Wenn Familienmitglieder im Assessment sitzen
Wenn für einen Patron in einem Familienunternehmen die Pensionierung näher rückt, steht die grosse Frage nach seiner Nachfolge im Raum. Ein Lebenswerk kann nicht an den Sohn oder die Tochter vererbt werden, ohne deren Potenzial sorgfältig geprüft zu haben. Entwicklungsorientierte Assessments helfen – vorausgesetzt, sie gehen auf die vielen Besonderheiten einer solchen Situation ein.
In der Schweiz sind 88 Prozent der KMU Familienunternehmen. Sie bilden das Rückgrat der Schweizer Wirtschaft und tragen massgeblich zum Wachstum bei, auch in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten. Gemäss verschiedenen Studien wird in den nächsten fünf Jahren knapp ein Fünftel der Unternehmen vor einem Generationenwechsel stehen. Das bedeutet, dass jährlich durchschnittlich mehr als 11 000 Unternehmen und über 90 000 Arbeitnehmende von einem Führungs- und Eigentumswechsel betroffen sein werden. Damit kommt dem Nachfolgeprozess innerhalb der einzelnen Unternehmen und auch für die Schweizer Wirtschaft eine grosse Bedeutung zu.
Grundsätzlich gibt es drei Arten von Nachfolgeregelungen: der Unternehmensverkauf, das Management-Buy-out oder die Übernahme der Unternehmensführung durch einen familieninternen Nachfolger. In allen drei Fällen sind die Anforderungen an das Gelingen komplex. Im Falle der familieninternen Nachfolgeregelung sind diese meist am anspruchsvollsten, weil neben der unternehmerischen Perspektive oft auch familiäre Konflikte aufgrund des Rollenwechsels der nachfolgenden Person entstehen können.
Zusammenspiel von Experten
Welches sind Erfolgsfaktoren für eine gelungene Besetzung in der Nachfolgeregelung? Die Nachfolgeregelung in Familienunternehmen ist für alle Beteiligten ein sehr anspruchsvolles Vorhaben, und die Risiken eines Misserfolges belasten einen solchen Übernahmeprozess oft zusätzlich. Die betriebswirtschaftlichen, steuer- und erbrechtlichen, finanziellen und emotionalen Aspekte sind vielfältig und müssen den individuellen und situativen Anforderungen angepasst werden. Es empfiehlt sich ein übergreifendes Zusammenspiel von Finanzexperten, Juristen und Psychologen, damit der Prozess ganzheitlich betreut und mit Weitsicht erfolgreich begleitet werden kann.
Aus psychologischer Sicht gilt es vor allem, die Eignung beziehungsweise die Fähigkeiten des Nachfolgenden zu beleuchten, aber auch seine Motivation respektive sein Interesse für die Funktion. Ebenfalls spielen die spezifischen familiären Verhältnisse im Prozess eine bedeutende Rolle. Zudem sollte ein starkes Augenmerk darauf gelegt werden, wie mit den gewonnenen Erkenntnissen umgegangen wird.
Studie zum Thema
Aktuelle Studie «Unternehmensnachfolge in der Praxis» aus der Reihe «Erfolgsfaktoren für Schweizer KMU» von Credit Suisse und der Universität St.Gallen (bei «Please Select» => Switzerland auswählen).
Eignung des Nachfolgenden
Eine vertiefte Anforderungsanalyse ist zentral für eine qualifizierte Eignungsabklärung in der Nachfolgeplanung. Dazu gehört die ganzheitliche Erfassung der Situation und des Umfelds des Unternehmens, des Patrons sowie des Nachfolgers. Es ist wichtig, über verschiedene Informationsquellen zu verfügen, um ein vollständiges Bild der Situation zu erhalten. Eine potenzielle Gefahr besteht oft darin, dass die Anforderungen einseitig durch den Patron beschrieben werden und somit Verzerrungen unterliegen. Nach der Auftragsklärung ist die klare Kommunikation der Wünsche und Bedingungen von allen Seiten anzustreben, um mögliche Rollenkonflikte vorwegzunehmen und Transparenz herzustellen. Diese ist oftmals das einzige Mittel, um die starken Emotionen, welche einen solchen Prozess begleiten, meistern zu können.
