Von der verflixten Nadel im Heuhaufen
Mitarbeitende werden aufgrund ihrer Fähigkeiten angestellt und wegen fehlender kultureller Passung entlassen. Doch wie verhindert man solche Fehlbesetzungen und welche Bedeutung hat Cultural-Fit-Software dabei? Die von uns befragten Recruiting-Experten sind sich nicht einig.
Welche Rolle spielt Cultural-Fit-Software bei der Rekrutierung der richtigen Mitarbeiter? Die von uns befragten Recruiting-Experten sind sich nicht einig. (Bild: 123RF)
«Viele Unternehmen kennen ihre Kultur nicht», sagen Frank Rechsteiner, Inhaber der auf Executive-Beratung spezialisierten Hype Group, sowie die auf Talent Attraction und Recruiting spezialisierte HR-Interimsmanagerin Heike Anna Krüger übereinstimmend. «Die Kultur auf Arbeitsebene präsentiert sich in der Realität häufig anders, als öffentlich proklamiert wird», ergänzt Rechsteiner. Ein Kulturschock des Kandidaten sowie das Scheitern der Arbeitsbeziehung seien oft schon vorprogrammiert. Transparenz und Ehrlichkeit des Arbeitgebers seien deshalb Pflicht, auch «wenn nicht alles so toll ist, wie es die Unternehmensleitung gerne hätte».
Dass künftig Algorithmen mitbestimmen, ob ein Kandidat passt, überzeugt Heike Anna Krüger nicht: Cultural-Fit-Software sei ein «Rettungsanker für wenig erfahrene und unsichere Recruiter» und diene hauptsächlich dazu, «eine Entscheidung abzusichern», moniert Krüger.
Für Rechsteiner hingegen wird das Recruiting ohne Algorithmen künftig nicht mehr auskommen: «Ohne Cultural-Fit-Software bleibt nur das Bauchgefühl», sagt Rechsteiner. Dieses könne jedoch «keiner objektiv beschreiben.» Da helfe nur, ein faires Messverfahren zu installieren und eben weiterhin auf das Bauchgefühl zu setzen: «Im Zuge der Digitalisierung und des Fachkräftemangels wird sich die Frage in ein paar Jahren nicht mehr stellen, ob ein Unternehmen eine Cultural-Fit-Software braucht oder nicht.» Vielmehr könnten sich die Betriebe künftig nicht mehr erlauben, keine einzuführen. Für Krüger geht der Trend gerade in die umgekehrte Richtung: «Viele Anbieter werden vom Markt verschwinden.» Eine Cultural-Fit-Software sei nicht nötig, wenn ein Unternehmen «frühzeitig und stetig eine qualitative und quantitative Talent-Pipeline» aufgebaut habe. Besonders die «Scheingenauigkeit» der Cultural-Fit-Software ist ihr ein Dorn im Auge: «Es gibt viele Variablen wie die persönliche Chemie, welche die Software nicht erfassen kann.» Zudem fehle der direkte Kontakt zwischen Interviewer und Kandidat.
Bedenken, die viele Unternehmen zu teilen scheinen, denn bisher setzt gemäss Rechsteiner nur «eine Minderheit» der Betriebe Cultural-Fit-Software ein. Es sei jedoch ein Bewusstseinswandel im Gang. «Viele Firmen erkennen erst langsam, dass diese Art von Software im Recruiting wichtig ist.» Ob mit oder ohne Softwareunterstützung: Handlungsbedarf bei der Stellenbesetzung orten beide Experten auch an anderer Stelle: So passiere nach einer erfolgten Stellenbesetzung «häufig zuerst einmal mal gar nichts», sagt Krüger. Die Mitarbeiterbindung und -entwicklung hätten das Nachsehen. Gründe für vorzeitige Austritte liegen für Frank Rechsteiner hingegen nebst einer «vorgetäuschten Wunschkultur» auch in gemachten und nicht eingehaltenen Versprechen sowie einem Aufgabengebiet, das mit der ausgeschriebenen Stelle nichts mehr gemein habe. «Dafür kann es zwar viele Gründe und Ausreden geben», so der Recruiting-Spezialist. «Ein Kandidat mit Mut und Profil wird ein solches Verhalten jedoch nicht hinnehmen.»