Beschäftigte vermehrt unterstützen?
Die Betreuung von Kindern und weiteren Familienmitgliedern braucht Zeit. Inwiefern sollten Arbeitgebende den Mitarbeitenden jedoch unter die Arme greifen? Eine Debatte.
Sollen Arbeitgebende Mitarbeitende mit Kindern mehr Unterstützung anbieten? (Bild: iStock)
Marc Prinz, Rechtsanwalt, Vischer AG: «Sofern möglich, können Arbeitgebende ihre Attraktivität mit solchen freiwilligen ‹Betreuungs-Angeboten› steigern.»
Auch zuvor waren Arbeitgebende verpflichtet, ihren Mitarbeitenden – jedoch grundsätzlich in beschränkterem Umfang – die notwendige Zeit für die Betreuung von (kranken) Kindern und Familienangehörigen zu gewähren (Art. 36 Abs. 3 ArG, Art. 324a OR und Art. 329 Abs. 3 OR). Mit Ausnahme des Vaterschaftsurlaubs beziehen sich diese Urlaubsformen in der Regel auf Ausnahmesituationen
Doch auch im Alltag ist der Spagat zwischen Job und Kinderbetreuung oder der Betreuung von Angehörigen oft nicht einfach zu meistern. Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht von Arbeitnehmenden ein nicht zu unterschätzender Vorteil, wenn ihnen der Arbeitgebende bei Betreuungsfragen entgegenkommt. Das kann bei grösseren Unternehmen vom kostenaufwendigeren Betrieb einer eigenen Krippe bis hin zu oftmals eher einfach umzusetzenden flexiblen Arbeitszeiten reichen. Sofern betrieblich möglich, können Arbeitgebende ihre Attraktivität mit solchen freiwilligen «Betreuungsangeboten» sicherlich steigern und Mitarbeitende damit motivieren. Ein weitergehendes Entgegenkommen des Arbeitgebenden hinsichtlich Betreuung von Kindern und Angehörigen dürfte somit eine Win-win-Situation für Arbeitgebende und Mitarbeitende, aber auch für die Kinder und Familienangehörigen darstellen.
Nadine Schlegel, Lead Link People/HR, Unic: «Einen ‹one fits all›-Ansatz gibt es nicht dafür. Jede Situation ist einzigartig.»
Einen «one fits all»-Ansatz gibt es dafür nicht. Jede Situation ist einzigartig. Dabei ist es wichtig, einem Mitarbeitenden als Arbeitgeberin zeitnah die Hand zu reichen und lösungsorientiert zu agieren. Das ist kein blosses Entgegenkommen, sondern vielmehr ein Zusammenspiel und Abstimmen der privaten, persönlichen Situation mit den beruflichen Gegebenheiten.
Ob ein krankes Kind zu Hause betreut wird, die Kita kurzfristig schliesst oder ein Elternteil Unterstützung benötigt: Freie bezahlte Tage für kurzfristige Abwesenheiten sind bei uns schon länger selbstverständlich und nicht bewilligungspflichtig. Damit wollen wir unseren Beitrag zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie leisten. Deshalb bieten wir zeitgemässe Arbeitsmodelle mit individueller Flexibilität bei der Gestaltung von Arbeitszeit und -ort. So kann auch kurzfristig oder für eine bestimmte Zeitdauer in ein Voll- oder Teilzeitarbeitspensum gewechselt werden. Unterstützend wirkt ebenfalls die Möglichkeit, remote zu arbeiten und die eigenen Arbeitszeiten bedürfnisorientiert einzuteilen. Auch Urlaubsbezüge sowie zusätzlicher Urlaubskauf oder sogar längere unbezahlte Urlaube sind wichtige Bestandteile, um den Bedürfnissen der Mitarbeitenden und ihrer Familien sowie Angehörigen gerecht zu werden.
Unser Augenmerk liegt dabei auf dem Wiedereintritt nach einer längeren Pause. Beispielsweise infolge Mutterschaft, Elternzeit oder unbezahlten Urlaubs. Diese hohe Flexibilität rund um Arbeitszeit und Gestaltung des Arbeitsplatzes wird von unseren Mitarbeitenden sehr geschätzt und aktiv genutzt. Dass wir unseren Mitarbeitenden ein vertrauenswürdiges Arbeitsumfeld zur Verfügung stellen, ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Wir schaffen die Rahmenbedingungen, damit Beruf und Privatleben zu gleichen Teilen Platz finden.
Philippe Dutkiewicz, HR Strategies, HR Campus AG: «Unternehmen, die Eltern entgegenkommen, werden eine stärkere Mannschaft haben.»
Arbeitgebende können nichts dafür, dass sich Mitarbeitende freiwillig so etwas antun. Eltern werden sicher fehlen, krank und/oder müde sein und die Arbeit vielleicht nicht immer zur ersten Priorität machen. Dennoch gewinnt man als Arbeitgebender unheimlich viel, wenn man Eltern unterstützt und Kinderkriegen als etwas Positives sieht. Der Grund ist ganz einfach: Eltern lieben nichts mehr als ihre Kinder. Als Unternehmen ist es deshalb umso wichtiger, die Bedürfnisse der Mitarbeitenden rund um die Kinder ernst zu nehmen.
Das heisst nicht unbedingt, ihnen Geld oder Betreuungsangebote hinterherzuwerfen. Ernst nehmen heisst vor allem, ihnen Freiraum zu geben, denn explosive Veränderungen brauchen Platz. So war es mir nach der Geburt der Kinder wichtig, jeweils drei Monate 100 Prozent für Frau und Kinder da zu sein. Andere Mitarbeitende wollen dagegen permanent reduzieren. Wieder andere können wegen der Kita nicht vor neun Uhr im Büro sein. Langfristig verliert jedoch jeder Arbeitgebende, der meint, Arbeit sei wichtiger als die Kinder seiner Mitarbeitenden. Nichts ist kostbarer als die Zeit mit den eigenen Kindern.
Zur Frage: Muss man Eltern entgegenkommen? Nein, muss man natürlich nicht. Man kann sich einfach an die gesetzlichen Vorgaben halten. Junge Eltern befinden sich aber auch in der produktivsten Zeit ihres Lebens. Gute Mitarbeitende können sich zudem einen Arbeitgebenden aussuchen. Unternehmen, die Eltern entgegenkommen, werden deshalb mittelfristig schlicht eine stärkere Mannschaft haben und in der ersten Liga spielen. Unternehmen, die das nicht realisieren, spielen höchstens in der zweiten. Als Arbeitgebender hat man aber die Wahl.