Ein Assessment im Rahmen der Nachfolgeregelung wird im Idealfall vor einem – im Vergleich zu einem klassischen Auswahl-Assessment – relativ weiten Zeithorizont von mindestens drei Jahren gemacht. Dabei steht die Entwicklungsorientierung im Vordergrund. Zunächst geht es darum, mittels Potenzialanalyse systematisch individuelle Stärken und den Entwicklungsbedarf des Nachfolgers herauszuarbeiten. Daraus müssen Massnahmen abgeleitet werden, damit die Herausforderungen der künftigen Aufgabe gemeistert werden können. Das Spektrum reicht von Führungscoachings über Führungsweiterbildungen bis zur Übernahme einer Managementrolle in einem anderen Unternehmen. Letzteres bringt wichtige Erfahrungen und kann dem Vorwurf von Vorzugsbehandlungen entgegenwirken.
Doch: Über einen solch langen Zeitraum das Potenzial für die Rolle eines Unternehmensleiters zu diagnostizieren, ist kompliziert. Die Einflussfaktoren bei der Entwicklung des Nachfolgers können auf dem Weg bis hin zur Übernahme nicht umfassend kontrolliert werden. Dies macht diese Art der Eignungs- und Potenzialabklärungen aussergewöhnlich anspruchsvoll.
Motivation des Nachfolgenden
Ungleich wichtiger als in einem klassischen Auswahl-Assessment ist es bei der Nachfolgeplanung, die motivationalen Aspekte, generelle berufliche Karriereziele und Werthaltungen des Nachfolgers herauszuarbeiten. Nicht selten wird dabei deutlich, dass sich der Nachfolgende möglicherweise verpflichtet fühlt, in die Fussstapfen des Seniors zu treten, aber weder Interesse noch die Motivation dafür entwickelt hat. Wenn dies der Fall ist und noch nicht offen kommuniziert wurde, gilt es, das – zum Schutz aller Beteiligten – klar festzuhalten und zur Sprache zu bringen. In einem solchen Fall können dann weitere Beratungen zur Laufbahnplanung für den Nachfolger unterstützend wirken, gerade wenn er oder sie andere berufliche Vorstellungen als der Patron hat.
Familienspezifische Verhältnisse
Jede Familie besitzt eine eigene Struktur und unterliegt individuellen Verhältnissen. Deshalb ist es als Berater wichtig, im ganzen Prozess eine gleichberechtigte Behandlung und Kommunikation zu und auch zwischen Patron und Nachfolgendem anzustreben.
Die wahre Motivation der Beteiligten, also von Patron und Nachfolger, spielen eine grosse Rolle, vor allem wenn kommunikative Prozesse innerhalb der Familie vorab nicht ausreichend stattgefunden haben. Die Erfahrung zeigt, dass alte Verhaltensmuster oft gerade hier aufkommen; das heisst, der Vater den Sohn oder die Tochter nach wie vor «wie (s)ein Kind behandelt» und damit Konflikte provoziert. Auch geschieht es nicht selten, dass Familienmitglieder, die zu Beginn nicht in den Nachfolgeprozess involviert waren, ihre Ansprüche und Ideen einbringen. Vor dem Hintergrund, dass die Zukunft des Familienunternehmens auf dem Spiel steht, ein durchaus nachvollziehbares Bedürfnis.
Umgang mit den Ergebnissen
Der Umgang mit den Erkenntnissen ist ebenso bedeutend wie die Durchführung des Assessments an sich. Zuerst sollte ein Feedback-Gespräch mit dem Nachfolger, der Nachfolgerin durchgeführt werden, in dem die Ergebnisse der Potenzialanalyse besprochen werden. Diagnostizierte Stärken und der Entwicklungsbedarf werden rückgemeldet sowie motivationale Aspekte zur Übernahme besprochen. Hier entscheidet sich oft, ob der Nachfolger in Frage kommt und welche Schritte bis zur endgültigen Übernahme noch getätigt werden sollten. Im weiteren Verlauf sollte der Nachfolger auf seine Rolle vorbereitet werden. Dabei kommt dem Integrationsprozess eine besondere Bedeutung zu, da die ersten sichtbaren Schritte des Nachfolgers im Unternehmen wegweisend sind.
Schliesslich kann auch der Patron bei der Suche nach seiner zukünftigen Rolle unterstützt werden. Diese Unterstützung findet unter dem Stichwort «Loslassen» statt. Der Patron übergibt sein Lebenswerk, was mit vielen Emotionen verbunden ist. Verantwortung, Macht, Prestige und wertvolle Beziehungen gehen verloren, berufliche und persönliche Gewohnheiten müssen aufgegeben und neue Lebensgewohnheiten entwickelt werden.
So ergeben sich insgesamt für den Patron sowie für den Nachfolgenden wichtige Entscheidungsprozesse, was die Grafik verdeutlicht.