Potenzielle Missbräuchlichkeit

Wann Änderungskündigungen zulässig sind

Unternehmen stehen oft vor der Herausforderung, bestehende Arbeitsverträge anzupassen. Doch wann sind Änderungskündigungen rechtlich zulässig – und wann überschreiten sie die Grenze zur Missbräuchlichkeit? Nicolas Facincani gibt Einblick in die Spielräume und Risiken.

Es stellt sich immer wieder die Frage, ob es für Unternehmen möglich ist, einen bereits bestehenden und gültigen Arbeitsvertrag einseitig und zulasten von Arbeitnehmenden abzuändern. Denn nach Abschluss eines Vertrags ist dieser bekanntlich einzuhalten.

Änderungen drängen sich in der Regel im Zusammenhang mit den folgenden Punkten auf: Lohnkürzung, Pensumsreduktion, Anpassung der Funktion (zum Beispiel Rückstufung von Vorgesetztenstellung zu einer Stellung mit «bloss» Fachverantwortung), Anpassung der Arbeitszeiten, Anpassung der Überstundenentschädigung, Verschlechterung von Arbeitsbedingungen, Einführung oder Änderung eines Personalreglements und so weiter.

Die beiden Arten der Änderungskündigung

Eine der Möglichkeiten, Vertragsänderungen durchzusetzen, ist – neben der vertraglichen Vereinbarung der Parteien eines Arbeitsvertrags – die sogenannte Änderungskündigung. Vereinfacht gesagt, liegt eine Änderungskündigung vor, wenn das Unternehmen der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer zu verstehen gibt (formell oder informell), dass der Arbeitsvertrag beendet wird, wenn die vorgeschlagenen Vertragsänderungen nicht akzeptiert werden.

Es gibt grundsätzlich zwei Vorgehensweisen im Rahmen solcher Änderungskündigungen: die Änderungskündigung im engeren Sinne – hier wird formell korrekt gekündigt mit der Bedingung, dass die Kündigung keine Wirkungen zeitigen soll, sofern die neuen vom Unternehmen vorgeschlagenen Vertragsbedingungen angenommen werden – und die Änderungskündigung im weiteren Sinne, bei der eine Vertragsofferte zusammen mit der Absicht unterbreitet wird, dass eine Kündigung erfolgt, wenn die Offerte nicht angenommen wird. Bei einer Änderungskündigung im weiteren Sinne erfolgt zu Beginn also noch keine formelle Kündigung. Bei beiden Arten der Änderungskündigung haben es die Betroffenen in der Hand, ob sie die Vertragsänderungen akzeptieren oder die Kündigung riskieren wollen.

Wirkungen der Änderungskündigung

Stimmen Betroffene den neuen Vertragsbedingungen zu, wird der Arbeitsvertrag mit den neuen Vertragsbedingungen fortgesetzt. Es wird kein neues Arbeitsverhältnis begründet. Nehmen sie die neuen Vertragsbedingungen nicht an, wird bei einer Änderungskündigung im engeren Sinne das Arbeitsverhältnis beendet; bei einer Änderungskündigung im weiteren Sinne nur, wenn das Unternehmen das Arbeitsverhältnis im Nachhinein auch wie beabsichtigt kündigt.

Dieses Vorgehen wird grundsätzlich als zulässig erachtet. Dennoch gibt es Fälle, in denen sich das Vorgehen des Unternehmens – und somit die Kündigung (sofern die Änderungsofferte nicht angenommen wurde) – als missbräuchlich erweist.

Missbräuchliche Änderungskündigungen

Nimmt der oder die Betroffene die neuen Vertragsbedingungen nicht an, kann die Änderungskündigung unter gewissen Umständen missbräuchlich sein.

In Zusammenhang mit Änderungskündigungen gibt es Konstellationen, die nach der Rechtsprechung als missbräuchlich gelten (wenn die Offerte zur Vertragsänderung nicht angenommen wurde und das Arbeitsverhältnis endet). Dies ist unter anderem in den folgenden Situationen gegeben:

  • Das Unternehmen will eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen ohne Einhaltung der Kündigungsfristen durchsetzen.
     
  • Die Änderungskündigung führt zu einer unbilligen, sachlich nicht gerechtfertigten negativen Anpassung der Arbeitsbedingungen, ohne dass betriebliche oder marktbedingte Gründe vorliegen; also wenn das Unternehmen die Kündigung als Druckmittel benutzt, um den Betroffenen eine ungerechtfertigte Änderung aufzuzwingen.
     
  • Die Kündigung wird ausgesprochen, weil der oder die Betroffene sich weigert, einen neuen Vertrag abzuschliessen, der gegen das Gesetz, den Tarifvertrag oder den anwendbaren Standardvertrag verstösst.
     
  • Das Unternehmen nutzt die Verletzung ihrer vertraglichen Schutzpflichten gegenüber der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer aus, um dieser oder diesem eine sehr ungünstige Änderung der Arbeitsbedingungen vorzuschlagen.
     
  • Der oder die Betroffene lehnt Bedingungen ab, die einem Gesamtarbeitsvertrag widersprechen.

Neben diesen besonderen – für Änderungskündigungen geltenden – Missbrauchstatbeständen kann aber eine Änderungskündigung auch aus anderen Gründen missbräuchlich sein, wie das Bundesgerichtsurteil BGer 8C_637/2022 vom 2. Juni 2023 zeigte. Hier wurde die Änderungskündigung als missbräuchlich erachtet, da das Unternehmen der Arbeitnehmerin mittels Änderungskündigung eine Stelle anbot, dann jedoch die Bedenkfrist nicht abwartete. Missbräuchlichkeit kann somit auch vorliegen, wenn den Betroffenen zu wenig Bedenkzeit gewährt wird oder das Unternehmen die Bedenkfrist nicht abwartet. Wie lange die Bedenkfrist effektiv sein muss, ist in der Schweiz allerdings nicht geregelt.

Liegt eine missbräuchliche Kündigung vor, so können die Betroffenen Einsprache gegen die Kündigung erheben und eine Entschädigung verlangen.

Bestimmungen über Massenentlassungen

Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass auch Änderungskündigungen von den Bestimmungen einer Massenentlassung erfasst sind, sofern die entsprechenden Schwellenwerte erreicht werden.

Eine Massenentlassung liegt vor, wenn ein Arbeitgeber innerhalb von 30 Tagen eine gewisse Anzahl von Arbeitnehmenden entlässt, ohne dass die Kündigungen in einem Zusammenhang mit der Person der Arbeitnehmenden (zum Beispiel Leistung, Verhalten) stehen. Ob aus rechtlicher Sicht eine Massenentlassung vorliegt, hängt von der Grösse des Betriebs und der Anzahl der entlassenen Arbeitnehmenden ab.

Sollen also die Arbeitsverträge von mehreren Personen im Rahmen von Änderungskündigungen geändert werden, so können die Bestimmungen über die Massenentlassung anwendbar sein, und es wäre insbesondere ein Konsultationsverfahren durchzuführen, sollten formelle Kündigungen effektiv ausgesprochen werden.

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Nicolas Facincani, lic. iur., LL.M., ist Partner der Anwaltskanzlei Voillat Facincani Sutter + Partner. Er ist als Rechtsanwalt tätig und berät Unternehmen und Private vorwiegend in wirtschafts- und arbeitsrechtlichen Belangen. Er doziert zudem regelmässig zum Arbeitsrecht. www.vfs-partner.ch

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