Kompetenzen entwickeln

Die Leistungsfähigkeit der Organisation bewahren

Der Fach- und Führungskräftemangel wird sich verschärfen. So stellt das Talentmanagement sicher, dass auch künftig die erforderlichen Kompetenzen im Unternehmen vorhanden sind, um erfolgreich zu bleiben.

Der Arbeitsmarkt hat sich von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmermarkt gewandelt. Entsprechend herausfordernd ist es für viele Unternehmen geworden, dafür zu sorgen, dass die erforderlichen neuen Mitarbeitenden finden und die vorhandene Belegschaft ihnen treu bleibt und nicht den Arbeitgeber wechselt.

Nun stellen sich viele Unternehmen die Frage, wie sie sich als ein attraktive Arbeitgeber für Stellensuchende positionieren können und dies auch für die vorhandenen Mitarbeiter bleiben. Aufgrund des Fachkräftemangels und der Tatsache, dass in den kommenden Jahren viele Babyboomer aus dem Erwerbsleben ausscheiden, hat sich diese Frage zu einer Schicksalsfrage entwickelt.

Unternehmen müssen ihre HR-Strategien überdenken

Um diese Herausforderung zu meistern, müssen viele Unternehmen ihre Personalstrategie grundsätzlich überdenken, und zwar nicht nur in den naheliegenden Bereichen Recruiting, Personalentwicklung sowie Compensation und Benefits. Sie müssen vielmehr auch ihre Unternehmens- und Führungskultur sowie Arbeitsorganisation auf den Prüfstand stellen, um letztlich eine HR-Strategie zu entwickeln, die den veränderten Marktbedingungen entspricht, den gewandelten Bedürfnissen der nachrückenden Arbeitnehmenden gerecht wird und mit den Zielen des Unternehmens korrespondiert.

Das Entwickeln einer solchen Strategie setzt eine umfassende Analyse der Ist-Situation voraus, in deren Zentrum folgende Fragen stehen:

  • Wo stehen wir heute?
  • Welche Veränderungen/Herausforderungen kommen auf uns zu (Markt, Technologie, Prozesse)?
  • Wo wollen wir hin (Vision, Ziele, Werte)?

Hierauf aufbauend kann dann ein Soll-Ist-Vergleich erfolgen:

  • Über welche Kompetenzen verfügt unsere Organisation beziehungsweise verfügen unsere Mitarbeitende/Teams heute?
  • Über welche Kompetenzen muss unsere Organisation beziehungsweise müssen unsere Mitarbeitende/Teams künftig verfügen – zum Beispiel aufgrund der technologischen Entwicklung, der veränderten Kundenbedürfnisse oder unserer Entwicklungsziele?

Herausforderung: Das Kompetenz-Gap schliessen

Hierauf aufbauend gilt es dann wiederum eine Strategie zu entwickeln, wie das bereits vorhandene oder sich abzeichnende Kompetenz-Gap geschlossen werden kann. In diesem Kontext gilt es auch folgende Fragen zu klären:

  • Über welche Kompetenzen müssen wir künftig firmenintern verfügen, weil sie strategisch relevant sind?
  • Welche können wir eventuell von externen Partnern «zukaufen», weil sie eine eher geringe strategische Relevanz haben beziehungsweise ihr Aufbau zu viele Ressourcen bindet?
  • Sollten wir künftig eventuell unsere Ausbildungskapazitäten erhöhen, um die benötigten Talente frühzeitig an uns zu binden?

Eine Schlüsselrolle beim Schliessen des Kompetenz-Gaps und Aufbau eines zukunftsweisenden Talentmanagements spielen das Identifizieren und Fördern der Talente in der Organisation und das Rekrutieren von Talenten auf dem externen Arbeitsmarkt.

Die Talente in der Organisation identifizieren

Über welche Kompetenzen und Entwicklungspotenziale Mitarbeiter real verfügen, zeigt sich weitgehend in der alltäglichen Zusammenarbeit. Deshalb zählt das Talentmanagement in dem ihnen anvertrauten Bereich zu den originären Aufgaben aller Führungskräfte.

Talente sind Personen, die im Arbeitsalltag bereits herausragende Leistungen erbringen und dabei fachlich und persönlich das Potenzial zeigen, mittel- bis langfristig (bei einer entsprechenden Förderung) noch anspruchsvollere Aufgaben in der Organisation zu übernehmen – sei es als Fachkraft, Spezialist oder Führungskraft. Weitere Merkmale von ihnen sind: eine hohe Lernfähigkeit und Motivation sowie ein vernetztes Denken.

