Auf der Suche nach Brückenbauern zwischen Wissenschaft und Praxis
Lässt sich die Distanz zwischen Forschenden und Praktikern im HRM überwinden, indem Medien, Institutionen, Anlässe oder Prozesse eine vermittelnde Rolle einnehmen? Diese Frage wird von einer Studierendengruppe im fünften und letzten Teil unserer Serie über das Forschungsprojekt an der Universität Zürich untersucht.
Ausgehend von der Tatsache, dass im HRM eine Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis besteht, thematisierte unsere Gruppe im explorativen Sinne mögliche Lösungen zur Überwindung dieser Kluft in Form von Brückenbauern. Mit dem Ziel, eine Begriffseinheit zu schaffen, leiteten wir in einem ersten Schritt ein Framework her, welches eine Kategorisierung potenzieller Brückenbauer ermöglicht. Anhand einer internetbasierten Meinungsumfrage bei Wissenschaftlern und Praktikern im Bereich des HRM untersuchten wir anschliessend, ob die in unserem zuvor entwickelten Framework enthaltenen Brückenbauer als solche wahrgenommen und genutzt werden und wie ihre Bedeutung zur Reduktion der Kluft eingeschätzt wird. Die Ergebnisse zeigen, dass die von uns vorgeschlagenen Brückenbauer in hohem Masse als solche erkannt, jedoch eher zurückhaltend eingesetzt werden. Aufgrund der Resultate kann deshalb von einem vorhandenen, aber unausgeschöpften Potenzial von Brückenbauern zur Überwindung der Kluft im HRM gesprochen werden.
Wie können mögliche Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Praxis identifiziert und charakterisiert werden?
Da das Bestehen einer Kluft zwischen Wissenschaft und Praxis im HRM gemeinhin als Tatsache anerkannt ist, erstaunt es umso mehr, dass in der wissenschaftlichen Literatur kaum Vorschläge zu deren Überwindung vorzufinden sind. An diesem Punkt setzt unsere Forschungsarbeit an: Wir machten uns auf die Suche nach so genannten Brückenbauern, welche eine intermediäre Rolle als Informations- und Wissensvermittler zwischen der Community of Science und der Community of Practice übernehmen können. Aufgrund der diesbezüglich bestehenden Lücke in der Literatur leiteten wir in einem ersten Schritt eine eigene Definition her, aufgrund derer im Anschluss mögliche Brückenbauer identifiziert, charakterisiert und anhand ihrer Funktionen in ein aufgrund unserer Überlegungen erarbeitetes Framework eingeteilt werden konnten.
Ziel war es, in diesem ersten Schritt einen einheitlichen Begriffsrahmen zu schaffen, der gleichzeitig auch als Grundlage für die weiterführenden Untersuchungen dienen konnte. Im Verlaufe der umfassenden Literaturrecherchen kristallisierten sich so zunehmend potenzielle Brückenbauer heraus, welche wir in einer aggregierten Struktur und einem funktionalen Ansatz folgend zusammenführten. Das somit erarbeitete Framework setzt sich aus den vier Kategorien Anlässe, Medien, Institutionen und Prozesse zusammen und enthält die in Abbildung 1 den jeweiligen Kategorien zugeordneten potenziellen Brückenbauer.
Empirische Untersuchung zu Nutzungshäufigkeit und Effizienz der potenziellen Brückenbauer
In einem zweiten Schritt validierten wir das hergeleitete Framework anhand einer subjektiven Meinungsumfrage bei dem HRM-Bereich nahestehenden Wissenschaftlern und Praktikern, indem wir die Vertreter der beiden Lager zur Wahrnehmung, zur Nutzungshäufigkeit und zur Effizienz der vorgeschlagenen Brückenbauer befragten. Zusätzlich wurden die Teilnehmer der Umfrage sowohl zur Grösse der subjektiv wahrgenommenen Differenz als auch zu den persönlich unternommenen Bemühungen zur Überwindung der subjektiv wahrgenommenen Kluft im HRM befragt. Abschliessend sollte damit eine umfassende Aussage zur Wahrnehmung der Kluft im HRM sowie zur Bedeutung potenzieller Brückenbauer in den beiden Lagern ermöglicht werden.
Die Stichprobe der Befragten teilte sich in Praktiker und Wissenschaftler. Als Vertreter der Praxis dienten Personalverantwortliche aus verschiedenen Firmen der deutschsprachigen Schweiz. Als Vertreter der Wissenschaft wurden Dozenten, Doktoranden und Assistenten von HRM-bezogenen Lehrstühlen deutschsprachiger Universitäten und der ETH definiert. Schlussendlich gingen 51 vollständig ausgefüllte Fragebogen der Praktiker sowie 31 vollständig ausgefüllte Fragebogen der Wissenschaftler, was einer Rücklaufquote von 20 Prozent bzw. 10 Prozent entspricht, in unsere statistischen Auswertungen ein.
