Als Recruiter überleben
Stellen ausschreiben, Gespräche führen, Bewerbern zu- oder absagen. Im Recruiting ein sich endlos wiederholender Prozess. Langweilig? Monoton? Mitnichten, meinen die drei Recruiting-Profis, die wir zu Freud und Leid ihres Jobs befragt haben.
Erfahrene Recruiter: Markus Theiler, Jessica Naccarato, René Paparusso (von links).
Jeden Tag von neuem dasselbe immer wieder und wieder zu durchleben, das kennt nicht nur der Protagonist des Films «Und täglich grüsst das Murmeltier». Auch Recruiter sind davon betroffen: Wer kein echtes Interesse an seinen Mitmenschen hat und seine Recruiting-Gespräche seelenlos abspult, entkommt der Endlosschlaufe des immer Gleichen nicht und empfindet seine Arbeit als Routine. Für den Held des Films ändert sich die Situation erst, als er beginnt, seinem Gegenüber echte Anteilnahme zu zeigen.
Dabei gibt es durchaus Parallelen zum Recruiting-Alltag: Recruiter, die sich auf jede Begegnung und damit auf jede einzelne Lebensgeschichte freuen und sie auch nutzen, um sich persönlich weiterzuentwickeln, langweilen sich nicht. Darin einig sind sich jedenfalls Jessica Naccarato, langjährige Personalberaterin bei Manpower, Markus Theiler, Geschäftsführer der Jörg Lienert AG, sowie René Paparusso, der bis Ende Juli als Recruiter beim Schmuckkonzern Swarovski tätig war.
Bei durchschnittlich fünfzehn offenen Stellen pro Jahr erhielt Paparusso pro Stellenausschreibung zwischen 100 bis 120 Bewerbungen, führte wöchentlich etwa zwanzig Telefoninterviews sowie vier bis zehn Bewerbungsgespräche. Nicht weniger eng getaktet ist der Arbeitsplan von Jessica Naccarato: Sie setzt sich pro Woche persönlich mit vier bis sechs Bewerbern auseinander und sichtet täglich fünfzehn bis zwanzig Bewerbungen. Vollgepackt ist auch die Recruiting-Agenda von Markus Theiler: «Normalerweise führe ich zwar nicht Buch über die Anzahl meiner Gespräche mit Kandidaten, in Vorbereitung auf diesen Beitrag im HR Today habe ich aber mal mitgezählt.» So führte er in den letzten siebzehn Tagen 58 Interviews. Also drei bis vier pro Tag.
Qual der Kanalwahl
Fragt man Swarovski-Recruiter René Paparusso nach seinen Präferenzen bei den Rekrutierungskanälen, kommt seine Leidenschaft für Social Media zum Ausdruck: «Siebzig Prozent aller offenen Stellen besetzte ich über meine persönliche und geschäftliche Timeline bei Linkedin, Xing und Twitter.» Zählt diese bei Linkedin 65 000 Swarovski-Career-Gruppenfollower und 6500 persönliche Kontakte, sind es bei Xing 4500 und bei Twitter sogar 14 000 persönliche Follower. Dass Paparusso einen deutlichen Schwerpunkt auf Social-Media-Rekrutierungskanäle legt, wird klar, wenn er die gesuchten Profile skizziert: «Swarovski besetzt vier von zehn Stellen mit ausländischen Fachkräften, die nach ihrem Universitätsabschluss drei bis sechs Jahre an Arbeitserfahrung mitbringen und durchschnittlich 36 Jahre alt sind.» Eine Generation von Mitarbeitenden also, die mit Internet & Co aufgewachsen ist.
Auch Manpower setzt auf Online-Kanäle: «Wir rekrutieren über die gängigen Jobportale wie Jobs, Jobwinner und Jobscout», erklärt Manpower-Personalberaterin Jessica Naccarato. «Hauptsächlich im kaufmännischen Bereich, wo ich vom Lehrabgänger bis zum mittleren Kader Menschen betreue, die eine Temporär- oder eine Festanstellung suchen.» Dies im Unterschied zur Jörg Lienert AG, wo der Hauptfokus auf der Rekrutierung von Fach- und Führungskräften liegt, die schon einen längeren Karriereweg hinter sich haben. «Wir bauen momentan unsere eigenen Social-Media-Kanäle auf und sind neben den bekannten Online-Portalen noch stark in den Printmedien präsent», erklärt Markus Theiler. Passende Kandidaten findet er nicht nur über die genannten Kanäle, sondern auch über das schweizweit ausgebaute Beziehungsnetz und den Bewerberpool, der seit der Gründung der Jörg Lienert AG im Jahr 1983 ständig aktualisiert und erweitert wird.
