Anspruchsvoller, als man denkt
Die Reinigungsbranche in Pandemie-Zeiten: Wie sie Fachkräfte rekrutiert, hält und deren Verlässlichkeit überprüft – und was sie für das Image tut. Stimmen aus der Branche.
Putzkräfte finden ist schwieriger als gedacht. (Bild: iStock)
«Einige Firmen hatten während der Pandemie überhaupt keine Einnahmen, während andere mit Reinigungs- und Desinfektionsnachfragen überhäuft wurden und 2020 ein sehr gutes Geschäftsjahr verzeichneten», skizziert Geschäftsführerin Karin Funk vom Verband Schweizer Reinigungs-Unternehmen Allpura die aktuelle Situation ihrer Mitglieder. Das liege an der heterogenen Branche und der jeweiligen Schwerpunkttätigkeit. «Firmen im Gastro-, Freizeit- und Retailbereich haben es momentan besonders schwer», weiss Funk. Die Pandemie fordere die Branche, bringe aber auch Positives: «Das Bewusstsein für Sauberkeit, Hygiene und fachgerechte, professionelle Reinigung hat zugenommen.» Die Reinigung avanciere somit in zahlreichen Firmen von einer Neben- zur Chefsache. Dabei würden sich auch neue Fragen stellen. Beispielsweise: «Wird Homeoffice zur Normalität und welchen Einfluss hat das auf die zu reinigenden Büroflächen? Wird die Nachfrage nach Reinigungsangeboten in Privathaushalten deshalb steigen?» So oder so nehme die Arbeit nicht ab. «Künftig werden noch mehr Fachkräfte benötigt», sagt Funk. «Eine Achillesferse in unserer Branche.» Nur wenige junge Leute würden eine Ausbildung zum Gebäudereiniger oder zur Gebäudereinigerin absolvieren, obwohl sie mit diesem Berufsabschluss ordentlich verdienen und Karrierechancen sowie einen sicheren Arbeitsplatz hätten.
Strenge Selektion
Zwei Betriebe im Privathaushalt-Bereich, die weder über einen Umsatzrückgang noch über Rekrutierungsschwierigkeiten klagen können, sind der Mamiexpress in Zürich und die Putzfrauenagentur in Pfäffikon. Beide rekrutieren Mitarbeitende über Stelleninserate, Online-Portale, Social Media und ihre Firmenwebsite. Bei Mamiexpress nutzt HR-Verantwortliche Inma Cico zudem Mund-zu-Mund-Propaganda: «Fast 40 Prozent aller Kandidatinnen bewerben sich aufgrund persönlicher Empfehlungen unserer Mitarbeiterinnen.» Das erleichtere das Anwerben, da potenzielle «Mamis» (Mitarbeiterinnen) bereits im Vorfeld erfahren, wie sich die Arbeitsprozesse und -abläufe gestalten und welche «Hausregeln» gelten. «Insbesondere Mitarbeitende mit mangelnden Deutschkenntnissen können wir so schneller und besser einarbeiten», erklärt Cico. Für Karin Funks Verbandsmitglieder besteht seit Anfang Jahr eine zusätzliche Recruiting-Herausforderung: die Stellenmeldepflicht, der Unternehmen in der Gebäudereinigung im Gegensatz zu Unternehmen mit Reinigungskräften in Privathaushalten unterstellt sind. Gemäss Funk führe das zu einem enormen administrativen Mehraufwand wie auch zu hohen Kosten.
Kunden erwarten, dass die Reinigung tadellos klappt. Deshalb prüfen beide Unternehmen bereits während des Rekrutierungsverfahrens, ob sie auf ihre Kandidaten zählen können. «Dazu laden wir Bewerbende zu einer Probereinigung ein und beschaffen uns Referenz-, Betreibungs- und Strafregisterauskünfte», sagt Adrian Gsell, Geschäftsführer der Putzfrauenagentur AG. Ähnlich läuft es bei Inma Cico: «Wir selektionieren streng, sodass nur ein Teil der Bewerberinnen unsere Einschulungen besteht.» Dazu gehörten Wissenstests, ein Strafregisterauszug und Referenzen sowie ein Assessmentverfahren. «In der Probezeit führen wir zusätzlich Kontrollen durch, bevor wir Mitarbeitende an Kundenhaushalte vermitteln.» Die wichtigste Bewertungsstelle für die Verlässlichkeit ihrer Mitarbeiterinnen sei aber der Kunde: «Er kann die ‹Mamis› am besten bewerten. Gibt es kritische Bemerkungen und sind diese berechtigt, kann die ‹Mami› für künftige Vermittlungen gesperrt werden.»
Sprache und Kultur
Der sprachliche und kulturelle Hintergrund ihrer Mitarbeitenden sind für Cico grosse Herausforderungen. «Viele haben einen Migrationshintergrund.» Um die Sprachkompetenz der Mitarbeitenden zu fördern, tut Cico einiges: «Wir bieten Gratis-Deutschkurse an und schulen unsere Mitarbeiterinnen, um Missverständnisse zu vermeiden, die durch unterschiedliche kulturelle Verhaltensweisen und Erwartungen entstehen.» Ein Beispiel? «In manchen afrikanischen Ländern ist es respektlos, jemandem in die Augen zu schauen.» Deshalb mieden von dort stammende Mitarbeitende häufig den direkten Augenkontakt. «In der Schweiz ist das aber wichtig, weil es die Vertrauenswürdigkeit einer Person erhöht.»
