Wo Kultur wirklich wirkt
Unternehmen agieren nicht nur auf Märkten, sondern sind Teil der Gesellschaft. Weshalb die Willkommenskultur so wichtig ist – und über das Onboarding hinaus geht.
Bei der Umsetzung von kulturellen Veränderung gibt es zwei häufige Stolpersteine. (Bild: iStock)
Organisationen sehen sich in einem Markt, der sich nach Spielregeln der Globalisierung, Rahmenbedingungen des demographischen Wandels, neuen Werten einer Generation Z und schliesslich der Digitalisierung richten muss. Wollen Unternehmen auch zukünftig erfolgreich sein, müssen sie auf dem Markt Produkte absetzen und gleichzeitig in der Gesellschaft verankert sein. Dazu ist es notwendig, neben attraktiven Produkten auch für bestimmte Werte einzustehen. Auf Unternehmen schaut man zunehmend auch unter dem letztgenannten Aspekt.
An dieser Stelle tritt das Kulturthema in Erscheinung und präsentiert sich als Frage nach der Willkommenskultur. Schauen wir durch die nationale Brille, zeigt sich Willkommenskultur in der wahrgenommenen Attraktivität eines Landes für qualifizierte Fachkräftezuwanderung aus dem Ausland. Schauen wir durch die unternehmensinterne Brille, zeigt sich Willkommenskultur als Fähigkeit einer Organisation, neben der fachlichen Qualifikation des Bewerbers auch kulturelle Unterschiede als Potential für den Erfolg zu nutzen. Dabei bleibt Kultur das, was es schon immer war: Ein Komplex aus nicht entscheidbaren Entscheidungsprämissen (wer kann schon über Kultur einfach entscheiden?). Kultur entsteht in einem evolutionären Prozess und die durch sie transportierten Regeln und Setzungen werden verbindlich, oft ohne bewusste oder explizite Ausschilderung.
Der Blick durch die unternehmensinterne Brille
Blicken wir nun durch die unternehmensinterne Brille und betrachten die Gestaltung der internen Willkommenskultur. Traditionell ist der Human Resource-Bereich (HR-Bereich) verantwortlich für die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen von Mitarbeitenden, ihrer Entwicklung und Bindung. Mit dieser Rollenverteilung ist dem Thema und dem dahinter liegenden Problem aber nicht wirksam entgegenzutreten. HR-Experten und -Espertinnen erarbeiten Onboarding-Programme, die neuen Mitarbeitenden das Ankommen im Unternehmen erleichtern sollen, da gerade die ersten sechs Monate entscheidend sind, ob der neue Mitarbeitende bleibt oder das Unternehmen wieder verlässt. Solche Massnahmen haben jedoch keinen Zugriff auf den Arbeitsalltag und das tägliche Erleben der Mitarbeitenden ist entscheidend. Hier entsteht nämlich das Gefühl, ob man dem Unternehmen seine Kompetenzen, sein Wissen und sein Engagement über einen längeren Zeitraum zur Verfügung stellen möchte.
Eine Willkommenskultur geht weit über Einzelmassnahmen hinaus und betrifft nicht nur die HR-Funktion. Sie ist als langfristige Aufgabe beim Top Management und den Führungskräften angesiedelt. Unsere Studien und Diskussionen mit Unternehmen zeigen, dass die Etablierung einer Willkommenskultur vier Faktoren benötigt:
- Das Commitment der Geschäftsleitung, dieses Thema langfristig anzugehen.
- Eine langfristige Kommunikation auf allen Ebenen.
- Entsprechende Plattformen für Interessensgruppen innerhalb des Unternehmens, was aus ihrer Perspektive für eine Willkommenskultur wichtig ist. Von der Gruppe junger Mitarbeitenden der zweiten beziehungsweise dritten Generation (Secondos) über ältere Mitarbeitende bis hin zu Frauen in spezifischen Lebensphasen.
- Eine bewusste Personalrekrutierung, die das Unternehmen mit den Perspektiven unterschiedlichster Gruppierungen versorgt. Eine gelebte Willkommenskultur wirkt sich automatisch auf das eigene Employer-Branding aus und wird zum Selbstläufer.