Von Freud …
Zu den Highlights seines Jobs zählt René Paparusso jene Momente, «wenn sich Bewerbende auch nach Absagen bei mir bedanken». Eine Erfahrung, die auch Markus Theiler schon gemacht hat. Zu seinen Berufsfreuden gehören zudem jene Kandidaten, «die nach erfolgreicher Vermittlung weiterhin mit uns in Verbindung bleiben». Das gelinge, wenn man ein Vertrauensverhältnis zum Kandidaten aufbaue, mit offenen Karten spiele und ein Ambiente schaffe, in dem sich dieser «wie in einem guten Hotel wohlfühlt», ergänzt Paparusso. Ein nicht immer ganz uneigennütziges Vorgehen: Schliesslich ist jeder Bewerbende gleichzeitig auch ein potenzieller Swarovski-Kunde. «Das behalte ich immer im Kopf.» Vertrauen schaffen und ein Umfeld, wo Kandidaten sich wohl fühlen, ist auch für Jessica Naccarato zentral, die seit über fünf Jahren bei Manpower als Personalberaterin arbeitet. «Mich interessiert der Mensch, der mir gegenüber sitzt. Das merken die Bewerber und geben im Bewerbungsgespräch oft sehr viel Persönliches preis.» Finden sich schliesslich die Richtigen, ist das für die junge «Matchmakerin» immer ein besonderes Erlebnis, speziell dann, «wenn die Kandidaten zuvor längere Zeit auf der Stellensuche waren».
… und Leid
Frustrierend empfindet Naccarato ihren Job nur, «wenn Bewerber nicht erscheinen oder im Gespräch Tatsachen verschleiern und ich merke, dass gewisse Aussagen nicht mit dem Lebenslauf übereinstimmen». Für Markus Theiler ist fehlende Wertschätzung ein Ärgernis: «Wir leben eine gepflegte Gastgeberkultur und wir ärgern uns, wenn diese Wertschätzung umgekehrt gegenüber unseren Ansprechpersonen nicht zu spüren ist.» Derweil überbeansprucht das Social-Media-Bombardement manchmal René Paparussos Nervenkostüm: «Manche Kandidaten teilen mir über alle möglichen Wege mit, dass sie sich soeben beworben hätten und fragen nach, ob ich ihre Bewerbung erhalten hätte.» Ihm sei bewusst, dass sie auf Stellensuche seien und sich ihm deshalb auf allen Kanälen in Erinnerung rufen wollen, «das führt aber zu einem Mehraufwand, der nicht nötig ist».
Vertrauen aufzubauen, um dann in vielen Fällen doch eine Absage erteilen zu müssen, gehört zum harten Brot eines jeden Recruiters: «Für eine offene Stelle können wir nun mal nur einen Kandidaten vermitteln. Bei über 200 Bewerbungen sind dann 199 enttäuscht – das empfinde ich als negativ», sagt etwa Markus Theiler. Positiv hingegen sei, dass die meisten Kandidaten im Bewerberpool blieben. Die emotionale Nähe zum Kandidaten ist auch für René Paparusso ein Thema: «Recruiting ist ein 24-Stunden-Job und manchmal verwischt das Private und Geschäftliche.» Das gelte speziell im Umgang mit den Social Media. «Als Recruiter ist man gefühlsmässig involviert, das kann manchmal auch ermüdend sein.»
Langeweile gibt es nicht
«Ich habe noch nie ein langweiliges Gespräch geführt», sagt René Paparusso im Brustton der Überzeugung. Das hänge aber auch stark vom eigenen Verhalten ab: «Introvertierten Kandidaten stelle ich beispielsweise mehr offene Fragen, um sie aus der Reserve zu locken und bei extrovertierten Kandidaten steuere ich das Gespräch so, dass es nicht ausufert.» Ob exzentrisch oder scheu, auch Markus Theiler erlebt den Umgang mit unterschiedlichsten Menschen als belebend: «Spannend wird es für mich, wenn sich ein zurückhaltender Kandidat öffnet und ein echter Dialog entsteht.» Im Gegensatz dazu langweilt er sich, wenn er «jemandem jede Antwort aus der Nase ziehen und nach konkreten Beispielen fragen muss oder wenn sich jemand in theoretische Worthülsen flüchtet». Für Jessica Naccarato sind es ebenfalls die Geschichten der Kandidaten, welche diese Begegnungen für sie so wertvoll machen: Geschichten von Erfolgen und Niederlagen oder vom Umgang mit stressigen Situationen. René Paparusso findet solche Erzählungen sogar «packender als jeden Krimi».