Welche der potenziellen Brückenbauer sind für die Vermittlungsaufgabe geeignet?
Alle von den Autoren im Framework aufgeführten Brückenbauer wurden für die Funktion des Brückenbauens zwischen der Wissenschaft und der Praxis mindestens als durchschnittlich geeignet bezeichnet (Mittelwert [M] > 2.00, wobei die Skala vom Wert 1 [ungeeignet] bis zum Wert 3 [sehr geeignet] reichte). Einzige Ausnahme bildete der Brückenbauer Messen, welcher mit einem Mittelwert von M = 1.90 über die beiden Populationen (N [Anzahl der befragten Personen] = 79), als knapp nicht mehr geeignet angesehen werden kann. Die Unterschiede bezüglich der subjektiven Einschätzung der Eignung der in Tabelle 1 aufgeführten potenziellen Brückenbauer zwischen den beiden Lagern fielen bei den mit * bzw. ** markierten Brückenbauern signifikant aus, wobei die Wissenschaftler den subjektiven Nutzen der Brückenbauer – abgesehen von den Unternehmensberaterfirmen und den Fachhochschulen – jeweils signifikant höher einschätzten als die Praktiker.
Über die vier Brückenbauerkategorien gesehen fiel die subjektive Eignungseinschätzung nur noch für die Kategorie Anlässe signifikant aus. Die Wissenschaftler schätzten die Kategorie Anlässe als signifikant geeigneter ein, als dies die Praktiker taten. Die Mittelwerte der subjektiven Einschätzungen der Eignung der aufgezählten Brückenbauer können Tabelle 1 entnommen werden.
Identifizierung und Nutzung der verschiedenen Brückenbauer
Die Häufigkeitsangaben bezüglich des Erkennens der verschiedenen Brückenbauer als Brückenbauer und deren Nutzung können Abbildung 2 entnommen werden.
Messen und Workshops gehören folglich zu den bekanntesten und meist genutzten Arten von Brückenbauern. Dies ist vor allem in Bezug auf Messen erstaunlich, da diese doch als eher ungeeignete Brückenbauer eingeschätzt wurden. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Frage nach dem Erkennen der Brückenbauer als solche nicht richtig verstanden wurde. Da unserer Umfrage jedoch im Vorfeld mittels Pre-Tests auf deren Verständlichkeit hin überprüft wurde, muss es für diesen Sachverhalt eine Alternativerklärung geben, die mit der von uns untersuchten Fragestellung allerdings nicht erhoben wurde.
Als am wenigsten bekannte Brückenbauer für Wissenschaft und Praxis wurden Executives in Residence (17,1 Prozent), Public Private Partnerships (35,4 Prozent), Alumni-Vereinigungen (40,2 Prozent) sowie Wissenstransfer-Plattformen (45,1 Prozent) beurteilt. Daher ist es nicht erstaunlich, dass die am seltensten genutzten Brückenbauer Executives in Residence (1,2 Prozent), Public Private Partnerships (8,5 Prozent) und Professoren mit Praxis-mandaten (11,0 Prozent) sind.
Bedeutung der Brückenbauer für Wissenschaft und Praxis
Die Zugehörigkeit zu einem der beiden Lager hat weder auf die Grösse der wahrgenommenen Kluft im HRM noch auf deren Relevanz einen signifikanten Einfluss. Zwar stufte die Wissenschaft die Differenz zwischen der Wissenschaft und der Praxis im HRM sowohl etwas grösser als auch relevanter ein, dennoch bestehen keine signifikanten Unterschiede.
Jedoch stellte sich heraus, dass die Wissenschaftler ein signifikant grösseres Bedürfnis zur Zusammenarbeit mit Praktikern verspüren, als dies die Praktiker in Bezug auf die Wissenschaftler tun. Da sich die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse im HRM-Bereich nachweislich positiv auf den Unternehmenserfolg auswirkt, gingen wir davon aus, dass es aus ökonomischer Sichtweise zu erwarten wäre, dass die Praktiker häufiger als die Wissenschaftler Brückenbauer als Informations- und Wissenslieferanten einsetzen, um so an die Quellen wissenschaftlichen Wissens zu gelangen und gegenüber der Konkurrenz keinen Wettbewerbsnachteil zu erleiden. Die Ergebnisse zeigen aber das Gegenteil: Es sind die Wissenschaftler, die bedeutend häufiger von möglichen Brückenbauern Gebrauch machen. Diese Ergebnisse decken sich auch mit der Aussage von Scholz, denn ihm zu Folge sind Wissenschaftler darauf angewiesen, dass ihre Forschungsergebnisse einen Impact auf die Praxis haben, «ansonsten hat das Personalmanagement im Kanon der betriebswirtschaftlichen Forschungs- und Lehrfächer vermutlich nichts verloren».