Unternehmen, die sich erfolgreich mit der Willkommenskultur befassen wollen, müssen zwei zentrale Stolpersteine umgehen. Zum einen tendiert das Management vieler Unternehmen dazu, Themen nach einer Bearbeitungsphase nach unten in die operative Ebene durchzureichen, wo sie als Sprachkurs oder Training zur interkulturellen Kommunikation in der Hochglanz-Weiterbildungsbroschüre des Unternehmens zu finden sind. Solche Massnahmen sind wichtig, aber sie alleine führen zu keiner kulturellen Veränderung, wenn dieses Thema nicht über mindestens zwei bis fünf Jahre auf der Tagesordnung des Managements und aller Führungskräfte steht.
Das Monitoring der Willkommenskultur muss beim Top-Management liegen und erfordert die Etablierung einer hierarchieübergreifenden Kommunikationskultur. Dafür muss die Grundhaltung der verantwortlichen Manager die von Ethnologen sein, gepaart mit einer gewissen Kultursensibilität. Sie müssen den wechselseitig entstehenden Anpassungsprozess beobachten und die neu entstehende Kultur immer wieder prüfen. Denn auch dysfunktionale Entwicklungen sind möglich, die eher kräftezehrend für eine Organisation sind, als dass sie für Erfolg sorgen.
In Gesprächen mit Unternehmen wurde deutlich, dass dieser erste Stolperstein erkannt ist. So fordern die Verantwortlichen für die Gestaltung der Willkommenskultur ein klares Commitment der Geschäftsführung, authentisches Verhalten als Rollenvorbilder sowie die Etablierung des Themas in den Kommunikationsprozess der Organisation. Weiterhin ist eine Vielzahl unternehmensspezifischer Massnahmen möglich.
Für neue Ziele Platz machen
Der zweite Stolperstein liegt in der Unkenntnis darüber, dass neue Werte und Ziele in der Kulturarbeit verankern zu wollen immer auch bedeutet, sich von alten zu verabschieden. Kulturarbeit ist nicht mit einem lustgetriebenen Einkauf zu vergleichen, bei dem man glaubt, dass alles in eine Tasche passe. Es muss geklärt werden, von welchen kulturellen Elementen man sich verabschiedet, um für das neue Ziel Platz zu machen. Ein solcher Prozess ist gut anhand einer kulturellen Veränderungslandkarte zu erarbeiten, bei der die unterschiedlichen Stakeholder immer wieder zu Wort kommen. In diesem Kommunikationsprozess findet eine Willkommenskulturentwicklung statt, die gleichzeitig als Etablierung einer Lernkultur zu verstehen ist.
Kommen wir zurück an den Anfang. Es braucht zwei Perspektiven, um als Unternehmen erfolgreich zu bleiben und den Anschluss an die Gesellschaft nicht zu verlieren: Erstens eine gemeinsam verstandene nationale Willkommenskultur und zweitens eine spezifische unternehmensinterne Willkommens- und Lernkultur. Betrachten wir Führung als eine Aufgabe, die von mehreren Menschen in Organisationen wahrgenommen wird, etwas unterscheidendes und gleichzeitig vereinendes hat, dann wird eines deutlich: für die Integration von Diversitätsgruppierungen braucht es Plattformen, auf denen sich Führungskräfte und Mitarbeitende gemeinsam über die konkrete Ausgestaltung der unternehmensspezifischen Willkommenskultur austauschen können. Ein solcher Austausch, der zudem das nationale Thema betrifft, sollte zunehmend auch interorganisational erfolgen. Führungs- und Kulturarbeit ist ein Kommunikationsprozess.
Willkommenskultur ist durch den Diskurs der gesellschaftlichen Entwicklung in unseren Organisationen angekommen und kann innerhalb als auch über die Grenzen der Unternehmen hinaus bearbeitet werden. Das ist herausfordernd und gut – also: Willkommen in der Gesellschaft!