Mitarbeitende tauschen statt entlassen
Über Nacht hat die Covid-19-Pandemie viele Geschäftsmodelle grundlegend verändert. Während die Gastronomie Kurzarbeit beantragte, stiess der Onlinehandel durch fehlende Fachkräfte an seine Grenzen. Doch was liegt näher als ein Arbeitnehmertausch, um Entlassungen zu verhindern und Auftragsspitzen auszugleichen? Wir haben verschiedene Firmen dazu befragt.
Tauschen statt entlassen. (Bild: iStock)
Der Appell des Onlinehändlers Digitec Galaxus an Arbeitgebende, ihm Kundendienstmitarbeitende in Kurzarbeit zu überlassen, stiess innert kurzer Zeit auf positives Echo. Beispielsweise beim Reiseanbieter Hotelplan Suisse, dessen Mitarbeitende von verkürzten Arbeitszeiten betroffen sind. «Nachdem wir diesen Aufruf gesehen haben, fragten wir Digitec Galaxus, ob ein Teil unserer Mitarbeitenden vorübergehend bei ihnen arbeiten könnte», sagt Sebastian Kickmaier, Director Touroperating Travelhouse und Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung. «Da Hotelplan Suisse und Digitec Galaxus beide zum Migros-Konzern gehören, war eine Kooperation naheliegend.» Rund 40 Mitarbeitende fanden von Anfang Oktober bis Ende Dezember 2020 während der Weihnachts-Hochsaison bei Digitec vorübergehend eine neue Arbeit und damit einen Zwischenverdienst. «Einige haben diesen sogar bis voraussichtlich Ende März verlängert», sagt Kickmaier.
Auch bei Swiss ist Kurzarbeit angesagt. Etwa beim Kabinenpersonal der Fluggesellschaft. Eine Wende zum Besseren zeigte sich im Herbst 2020, als die Kabinengewerkschaft kapers eine Anfrage des Medizinalunternehmens JDMT erhielt, das für den Kanton Zürich ein Contract Tracing Center aufbaute und dafür qualifiziertes Personal benötigte. «Überdurchschnittlich flexibel, zuverlässig und empathisch» sollten die Gesuchten sein, die sich innert kürzester Zeit in neuen Situationen zurechtfinden, rasch einarbeiten und trotz eines stark wachsenden Teams in der Lage sein mussten, ihre Tätigkeit auszuführen. «Qualitäten, die zum Berufsalltag unseres Kabinenpersonals gehören», sagt Sinan Barmettler, der bei Swiss für Gewerkschaftsbeziehungen Verantwortliche. Rund 27 Personen wurden so vermittelt und arbeiteten von Ende November 2020 bis März 2021 bei JDMT. Die Swiss-Mitarbeitenden nahmen dafür unbezahlten Urlaub und unterzeichneten bei JDMT einen separaten, befristeten Arbeitsvertrag, der sich je nach Situation verlängern lässt.
Katastrophenerprobt
Etwas länger zurück liegt der Mitarbeitertausch bei Victorinox, als 2001 nach 9/11 das Geschäft mit Schweizer Taschenmessern zum Erliegen kam. «Die Sicherheitsmassnahmen an Flughäfen wurden weltweit enorm verschärft. Unsere wichtigsten Verkaufskanäle kollabierten damit praktisch von einem Tag auf den anderen», erinnert sich Robert Heinzer, Chief Human Resources Officer bei Victorinox. Mitarbeitende zu entlassen, kam für Victorinox jedoch nie in Frage. Stattdessen verlieh Heinzer sie an benachbarte Firmen, beispielsweise an den Elektrogerätehersteller Steinel in Einsiedeln oder an die Gewürzmühle in Cham. Um seine Beschäftigten zu halten, scheute Victorinox keinen Aufwand. «Wir versammelten unsere Mitarbeitenden jeden Tag um 6.45 Uhr vor Arbeitsbeginn auf dem Victorinox-Firmenparkplatz in Ibach und fuhren sie an ihre Arbeitsorte in Cham und Einsiedeln. Dort holten wir sie nach dem Arbeitsende wieder ab.» Für die Arbeitnehmenden änderte sich mit Ausnahme des Arbeitsortes nichts, sagt Heinzer. «Die Lohnzahlungen und die Sozialabzüge machte weiterhin Victorinox.» Die Zusammenarbeit mit den befreundeten Firmen dauerte zwei bis acht Monate.
Wenn Normalität einkehrt
Ein temporärer Mitarbeitertausch mag die Staatskasse zwar entlasten und den Mitarbeitenden ihr Einkommen sichern, doch was kommt danach? Bei Hotelplan Suisse hofft man, dass sich das Reisegeschäft ab Frühjahr 2021 erholt und die Kurzarbeit sich somit beim Reiseanbieter verringert. Bei Swiss ändert sich mit der Rückkehr der Mitarbeitenden indes nichts an der Situation der Beschäftigten: «Sie sind weiterhin bei Swiss beschäftigt, da sie ja nur unbezahlten Urlaub genommen haben.» Auch bei Victorinox kehrten alle Mitarbeitenden ins Unternehmen zurück. «Manche an ihre angestammten, andere an inzwischen neu geschaffene Arbeitsplätze wie in der Uhrenproduktion», sagt Heinzer. Heute gestalte sich die Situation etwas anders: «Mit der Pandemie haben auch wir grosse Umsatzeinbussen erlitten, insbesondere mit dem Reisegepäck und den Uhren», sagt Heinzer. «Deshalb war Kurzarbeit auch bei uns von April bis September 2020 unvermeidlich.»
Ihre Erfahrungen wollen die Mitarbeitenden der am Verleih beteiligten Firmen nicht missen, lassen die Verantwortlichen von Hotelplan, Swiss und Victorinox verlauten. Etwa jene, in neue Arbeitskulturen einzutauchen und andere Systeme, Abläufe und Gepflogenheiten kennen zu lernen. Eine Wiederholung schliessen Hotelplan und Victorinox nicht aus und Swiss plant mit einem «Engagement-Team» bereits weitere Einsätze – beispielsweise Kooperationen mit Spitälern, Pflegeeinrichtungen und seit kurzem auch mit der Kantonspolizei Zürich.
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