HR Today Nr. 10/2019: Arbeit und Recht

Wie weit geht die Verschwiegenheitspflicht der Arbeitnehmervertretung?

Für Unternehmen ist es in vielerlei Hinsicht vorteilhaft, eine gewählte Arbeitnehmervertretung zu haben. Wie gut diese aufgestellt und wie vertrauenswürdig sie ist, zeigt sich aber oft erst, wenn heikle Unternehmensentscheide bevorstehen.

Die Geschäftsleitung und die Arbeitnehmervertretung (ANV) treffen sich regelmässig zu einem gegenseitigen Informationsaustausch. Dabei stellt sich jeweils die Frage, welche Geschäftsinformationen die Arbeitnehmervertretung verlangen darf und wie weit ihre Verschwiegenheitspflicht geht. Das Thema der Verschwiegenheit sollte deshalb idealerweise bereits im ANV-Reglement geklärt sein. Das schafft Klarheit dafür, welche Informationen mit Arbeitskolleginnen und -kollegen oder mit Gewerkschaftsvertretern geteilt werden dürfen.

Gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit

Obwohl die Verschwiegenheit gesetzlich geregelt ist, kommt es immer wieder zu Diskussionen, ob die Arbeitnehmervertretung die Mitarbeitenden und/oder Gewerkschaften informieren darf oder nicht. Nebst der allgemeinen arbeitsrechtlichen Treuepflicht (Art. 321a Abs. 4 OR), der Verschwiegenheitspflicht bei Sozialplanverhandlungen (Art. 335i Abs. 4 OR) sowie der strafrechtlichen Norm (Verletzung von Geschäftsgeheimnissen, Art. 162 StGB) regelt das Mitwirkungsgesetz die Verschwiegenheit ausdrücklich. Grundsätzlich gilt gemäss Art. 14 Abs. 1 MwG die (relative) Verschwiegenheitspflicht, wonach die Arbeitnehmervertretung gegenüber betriebsfremden Personen keine Informationen zu betrieblichen Angelegenheiten weitergeben darf. Selbstverständlich sind nur jene Informationen davon betroffen, die über Allgemeinbekanntes hinausgehen und somit schützenswert sind.

Im Umkehrschluss dürfen also die Mitarbeitenden informiert werden, sofern keine Einschränkung besteht. Dagegen dürfen Gewerkschaftsvertreter und andere betriebsfremde Dritte nicht mit vertraulichen Betriebsinformationen bedient werden. Diese grundsätzliche Verschwiegenheitspflicht gegenüber Dritten besteht allerdings nicht, wenn diese mit der Wahrung der Interessen der Arbeitnehmerinnen und -nehmer betraut sind (vgl. Art. 14 Abs. 1 MwG). Diese Ausnahme soll der Arbeitnehmervertretung ermöglichen, sich durch externe Fachpersonen beraten zu lassen. Arbeitnehmerseitig wird das gelegentlich so ausgelegt, dass den Gewerkschaften jeweils alle Informationen weitergeleitet werden dürfen. Das stimmt in dieser absoluten Form jedoch nicht und hängt von der konkreten Situation ab.

Darüber hinaus existiert von Gesetzes wegen eine absolute Verschwiegenheitspflicht. Diese untersagt der Arbeitnehmervertretung, erhaltene Informationen den Mitarbeitenden und externen Dritten (wie beispielsweise Rechtsanwälten oder Gewerkschaften) mitzuteilen. Einerseits gilt das bei persönlichen Angelegenheiten von Mitarbeitenden, andererseits, wenn es der Arbeitgebende aus berechtigtem Interesse ausdrücklich verlangt (Art. 14 Abs. 2 MwG).

Absolute Verschwiegenheit bei Konsultation

Wird ein Unternehmen restrukturiert oder steht ein Betriebsübergang an, befindet sich die Geschäftsleitung regelmässig in einem Interessenkonflikt. Um den beabsichtigten Plan nicht zu gefährden, will sie meist so wenig Informationen wie möglich teilen. Demgegenüber will die Arbeitnehmervertretung möglichst umfassend informiert werden, sodass die Konsultation gewissenhaft durchgeführt werden kann. Es ist daher wichtig, spätestens mit der Eröffnung des Konsultationsverfahrens eine absolute Verschwiegenheit auszubedingen. Diese kann mündlich erfolgen, sollte jedoch je nach Vertrauensverhältnis und ANV-Reglement mit einer schriftlichen Erklärung klargestellt werden.

Es kann vorkommen, dass sich die Arbeitnehmervertretung gegen eine absolute Verschwiegenheitspflicht stellt und damit argumentiert, sie müsse sich mit der Belegschaft aus­tauschen. Gerade weil sie als gewählte Arbeitnehmervertretung das Mitwirkungsmandat innehat, muss sie die absolute Verschwiegenheit gegenüber den Kolleginnen und Kollegen akzeptieren, was dann zu einem verdeckten Konsultationsverfahren führt, ohne die Belegschaft zu involvieren. Ob das sinnvoll ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Wie weit sich die absolute Verschwiegenheit auch gegenüber Arbeitnehmerverbänden und Gewerkschaften durchsetzen lässt, hängt ebenfalls vom konkreten Fall ab. Insbesondere davon, ob sich das Unternehmen in einer Sozialpartnerschaft befindet oder nicht.

Praxistipp

Der Umgang mit betrieblichen Informationen darf nicht dem Zufall überlassen werden. Die Arbeitgeberseite darf weder voraussetzen, dass die Arbeitnehmervertretung alle Informationen vertraulich behandelt, noch sollte sie ein generelles Misstrauen gegenüber der Arbeitnehmervertretung hegen und für alles und jedes eine schriftliche Verschwiegenheitserklärung verlangen. Der Umgang mit Informationen sollte reglementarisch (ANV-Reglement) festgelegt und laufend thematisiert werden. Es gehört zu einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit, dass auch heikle Themen miteinander besprochen werden. Dabei schadet es nicht, wenn einvernehmlich geklärt wird, in welchem Umfang die Verschwiegenheit jeweils gilt.

Weil nicht immer klar ist, ob eine Gewerkschaft einen Vertretungsauftrag hat oder nicht, und damit auch die Verschwiegenheit gegenüber dieser unklar bleibt, sollte der Arbeitgeber bei kritischen Sachverhalten die absolute Verschwiegenheit verlangen. Diese sollte begründet und zumindest in einem Protokoll festgehalten und idealerweise von der Arbeitnehmervertretung bestätigt werden. Werden bei heiklen Unternehmensentscheiden vertrauliche Unterlagen abgegeben, können diese auch personalisiert werden, sodass die allfällige unerlaubte Weitergabe erschwert respektive nachverfolgt werden kann.

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Brigitte Kraus ist ­Inhaberin der Agentur konzis. Sie ist Juristin und Unternehmenskommunikatorin und begleitet Unternehmen in Ver­änderungssituationen, ­insbesondere bei Betriebsübernahme, Neuausrichtung, Personal­massnahmen sowie bei der Gesprächsführung und Verhandlung mit Gewerkschaften und Arbeitnehmer­vertretungen.

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