Einen Impact ihrer Erkenntnisse auf die Praxis können Wissenschaftler u.a. dadurch generieren, dass sie die von ihnen untersuchten Fragestellungen aus die Praktiker interessierenden Problembereichen ableiten. Auch wenn unsere Untersuchung grundsätzlich eine positive Tendenz auf Seiten der Wissenschaftler aufzeigt, darf nicht übersehen werden, dass die Mittelwerte der Nutzung bei beiden Gruppen sehr niedrig sind (Mw = 1.34 und Mp = 1.03) , d.h. sowohl Wissenschaftler als auch Praktiker nutzen Brückenbauer selten.
Während wir bisher die Eignung bzw. Nutzungshäufigkeit von verschiedenen Brückenbauern für die beiden Lager getrennt betrachtet haben, möchten wir im folgenden Teil auf die verschiedenen Brückenbauer als solche eingehen.
Um die Frage klären zu können, welche Kategorien von Brückenbauern im wissenschaftlichen und betrieblichen Alltag am ehesten eingesetzt werden, wurden Häufigkeitsauswertungen durchgeführt. Diese ergaben, dass Brückenbauer im HRM, vor allem in Form von Anlässen (69,5%) genutzt werden. Am Zweithäufigsten wird von diesen in Form von Medien (43,9%), gefolgt von Institutionen (37,8%) und Prozessen (28,0%) Gebrauch gemacht. Den subjektiven Einschätzungen zur Nutzungshäufigkeit der vier Brückenbauerkategorien kann entnommen werden, dass sowohl Medien, Anlässe als auch Prozesse häufiger durch Wissenschaftler eingesetzt werden als durch Praktiker. Einzig die Brückenbauerkategorie Institutionen wird vermehrt von den Praktikern genutzt. Brückenbauer in Form von Anlässen scheinen somit für beide Lager eine hohe Bedeutung aufzuweisen und beinhalten daher das grösste Potenzial zur Überwindung der Kluft. Offensichtlich bevorzugen beide Lager Brückenbauer, die auch dem zwischenmenschlichen Aspekt genügend Aufmerksamkeit schenken.
Geeignete Brückenbauer gibt es, aber deren Potenzial ist oftmals noch unausgeschöpft
Als Fazit unseres Forschungsprojekts kann festgehalten werden, dass Brückenbauer ein mögliches Mittel zur Überwindung der Kluft darstellen, ihr Potenzial aber oftmals noch unausgeschöpft ist. Die viel beschriebene Kluft wird von Wissenschaftlern und Praktikern nur bedingt erkannt, was dazu beiträgt, dass Brückenbauer nicht genutzt werden, da sie nicht als nötig empfunden werden.
Zur Durchführung der Untersuchung stand ein relativ kurzer Zeitraum zur Verfügung, wodurch die Anzahl der befragten Wissenschaftler und Praktiker verhältnismässig gering ausfiel. Aufgrund der relativ kleinen Stichprobe ist keine Generalisierung möglich, anhand der Ergebnisse kann jedoch eine erste generelle Tendenz festgestellt werden.
Da sich unsere Untersuchung vor allem auf das Finden potenzieller Brückenbauer sowie deren Wahrnehmung und Nutzung in den beiden Lagern fokussierte, wäre es wichtig, in weiteren Studien die genauen Gründe zu eruieren, weshalb Brückenbauer – insbesondere bei den Personen, die einen Handlungsbedarf bzgl. der Diskrepanz erkennen – so selten eingesetzt werden. In unserer Untersuchung wurde zudem ansatzweise versucht, die Brückenbauerkategorien auf ihre möglichen – von uns unterstellten – Vorzüge (wie beispielsweise Informationslieferant oder Dialogförderer) zu untersuchen, wobei unsere Annahmen aber nur teilweise bestätigt wurden. Deswegen dürfte es für künftige Studien interessant sein, sich mit den unterschiedlichen Vorzügen von Brückenbauerkategorien auseinanderzusetzen. In unserer Studie konnte zudem gezeigt werden, dass Praktiker aktive Informationsvermittler gegenüber passiven bevorzugen. Folglich sollten sich künftige Untersuchungen vertieft mit den von den beiden Communities gewünschten Vorzügen (wie beispielsweise Aktivität oder Interaktion) von Brückenbauern auseinandersetzen, um den Informations- und Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Praxis im HRM voranzutreiben.
Es bleibt zu hoffen, dass sowohl Praktiker als auch Wissenschaftler die Relevanz und die Möglichkeiten potenzieller Brückenbauer erkennen und die Zusammenarbeit zwischen den beiden Lagern zum Wohle beider intensivieren. Brückenbauer, vor allem in Form von Anlässen, enthalten sehr viel unausgeschöpftes Potenzial – es muss nur genutzt werden!
Literatur:
- Scholz, Christian (2008): «Editorial: Zur Kluft zwischen Personalwissenschaft und Personalpraxis – Anmerkungen aus einem aktuellen Anlass», in: «Zeitschrift für Personalforschung», Nr. 22(1), München, S. 5–11