BGM-Tagung 2024: Wie Unternehmen Resilienz aufbauen können
Resilienz ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit – das zeigte die BGM-Tagung 2024 von Gesundheitsförderung Schweiz in Bern deutlich. Führungskräfte und Gesundheitsverantwortliche erfuhren, wie sie nicht nur auf Krisen reagieren, sondern präventiv handeln können, um ihre Organisationen langfristig zu stärken.
Dominique Gisin, ehemalige Olympiasiegerin im Ski Alpin, erlebte während ihrer Karriere zahlreiche Rückschläge. In ihrer Keynote an der Nationalen BGM-Tagung 2024 erzählt sie, wie sie ihre Resilienz stärken konnte. (Bild: Daniel Thüler)
Im Kursaal Bern herrscht am Mittwoch, 18. September 2024, geschäftiges Treiben. Rund 1150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich zur diesjährigen BGM-Tagung der Gesundheitsförderung Schweiz eingefunden – mehr als je zuvor. Die steigende Popularität des jährlichen Anlasses – der heuer übrigens sein 20-Jahre-Jubiläum feiert – zeigt, dass die betriebliche Gesundheitsförderung kein Randthema mehr ist. Diesmal stand das Thema «Resilienz» im Fokus – und zwar nicht nur auf individueller, sondern auch auf organisationaler Ebene.
Spätestens seit der Corona-Pandemie ist Resilienz zu einem zentralen Begriff im Arbeitsumfeld geworden. Unternehmen und ihre Mitarbeitenden mussten lernen, mit den plötzlich veränderten Bedingungen umzugehen. Dabei wurde deutlich, dass es nicht nur darauf ankommt, wie Einzelpersonen mit Stress und Unsicherheit umgehen, sondern auch, wie Unternehmen als Ganzes ihre Strukturen und Prozesse so gestalten können, dass sie Krisen widerstehen und flexibel auf Veränderungen reagieren. Resilienz ist heute zu einem strategischen Erfolgsfaktor geworden, der langfristige Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit sichern soll – ein Thema, das die Teilnehmenden der BGM-Tagung intensiv umtreibt.
Resiliente Strukturen beugen Krisen vor
Eric Bürki von Gesundheitsförderung Schweiz wies darauf hin, dass Unternehmen mehr Mittel in die resiliente Vorsorge stecken sollten. (Bild: Daniel Thüler)
Eric Bürki, Leiter des Betrieblichen Gesundheitsmanagements bei Gesundheitsförderung Schweiz, betonte in seinem Eröffnungsreferat, dass Resilienz nicht nur auf individueller, sondern auch auf organisationaler Ebene stark an Bedeutung gewonnen habe. Er führte aus, dass viele Unternehmen sich noch stark auf Krisenmanagement und Schadensbegrenzung konzentrieren, statt präventiv resiliente Strukturen zu schaffen. «Die meisten Organisationen investieren immer noch den Grossteil ihrer Ressourcen in die Bewältigung von Krisen, statt frühzeitig vorzubeugen», sagte er und schlug vor, dass Unternehmen mehr Mittel in resiliente Vorsorge stecken sollten.
Bürki wies darauf hin, dass Resilienztrainings oftmals nur kurzfristige Effekte zeigen – eben weil häufig nur an individuelle Resilienz gedacht wird. «Die Forschung belegt, dass viele dieser Trainings wenig Wirkung haben, es sei denn, sie sind freiwillig und haben einen klaren Bezug zur Arbeit.» Fast noch wichtiger sei es aber, dass die Arbeitsbedingungen so gestaltet werden, dass sie die Resilienz fördern.
Besonders hob er hervor, dass Organisationen durch strukturelle Massnahmen wie redundante Prozesse oder externe Kooperationen ihre Widerstandsfähigkeit erheblich steigern könnten. Zur Illustration nutzte er das Bild eines Wals. «Es geht darum, eine Art ‹Fettschicht› aufzubauen, wie bei einem Wal, der in kalte Gewässer abtaucht – diese Schicht schützt vor den Stürmen, die unweigerlich kommen werden», schloss Bürki seine Ausführungen.
Resilienz ganzheitlich denken
In ihrer gemeinsamen Keynote «Für Tango braucht es zwei! Organisationale Resilienz und BGM im Vergleich» sprachen Jens O. Meissner, Professor für Risikomanagement und Experte für organisationale Resilienz, und Tanja Matetic, Leiterin Assurance und Resilienz bei der BLS, über die Bedeutung einer ganzheitlichen Resilienzstrategie in Unternehmen.
