertrauen ineinander hat, dann sieht man das Problem nicht immer gleich beim anderen, sondern kann gemeinsam überlegen, was schiefgelaufen ist.

Der andere wichtige Aspekt von Vertrauen ist der «Kit» oder «Zusammenhalt». Dieser gibt psychologische Sicherheit – einer der zentralen Faktoren für die Kreativität im Team. Es gibt aber noch einen anderen Faktor. Ein Kollege von mir nennt es so: «Trust is like motherhood and apple pie». Es fühlt sich wohlig an und hat viel mit positiven Gefühlen zu tun. Das macht uns offener, empathischer und das WIR wird wichtiger als das ICH. Das scheint mir sehr wichtig, vor allem in Teams mit einer hohen Diversität. Das Vertrauen schafft die Basis, dass wir auf die anderen zugehen.

Wie kann man Vertrauen aufbauen, resp. «Schmiermittel» und «Kit» herstellen und was macht man, wenn Vertrauen verletzt oder missbraucht wird?

Nennen wir zuerst drei Ansätze für den Aufbau und dann zwei Ansätze, wenn das Vertrauen verletzt wird. Zum Aufbau:

  • Erstens: Am einfachsten baut man Vertrauen auf, indem man Vertrauen schenkt und zwar möglichst grosszügig. Wenn man grosszügig verschenkt, erzeugt dies auf der Gegenseite den Wunsch, zurück zu schenken – das kann man sogar empirisch aufzeigen. Zudem gibt man dem Anderen dadurch Freiräume und erst durch diese Freiräume kann sich die andere Person entfalten und das einbringen, was sie an Möglichkeiten hat. Es geht also darum, den ersten Schritt zu machen und nicht darauf zu warten, dass mir selber Vertrauen entgegengebracht wird. Wenn wir etwas mehr Mut hätten, auf Andere zuzugehen, würde uns das die Zusammenarbeit erleichtern.
  • Zweitens: Gutes Management ermöglicht es, dass man Vertrauen wagt und ich meine bewusst «Management» und nicht «Leadership». Es braucht gute Regeln der Zusammenarbeit, eine aufgabenbezogene Koordination und wir müssen gegenseitige Erwartungen klären. Welche Methoden dabei verwendet werden (agiles Arbeiten oder klassische Teamarbeit etc.), spielt dabei nicht so eine grosse Rolle. Mit einem guten Management kann man die Freiräume, die sich dadurch auftun, mit Vertrauen füllen, da das Wichtigste der Zusammenarbeit bereits geklärt wurde.
  • Der dritte Punkt ist Wertschätzung; darin sind wir generell eher schlecht. Wir müssen Menschen auf «Augenhöhe» behandeln, zuhören, Interesse finden und zeigen und mitfühlen. Das ist für den Vertrauensaufbau enorm wichtig. In Sachen Wertschätzung tun wir uns im deutschsprachigen Raum eher schwer, nach dem Motto «nicht geschimpft ist gelobt genug». Es besteht grosser Nachholbedarf im Aufmerksamkeit üben und es auch auszusprechen, wenn wir etwas gut finden oder uns etwas gefällt.

Wenn es nun ein Problem gibt, sollte man dieses erst einmal als Klärungschance sehen. Ich weiss ja nicht, ob mein Vertrauen wirklich missbraucht wurde, ob es nur ein Missverständnis war oder die andere Person aus irgendwelchen Gründen sich nicht anders verhalten konnte. Also lautet der erste Schritt ganz einfach: Darüber reden und die Konfliktsituation nicht nur als unangenehm ansehen. Wenn sich nun jemand mehrfach schwierig verhält und Vertrauen missbraucht, dann muss man sich von dieser Person trennen.

Ein Kollege hat mir erzählt, dass es in gewissen afrikanischen Stämmen eine Dreier-Regel gibt: beim ersten Missbrauch wird diskutiert, beim zweiten Mal gibt es eine Rüge, beim dritten Mal musst du gehen. Auf diese Weise kann man das etwas auffangen. Manchmal können Menschen sich schlicht nicht anders verhalten und da wäre es zu hart, sie gleich beim ersten Mal zu suspendieren. Es geht vielmehr darum, sie zu unterstützen und auszubilden.

Gibt es Technologien, die vertrauensunterstützend oder -bildend sind?

Studien zeigen, dass moderne Kommunikationstechnologien die menschlichen Probleme nicht wirklich lösen – sie bleiben dieselben, ob ich eine Telefonanlage benutze oder eine moderne virtuelle 3D-Welt. In einem unserer Projekte geht es um die Automatisierung der Führung (smarte Technologien bei der Personensteuerung). Beispiel Logistik: Ein Lastwagenfahrer wird von Systemen gesteuert, die die optimale Route berechnen. Oder Beispiel Callcenter: mit den Daten, die über gelöste Fälle vorliegen, kann man die anderen Agents laufend unterstützen, damit sie schneller Lösungen finden. Wichtig – und damit vertrauensbildend – ist es, dass der Mitarbeitende über den Grad seiner Steuerung und Unterstützung mitentscheiden kann und darf. Gerade in virtuellen Kontexten kommt man aber auch immer wieder zum Schluss, dass es regelmässig die face-to-face-Kommunikation und -Begegnung braucht.

Im nächsten Beitrag: «Ab in’s CollaborationGym»: Wie Sie und Ihr Unternehmen in Sachen Kollaboration richtig fit werden.

Weiterführende Literatur

  • Botsman, Rachel: Wem kannst du trauen? Die Antwort auf die vielleicht wichtigste Frage unserer Zeit. Börsenmedien 2020.
  • Ebert, Helmut / Pastoors, Sven: Psychologische Grundlagen zwischenmenschlicher Kooperation. Bedeutung von Vertrauen für langfristig erfolgreiche Zusammenarbeit. Springer 2019.
  • Hartmann, Martin: Vertrauen. Die unsichtbare Macht. Fischer 2020.
  • Osterloh, Margit / Weibel, Antoinette: Investition Vertrauen. Prozesse der Vertrauensentwicklung in Organisationen. Gabler 2006.
  • Schein, Edgar H.: Organisationskultur und Leadership. Vahlen 2018.
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Daniel Stoller-Schai ist durch seine mehrjährigen Praxis davon überzeugt, dass Kollaboration der Schlüssel zum Erfolg in Netzwerkorganisationen ist. Die Strategien, Methoden und Kompetenzen dazu, entwickelt er als Change Companion der Firma Collaboration Design zusammen mit seinen Kunden. Als Manager für digitale Lern- und Arbeitstechnologien hat er bei Phonak, UBS, CREALOGIX sowie in weiteren Firmen und Startups Kundenprojekte umgesetzt und Erfahrungen mit dem globalen Einsatz internetgestützter Lern- und Arbeitsprojekten gesammelt. Diese Erfahrungen gibt er auch als Programmleiter am Institut für Kommunikation & Führung, Luzern und als Head Advisory Board der LEARNING INNOVATION Conference weiter.

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