Nebst mangelnden Sprachkenntnissen und Verständigungsschwierigkeiten wird der Reinigungsbranche auch eine hohe Fluktuationsrate nachgesagt. Gemäss Funk trifft diese Aussage nicht in allen Bereichen gleichermassen zu: «Die Gebäudereinigungsbranche hat sehr viele langjährige Mitarbeitende, vor allem in der Spezialreinigung oder in Team- oder Objektleitungsfunktionen.» Cico vom Mamiexpress kann sich ebenfalls nicht über eine hohe Fluktuation beklagen: «Momentan stellen wir monatlich fünf bis fünfzehn neue Mitarbeiterinnen ein und erhalten ein bis zwei Kündigungen.» Die Ursachen für die Abgänge kennt sie ziemlich genau: 67 Prozent der austretenden Mitarbeitenden wandern aus, werden pensioniert oder erkranken. 12 Prozent kündigen ihre Stelle aufgrund ihrer familiären Verhältnisse. «Bei den verbleibenden 21 Prozent kennen wir den Austrittsgrund nicht oder die Frauen treten eine neue Stelle an.»
Mit Bildung gegen Fluktuation
Damit die Fluktuation in ihren Betrieben auch ohne Pandemie tief bleibt, ermöglichen Cico und Gsell Mitarbeitenden Weiterbildungen, beispielsweise Vertiefungsworkshops zu Hygienereinigung und Einzelcoachings. Aus- und Weiterbildung ist auch bei Allpura ein zentrales Anliegen – von der Lehre zum Gebäudereiniger bis zur Höheren Fachprüfung in der Gebäudereinigung. Daneben bietet der Verband kostenlose Deutschkurse, Kurse in Arbeitssicherheit und Reinigungsmethoden sowie den GAV-Lehrgang Reinigung. Letzterer vermittelt in 80 Lektionen Reinigungsgrundkenntnisse sowie Fachwissen in den Vertiefungsrichtungen Spezialreinigung, Fahrzeugreinigung und Unterhaltsreinigung.
Die Putzfrauenagentur wie auch Mamiexpress zahlen höhere Löhne, als im GAV festgehalten sind. «Wir zahlen überdurchschnittliche Gehälter und stellen unsere Mitarbeiterinnen fest an. Sie profitieren zudem von Versicherungs- und BVG-Leistungen», sagt Inma Cico. Keine Selbstverständlichkeit in einer Branche, die immer wieder wegen Lohndumpings in Kritik gerät. Das weiss auch Karin Funk vom Branchenverband Allpura, der sich seit Jahrzehnten für faire Löhne und Arbeitsbedingungen in der Reinigungsbranche engagiert. Seit 2004 existiere ein allgemeinverbindlicher GAV, der nebst Mindestlöhnen weitere Regelungen enthalte: Etwa zum 13. Monatslohn, zu Feiertagsentschädigungen und zum 16-wöchigen Mutterschaftsurlaub. Trotz GAV bestehe innerhalb der Reinigungsbranche eine Lohnschere, da sich die Lohnhöhen je nach Reinigungsbereich unterschieden und in Privathaushalten meist höher ausfallen, erklärt Funk. Bei unerklärbaren Lohndifferenzen drohen Konsequenzen: «Wir ziehen schwarze Schafe zur Rechenschaft, wenn wir bei Lohnbuchkontrollen auf Unregelmässigkeiten stossen.» Bei schweizweit über 5000 Reinigungsunternehmen ist das nicht auszuschliessen. Würden unfaire Löhne bezahlt, ist gemäss Funk nicht nur das Reinigungsunternehmen verantwortlich. Auch der Kunde trage einen Teil dazu bei. Doch wie dies umgehen? «Kunden sollten sich überlegen, ob Unternehmen Mitarbeitenden einen Minimallohn von 19.20 pro Stunde plus 13. Monatslohn und Sozialleistungen bezahlen können, wenn sie ihre Dienstleistungen für 30 Franken pro Stunde anbieten.»
Image verbessern
Allpura setzt sich nicht nur für bessere Löhne ein, sondern versucht mit gezielter Öffentlichkeitsarbeit auch das Image der Branche zu verbessern. «Zurzeit läuft die Berufsbildungskampagne #jointhecleanteam auf Facebook und Instagram. Darin berichten die vier angehenden Gebäudereiniger Yasmine, Verena, Leo und Dominik aus ihrem Arbeitsleben.» Bei der Zusammenarbeit mit dem Comedian Hamza Raya profitierte die Branche zusätzlich von dessen Reichweite und Community. «Imagekampagnen sind jedoch nicht ausreichend, um Fachkräfte zu finden und langfristig zu binden», sagt Funk. Es brauche neue Lösungsansätze. «Insbesondere um Mitarbeitenden, die nur wenige Stunden arbeiten, grössere Arbeitspensen anzubieten.» Der Schlüssel sei Day Cleaning. «In skandinavischen Ländern ist das Reinigungspersonal auch tagsüber in Büros, Läden oder Fabriken präsent, um seiner Arbeit nachzugehen.» In der Schweiz hätten Kunden indes nach wie vor Bedenken, ihre Mitarbeitenden dadurch zu stören. Dabei verschaffe Day Cleaning den Reinigungskräften nicht nur höhere Arbeitspensen, sondern erhöhe auch ihr gesellschaftliches Ansehen.
Allpura
Allpura vertritt rund 70 Prozent aller Beschäftigten in der Reinigungsbranche in der Deutschschweiz. Einer Branche, der rund 2500 Unternehmen angehören, die über 65’000 Mitarbeitende beschäftigt und einen geschätzten Umsatz von 2 Milliarden Franken erwirtschaftet. Allpura pflegt eine enge Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern, setzt sich für gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen ein, führt Aus- und Weiterbildungen für seine Mitglieder durch und engagiert sich in der Öffentlichkeitsarbeit und Imagepflege.