Sie verglichen die Entwicklung organisationaler Resilienz mit einem Tanz – dem Tango – und betonten, dass ein gutes Zusammenspiel von organisationaler Resilienz und BGM matchentscheidend sei, um Organisationen widerstandsfähig zu machen. «Die meisten Themen, um organisationale Resilienz betreiben zu können, sind bekannt, aber die Choreografie ist das Problem», sagte Meissner. Er wies darauf hin, dass Resilienz zwar oft auf individueller Ebene diskutiert werde, aber es ebenso wichtig sei, Organisationen als Ganzes resilient zu gestalten.
Professor Jens. O. Meissner stellte ein Indikatorenmodell vor, das es erlaubt, Resilienz zu messen und zu verbessern. (Bild: Daniel Thüler)
Meissner führte aus, dass das Konzept der Resilienz aus verschiedenen Forschungsfeldern stamme, darunter die Ökologie und die Psychologie, und heute auch im strategischen Management und in der Informationssicherheit eine Rolle spiele. Er erklärte: «Organisationale Resilienz umfasst die Fähigkeit, Belastungen zu absorbieren, das Funktionieren trotz Widrigkeiten sicherzustellen und sich von negativen Ereignissen zu erholen, bevor die Situation unkontrollierbar wird.»
Er stellte ein Indikatorenmodell vor, das es Unternehmen ermöglicht, Resilienz zu messen und zu verbessern. Dabei stehen unter anderem Führung, Kultur, Wandelbereitschaft und die Nutzung von Netzwerken im Fokus. Anhand eines Beispiels aus der Unterwasserforschung verdeutlichte Meissner, dass Resilienz nicht nur bedeute, Risiken zu managen, «sondern auch die Ziele zu erreichen, die man sich gesetzt hat».
Tanja Matetic wies darauf hin, dass Resilienz nicht mit Zwang gefördert werden kann. (Bild: Daniel Thüler)
Tanja Matetic betonte die Wichtigkeit von Empathie und Zusammenarbeit in der Entwicklung organisationaler Resilienz. Sie führte aus, dass Resilienz nicht durch Zwang, sondern durch Überzeugungsarbeit und empathisches Handeln gefördert werden müsse: «Es braucht Überzeugungsarbeit, und es muss Lust machen, zusammenarbeiten zu wollen, denn mit Zwang geht das nicht.»
Matetic hob die Rolle der ständigen Übung, des Vertrauens und der Koordination hervor, um Resilienz in einer Organisation aufzubauen. «Es ist wie beim Tanzen: Man muss trainieren, erste Erfahrungen sammeln und Vertrauen aufbauen», erklärte sie. Matetic verwies auf die Notwendigkeit, dass in Organisationen nicht nur individuelle Resilienz gestärkt werden müsse, sondern dass die Zusammenarbeit auf allen Ebenen gefördert werden sollte. «Es braucht immer mehr als nur zwei zum Tango der organisationalen Resilienz», betonte sie abschliessend.
Gestresste Führungskräfte führen schlecht
Professor Alexander Hunziker zeigte auf, wie viel Einfluss – ob positiv oder negativ – Führungskräfte auf die Resilienz der Mitarbeitenden haben können. (Bild: Daniel Thüler)
Alexander Hunziker, Professor am Institut New Work der Berner Fachhochschule, stellte in seiner mit Humor gespickten Keynote das Thema Resilienz aus der Perspektive der positiven Psychologie vor. Zwischendurch lud er das Publikum zu Achtsamkeitsübungen und zum Austausch mit den Sitznachbarn ein, was für eine angenehme Auflockerung sorgte.
Ein zentraler Punkt seines Referats war die Rolle der Führungskräfte in der Entwicklung organisationaler Resilienz. Er betonte, dass diese nicht nur für das eigene Wohlbefinden verantwortlich seien, sondern auch dafür, wie sich ihr Verhalten auf das gesamte Team auswirke. «Wenn die Führungskraft gestresst ist, wird auch das Team gestresst. Denn Studien zeigen, dass gestresste Führungskräfte schlecht führen», erklärte Hunziker und hob hervor, wie wichtig Selbstmanagement und eine gesunde Führungsaufstellung seien.
Hunziker stellte zudem klar, dass Resilienz nicht nur die Fähigkeit sei, Krisen zu überstehen, sondern auch, in schwierigen Situationen Freude und Motivation zu empfinden. Dieser positive Ansatz sei besonders wichtig, um eine Kultur der Resilienz im Unternehmen zu fördern. Führungskräfte sollten deshalb einen sozialen Rahmen schaffen, in dem Mitarbeitende ihre Resilienz entwickeln können.
«Achtsamkeit ist eine Kunst, die man übt, um freundlich und präsent zu bleiben – besonders in stressigen Situationen.»
