Was bleibt, wenn die Algorithmen kommen
Wer auf der Suche nach einem neuen Job ist, erhofft sich, mit seinen Fähigkeiten und seiner Persönlichkeit beim potenziellen Arbeitgeber zu punkten. Doch künftig müssen Bewerber Algorithmen statt Menschen überzeugen, denn die künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch.
Auch vor dem Personalbereich macht die künstliche Intelligenz nicht Halt: Softwaregestütztes Recruiting ist derzeit ein Topthema. (Bild: iStockphoto)
In der Geschäftswelt etabliert sich allmählich eine algorithmusbasierende Intelligenz: So setzt etwa die amerikanische Bank JP Morgan & Chase eine Lernsoftware ein, die innert Sekunden Verträge analysiert, für die Anwälte bisher 360 000 Stunden benötigt haben. Die japanische Versicherung Fukoku Mutual Life hingegen ersetzt Sachbearbeiter durch Watson, das intelligente Computersystem von IBM, und spart dadurch jährlich mehr als eine Million Euro, während Banker an der Wallstreet von Maschinen auf ihre Loyalität hin getestet werden. Vom Fahrzeughersteller über das Finanzinstitut bis hin zum Einzelhändler: Unternehmen versprechen sich durch die neue Technologie signifikante Wettbewerbsvorteile, da ihr laut MIT Sloan/Deloitte nebst dem «Internet der Dinge» bei Innovationsmanagern weltweit das höchste Zukunftspotenzial zugetraut wird.
Trend mit Tücken
Auch vor dem Personalbereich macht die künstliche Intelligenz nicht Halt: Softwaregestütztes Recruiting ist derzeit ein Topthema. Anbieter wie IBM (Iris by Watson), SAP (Success-Factors) und Google (Cloud Jobs API zusammen mit Career-Builder und Dice) versprechen, Bewerber ohne lange Suche im Bewerbermarkt zu identifizieren. Zeitaufwendige Vorselektionen und Bewerbungsgespräche erübrigten sich, da ein Algorithmus neutral entscheide. Vorurteile und Diskriminierungen blende die Maschine selbstverständlich aus. Ein Szenario, das bisher seine Tücken hat – sei es technischer oder rechtlicher Natur: Empirische Untersuchungen zeigen nämlich, dass menschliche Bewertungen und somit auch Vorurteile – nämlich die des Programmierers – in die Entwicklung eines Algorithmus einfliessen können.
Bei allen technischen Möglichkeiten wird es noch dauern, bis die bisher Menschen vorbehaltenen Entscheidungen durch Algorithmen gefällt werden. Dennoch wird dies technisch schneller möglich sein, als wir denken, da sich die Digitalisierung exponentiell entwickelt und sich die Effektivität der Algorithmen innert kurzer Zeit erneut verdoppelt. In einem nächsten Schritt werden sogenannte Social-Media-Scoring-Modelle, wie sie Start-ups bereits im Finanztechnologie-Bereich nutzen, um etwa die Kreditwürdigkeit einer Person zu berechnen, auf das Recruiting überführt werden. Wenn das passiert, haben Recruiter ein mächtiges Instrument in der Hand, um Kandidaten anhand ihrer Aktivitäten und Netzwerke zu bewerten.
Auf Basis der öffentlich verfügbaren Informationen über eine Person und über ihr Verhalten in den sozialen Medien und im Internet entsteht ein digitales Kompetenzprofil. Dafür werden alle verfügbaren technischen Signale analysiert: geografische Bewegungsmuster, in welchen Sprachen die Person Content konsumiert oder zu welchen Themen sie aktiv oder passiv kommentiert, veröffentlicht und damit andere beeinflusst – alles, was aufzeigt, welche Expertise sie hat. Aus diesen Daten lassen sich auch Persönlichkeitsmerkmale ableiten und es wird ein Bild einer Person sichtbar, das bisher nur dem engsten Bekanntenkreis vorbehalten war. Dadurch entsteht ein Riesenpotenzial für die Recruiter, da sich Kandidaten gezielt für Aufgaben identifizieren und priorisieren lassen. Bisher konnte bei der Personalsuche nur ein kleiner Kreis an potenziellen Kandidaten berücksichtigt werden (meist 100 bis 500 Personen). Ein spezialisierter Algorithmus kann über demografische und geografische Grenzen hinweg hunderttausende Personen für einen Prozess berücksichtigen.
In der Konsequenz werden für gewisse Aufgabenstellungen jedoch immer die gleichen Menschen gefunden, die objektiv betrachtet die besten Voraussetzungen mitbringen. Zunächst wird diese Technologie nur den Vorreitern vorbehalten sein. Diese Unternehmen können dann, ganz nach dem «Bayern-München-Effekt», immer die Besten einstellen und dem Wettbewerb enteilen. Irgendwann werden zwar alle Unternehmen die gleichen technischen Voraussetzungen haben, aber die Gefahr besteht, dass sich nur die Vorreiter diese Mitarbeitenden dann überhaupt leisten können.
Brave New World?
Dieser exklusive Kreis an Top-Level-Managern und Fachkräften wird sich künftig einer Flut von Angeboten ausgesetzt sehen. In der Folge werden sich ihre Gehälter absetzen. Dies ist vergleichbar mit Websites, die bei Google für populäre Suchbegriffe auf Platz eins stehen. Alle anderen sind nur «Zweitbeste» und fallen somit aus dem Suchraster.
Wenn in Zukunft Algorithmen den Recruiting-Prozess übernehmen, stellt sich auch die Frage, welche Rolle Recruiter und Personalberater noch spielen und welchen Mehrwert sie dem Prozess beisteuern können. Hier gibt es zwei Möglichkeiten, einen Mehrwert zu schaffen: Aufgabe eines Personalberaters könnte es sein, für Top-Level-Manager und Fachkräfte eine Gatekeeper-Funktion zu übernehmen und angesichts der Angebotsvielfalt deren Karrieren aktiv zu managen, damit diese ihre langfristigen persönlichen Ziele erreichen.
Die zweite Kategorie der Menschen, die aus dem Suchraster der Algorithmen fällt, wird versuchen, diese zu umgehen. Hier entsteht für Personalberater die Chance, die Profile dieser Arbeitnehmenden aufzuwerten – quasi durch Suchmaschinenoptimierung für den HR-Algorithmus.
Neben dem Business-Aspekt stellen sich jedoch auch einige ethische Fragen: Wie geht man mit dem perfekten Wissen um? Kann ich auf Basis zwischenmenschlicher Beziehungen noch Entscheidungen treffen, wenn sie rational betrachtet falsch sind? Wollen wir in einer Berufswelt leben, die so rational ist? Bleibt noch Platz für das Menschliche? Ist es zu akzeptieren, dass es zu einer Monopolisierung der Spitzenkräfte kommt? In der Folge wäre die Bildung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft, wie es Aldous Huxley in Brave New World skizzierte, keine Utopie mehr.