HR Festival 2023: Interview mit Dr. Michelle King

«Wir müssen Unterschiede wertschätzen»

Ein idealer Arbeitnehmer ist an den meisten Arbeitsplätzen jemand, der sich dominant und wettbewerbsorientiert verhält. Je mehr ein Mensch von diesem Standard abweicht, desto schwieriger ist es für ihn, sich bei der Arbeit zu entwickeln, meint Dr. Michelle King, Keynote-Speaker am HR FESTIVAL europe.

Sie sind Firmengründerin, Autorin, ­Podcasterin, TEDX-Sprecherin und Senior Advisor bei der UN Foundation. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut?

Dr. Michelle King: Ich kämpfe mit dieser Frage. Diese würde man einem Mann niemals stellen. Wir fragen Frauen das, weil wir glauben, dass nur sie mit der Vereinbarkeit verschiedener Verpflichtungen zu kämpfen haben. Wo sind Ihre Prioritäten? Ich habe vier. Im Herzen bin ich eine Forscherin. Derzeit beschäftige ich mich mit dem Scheitern in Organisationen und damit, wie Einzelpersonen mit dem Scheitern umgehen. Ich bin auch Autorin. Mein zweites Buch, «How Work Works», erscheint am 10. Oktober 2023 im Harper Collins Verlag. Darüber hinaus besitze ich mein eigenes Unternehmen und bin Senior Advisor der UN Foundation.

Vielfalt und Inklusion sind Ihnen wichtig. Warum?

Jeder möchte sich bei der Arbeit einbezogen fühlen. Wir wollen wir selbst sein und uns dafür wertgeschätzt fühlen. Sich verbunden und einbezogen zu fühlen, ist grundlegend für das Menschsein. Oft betrachten Unternehmen Vielfalt und Inklusion aber getrennt von der Unternehmensführung. Inklusion ist jedoch das Herzstück der Geschäftswelt, weil wir dadurch lernen, zusammenzuarbeiten, Probleme zu lösen und innovativ zu sein. Inklusion ist deshalb grundlegend für den Erfolg eines jeden Unternehmens.

Dr. Michelle King

Dr. Michelle King ist eine weltweit führende Expertin für Organisationskultur und Gleichstellung am Arbeitsplatz. Sie ist Autorin von «The Fix» und CEO von The Culture Practice, Leiterin der UN Women’s Global Innovation Coalition for Change und verfügt über langjährige internationale Erfahrung in der Privatwirtschaft.

Welche Rolle spielt die Unternehmenskultur?

Gerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion sind Ergebnisse von Arbeitsplatzkulturen, die Unterschiede wertschätzen. Wir alle müssen dafür Fähigkeiten entwickeln. Jüngste Untersuchungen haben beispielsweise gezeigt, dass Arbeitsplätze demografisch zwar vielfältiger, aber weniger integrativ geworden sind. Das, weil Mitarbeitende nicht wissen, wie man Inklusion im Alltag praktiziert. Die blosse Erhöhung der Diversität stellt deshalb nicht sicher, dass Mitarbeitende Unterschiede wertschätzen.

Ein Beispiel?

Sie können in einer Organisation arbeiten, die vielfältig, aber nicht inklusiv, oder inklusiv, aber nicht vielfältig ist. Sie sagen, wir müssen die Arbeitskulturen verbessern, um Vielfalt und Inklusion zu erreichen.

Bedeutet das, dass sie in ­irgendeiner Weise «dysfunktional» sind?

Der Meritokratie-Mythos ist etwas, an das viele Menschen glauben. Es ist die Überzeugung, dass Arbeitsplätze für alle gleich funktionieren. Wenn du hart arbeitest, wirst du befördert. Aber der Erfolg diskriminiert. Arbeitsplätze waren nie auf Unterschiede ausgelegt. Unternehmen schätzen nur jene Mitarbeitenden, die zum idealen Mitarbeiterimage passen.

Wie sollten Unternehmen mit Abweichungen umgehen?

Wir müssen das ideale Arbeitnehmerbild abbauen. Ich hoffe, dass alle Unternehmen damit anfangen und den Menschen die Freiheit geben, sich selbst zu sein. Was ich damit meine, ist die Freiheit, sich je nach Situation anders zu verhalten. Es mag Zeiten geben, in denen sich Führungskräfte durchsetzen müssen, aber es gibt auch Zeiten, in denen sie demokratisch und fürsorglich sein müssen. Das Problem ist, dass wir nicht alle Verhaltensweisen auf die gleiche Weise bewerten.

Wie können wir das ändern?

Der Ausgangspunkt für Veränderungen ist die Erkenntnis, dass Ungleichheit existiert. Deren Leugnung ist das grösste Hindernis bei der Entwicklung von Diversity and Inclusion. Führungskräfte leugnen Ungleichheit oft, weil sie persönlich keine erlebt haben. Folglich glauben sie, dass diese zwar existiert, nicht aber in ihrer Organisation. Um ein Problem zu beheben, müssen wir zunächst sehen. Das beginnt mit der Erkenntnis, dass Hürden bestehen, die sich für jeden Einzelnen unterscheiden. So beginnen wir, das Bewusstsein dafür zu schärfen.

Ist das realistisch?

Sicher! Wir müssen aber verstehen, dass die Wertschätzung von Unterschieden eine Übung ist – etwas, das wir jeden Tag tun müssen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Öl- und Gasindustrie. Organisationen in dieser Branche haben Sicherheit zu einer grundlegenden Arbeitsweise gemacht. Ohne sichere Praktiken am Arbeitsplatz verlieren diese Unternehmen ihre Betriebserlaubnis. Kommt es zu einem Vorfall, stellen alle sofort ihre Arbeit ein, führen eine Bestandsaufnahme durch und ändern ihr Verhalten. Wir müssen Diversity and Inclusion auf die gleiche Weise angehen. Als eine Praxis und grundlegende Arbeitsweise und nicht als einmalige Initiative.

HR FESTIVAL europe 2023

Keynote «How inequality works and what you can do to fix it»
mit Dr. Michelle King

28. März 2023, 9 bis 10 Uhr
Main Stage, Halle 6

Diese Keynote wird auf Englisch gehalten und simultan auf Deutsch und Französisch übersetzt.

Kostenlose Tickets erhältlich auf hrfestival.ch

Kommentieren 0 Kommentare HR Cosmos

Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

Weitere Artikel von Corinne Päper