– Alexander Hunziker, Professor am Institut New Work der Berner Fachhochschule
Ein weiterer Schwerpunkt seines Vortrags war die Bedeutung von psychologischer Sicherheit im Team: «Psychologische Sicherheit bedeutet, dass man sich zeigen kann, wie man ist, ohne Angst vor negativen Konsequenzen haben zu müssen.» Diese Sicherheit sei eine Grundvoraussetzung für den Aufbau von Resilienz, da sie Vertrauen und Offenheit fördere. Hunziker wies darauf hin, dass Teams, die konstruktives Feedback geben und Unterstützung bieten, besser in der Lage seien, mit Stress umzugehen.
Abschliessend sprach er über Achtsamkeit und Charakterstärken als wirksame Methoden zur Resilienzförderung. «Achtsamkeit ist eine Kunst, die man übt, um freundlich und präsent zu bleiben – besonders in stressigen Situationen», sagte Hunziker und empfahl, Achtsamkeitstrainings als festen Bestandteil im betrieblichen Gesundheitsmanagement zu integrieren.
Interaktive Formate zur Stärkung von Gesundheit und Resilienz
Zwei Blöcke vor und nach dem gemeinsamen Lunch mit Mini-Barcamps, Sub-Plenen und Workshops boten den Teilnehmenden der BGM-Tagung zahlreiche Möglichkeiten, sich intensiv mit aktuellen Fragestellungen der betrieblichen Gesundheitsförderung auseinanderzusetzen.
In den Mini-Barcamps standen vor allem der interaktive Austausch und praxisnahe Lösungen im Vordergrund. In Gruppen diskutierten die Teilnehmenden, was Organisationen hilft, beweglicher und anpassungsfähiger zu werden, ohne dass dies zulasten der langfristigen Ausrichtung und Stabilität geht. Das dialogorientierte Barcamp-Format ermöglichte es den Teilnehmenden, ihre eigenen Erfahrungen und Herausforderungen einzubringen und gemeinsam Lösungsansätze zu erarbeiten.
In den Sub-Plenen lag der Fokus auf spezifischen Aspekten des betrieblichen Gesundheitsmanagements. Thematisiert wurden unter anderem «Work Hacks für bewegliche Organisationen», eine Konzeptidee für ein Resilienzprogramm für Lernende oder wie Absenzen aus psychologischen Gründen entgegengewirkt werden kann.
In den Workshops wiederum wurden anhand von Themen wie «Emotionen steuern als Königsweg zur Steigerung von Resilienz», «Durch agile Strukturen und Leadership zu mehr Resilienz» oder «Die Schlüsselrolle der Atmung» diverse Möglichkeiten zur Gesundheitsförderung aufgezeigt. Die interaktiven Übungen und Methoden, die vorgestellt wurden, gaben den Teilnehmenden die Möglichkeit, gezielt Strategien zu erarbeiten, wie sie die Gesundheit und Resilienz in ihrem beruflichen Umfeld stärken können.
Mehr auf die Start- statt nur auf die Ziellinie achten
Martin Inderbitzin referierte darüber, wie die individuelle Resilienz gestärkt werden kann. (Bild: Daniel Thüler)
Während am Morgen vorallem die organisatorische Resilienz im Zentrum stand, war es am Nachmittag die individuelle. Martin Inderbitzin, Gründer und Geschäftsführer der MARBITZ GmbH, teilte in seiner Keynote bewegende Einsichten über seinen persönlichen Kampf gegen den Krebs und darüber, wie er mentale Resilienz entwickelte, um die Herausforderungen seiner Krankheit zu bewältigen.
Als er im Alter von 32 Jahren die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs erhielt, wurde ihm gesagt, dass er statistisch gesehen noch drei Jahre zu leben habe. «Das war ein riesiger Schock», erinnerte sich Inderbitzin. «Es zieht einem den Boden unter den Füssen weg.»
Inderbitzin erklärte, dass die Umstellung seines Fokus von den Überlebensraten auf die Möglichkeiten, die das Leben trotz der Diagnose bot, ihm geholfen habe, mental stärker zu werden. «Ich fand heraus, dass ich meinen Fokus ändern und statt auf die Todesrate auf die Lebensrate schauen muss», sagte er und betonte, dass diese Perspektivenänderung ihm die Kraft gab, weiterzumachen. Eine der mutigsten Entscheidungen traf er, als er sich während seiner ersten Chemotherapie für einen Triathlon anmeldete – eine Entscheidung, die symbolisch für seinen Willen stand, die Kontrolle über sein Leben zu behalten: «Dieses Training war das wichtigste meines Lebens.»
«Gefühle sind nicht gut oder schlecht – sie sind angenehm oder unangenehm, und wir können vor allem von den unangenehmen lernen.»
– Martin Inderbitzin, Gründer und Geschäftsführer der MARBITZ GmbH
Inderbitzin betonte, dass emotionale Resilienz vor allem bedeute, sich den Herausforderungen zu stellen, anstatt vor ihnen davonzulaufen. «Sich helfen zu lassen verlangt jedoch viel Mut», erklärte er und fügte hinzu, dass es eine grosse Stärke sei, offen über psychische Herausforderungen zu sprechen und Hilfe anzunehmen, wenn sie gebraucht wird. Er sprach auch über die Wichtigkeit, unangenehme Gefühle zu akzeptieren und zu nutzen, um aus ihnen zu lernen: «Gefühle sind nicht gut oder schlecht – sie sind angenehm oder unangenehm, und wir können vor allem von den unangenehmen lernen.»
Inderbitzin führte das Publikum durch eine Übung, die auf die Verbindung zwischen Mindset und Verhalten abzielte, und zeigte auf, wie eine Änderung des Fokus zu einem anderen emotionalen und physischen Zustand führen kann. Er forderte die Teilnehmenden auf, sich mehr auf die Startlinie zu konzentrieren, anstatt nur auf die Ziellinie: «So kann man sich besser gegenseitig unterstützen, wenn man grosse Herausforderungen angeht.»
«Die wahre Stärke liegt darin, auch an schlechten Tagen top zu sein»
Die ehemalige Skirennfahrerin und Olympiasiegerin Dominique Gisin beschrieb an der BGM-Tagung, wie sie es trotz langer Verletzungsgeschichte bis ganz nach oben schaffte. (Bild: Daniel Thüler)
Den Abschluss BGM-Tagung bestritten die ehemalige Skirennfahrerin Dominique Gisin und der Sportpsychologe Christian Marcolli. Sie gaben in ihrer Keynote bewegende Einblicke in ihren gemeinsamen Weg, der von Gisins Olympiasieg gekrönt wurde.
Gisin begann ihren Vortrag mit einer Rückschau auf ihre sportliche Karriere, die schon sehr früh von vielen Verletzungen und Rückschlägen geprägt war. Sie schilderte eindrücklich, wie sie trotz mehrerer Knieoperationen und schmerzhafter Rückschläge immer wieder aufgestanden ist: Besonders betonte sie die Bedeutung von mentaler Stärke und Durchhaltevermögen, um sich nach schweren Verletzungen wieder zurückzukämpfen.
«Ich sagte damals: Wenn es keine Literatur über meine Verletzung gibt, dann schreiben wir unsere eigene», sagte sie und erzählte von der akribischen Aufzeichnung ihres Trainingsprozesses, um die Kontrolle über ihren Heilungsverlauf zu behalten. Es lohnte sich – 2014 gewann sie Gold bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi: «An diesem Tag hat einfach alles zusammengepasst. Mein Körper hat in jedem Bruchteil einer Sekunde genau das ausgeführt, wofür ich jahrelang trainiert habe.»
Marcolli, der Gisin auf ihrem Weg begleitete, stellte die psychologischen Methoden vor, die zur Entwicklung ihrer mentalen Stärke beitrugen. Er betonte die Bedeutung von Intelligenz, mentaler Vorbereitung und emotionaler Stärke: «Dominique ist blitzgescheit, und ich habe ihr gesagt: An einem guten Tag kannst du mit den Besten der Welt mithalten, aber die wahre Stärke liegt darin, auch an schlechten Tagen top zu sein.» Marcolli arbeitete mit Gisin daran, ihre Ängste zu überwinden und die emotionale Belastung des Spitzensports besser zu verarbeiten. «Es geht unter anderem darum, sich systematisch mit den eigenen Ängsten auseinanderzusetzen und so Stresssituationen zu entschärfen.»
Gisin fügte an, dass es diese mentale Stärke war, die ihr half, trotz aller Widrigkeiten erfolgreich zu sein. «Es war ein extrem schmaler Grat, zwischen Belastung und Erholung zu balancieren, aber ich hatte ein geniales Team, das mich auf diesem Weg begleitet hat», erklärte sie. Es sei sehr wichtig für sie gewesen, das perfekte Rennen zu finden: «Diese Stille, dieser Fluss, wenn alles passt – das ist das schönste Gefühl, das es gibt – ähnlich wie fliegen.»
Eines der Cartoons, die der Zeichner Carlo Schneider anhand der Keynotes erstellte. (Bild: Daniel Thüler)