Aufgabe der Führungskräfte ist es, diese Potenzialträgerinnen und -träger zu identifizieren und beispielsweise in strukturierten Mitarbeitergesprächen mit ihnen deren Entwicklungspotenziale zu reflektieren. Zudem empfehlen sich vom HR-Bereich moderierte Personalgesprächen, die unter anderem der Einordnung der Beschäftigten in das 9-Box-Model dienen.

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9-Box-Model Schema für Talentmanagement

In grösseren Unternehmen werden die Potenzialträger anschliessend häufig in einem Potenzial-AC daraufhin geprüft, inwieweit sie ein hohes Entwicklungspotenzial haben und ob ihre fachlichen und persönlichen Kompetenzen mit denen korrespondieren, die die Organisation zum Erreichen ihrer Ziele braucht.

Schlüsselkompetenzen für Talentmanagement

Personelle Kompetenz

  • Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Bereitschaft zur Veränderung
  • Zuverlässigkeit
  • Belastbarkeit, Resilienz
  • Kreativität
  • Selbstständigkeit, Eigeninitiative
  • Verantwortungsbewusstsein
  • Pünktlichkeit
  • schnelle Auffassungsgabe, Lernbereitschaft

Aktivitäts- und Handlungskompetenz

  • Beurteilungsvermögen
  • Eigeninitiative
  • Entscheidungsfähigkeit
  • Fähigkeit, Aufgaben zu delegieren
  • Fähigkeit zur Kontrolle und Überwachung
  • Problemlösefähigkeit
  • Risikobereitschaft
  • Ziel-/ Lösungsorientierung

Fach- und Methodenkompetenz

  • Analytisches Denken
  • Ausdruckvermögen
  • Informationsbeschaffung
  • Konzeptionelles Denken
  • Medienkompetenz
  • Organisationsfähigkeit
  • Präsentationsfähigkeit
  • Projektmanagement
  • Zeitmanagement

Sozial-kommunikative Kompetenz

  • Empathie
  • Teamfähigkeit
  • Interkulturelle Kompetenz
  • Kommunikationsfähigkeit
  • Konfliktmanagement
  • Kontaktfreudigkeit, Offenheit
  • Kritikfähigkeit
  • Motivationsfähigkeit
  • Toleranz
  • Verhandlungsfähigkeit

 

Auf dieser Grundlage werden dann mit den Kandidatinnen und Kandidaten deren mögliche Karrierewege vorläufig definiert und die Teilnehmenden für die Förderprogramme ausgewählt.

Talente vom externen Arbeitsmarkt rekrutieren

Eine zentrale Aufgabe des HR-Bereichs beziehungsweise des Personalmarketings ist es, das Unternehmen bei den potenziellen Mitarbeitenden, die über die künftig benötigten Kompetenzen verfügen und ein hohes Entwicklungspotenzial haben, als attraktiven Arbeitgeber zu profilieren. Hierfür gilt es die erforderlichen Tools wie flexible Arbeitszeitmodelle, Programme zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, attraktive Entlohnungssysteme und so weiter zu entwickeln.

Darüber hinaus spielt im digitalen Zeitalter eine attraktive, zielgruppenorientierte Selbstdarstellung des Unternehmens in den sozialen Medien eine wichtige Rolle. So tragen zum Beispiel positive Berichte von Mitarbeitenden über die Unternehmens- und Führungskultur sowie Zusammenarbeit und die Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten in der Organisation zur Profilierung des Unternehmens als attraktiver Arbeitgeber bei; dasselbe gilt für entsprechende Statements auf der Firmen-Webseite.

Selbstverständlich sollten zudem moderne, digitale Bewerbungsprozesse mit einem schnellen Feedback sein. Hilfreich ist auch ein definierter Onboarding-Prozess, der neue Kollegen und Kolleginnen unmittelbar nach Vertragsabschluss in die Kommunikation einbindet.

Talentmanagement-Programm: eine Wertegemeinschaft werden

In den Förderprogrammen für die Talente sollte der Fokus weniger auf dem Entwickeln ihrer fachlichen Kompetenz liegen als darauf, dass bei ihnen allen die Arbeitshaltung entsteht, die für ein adäquates Wahrnehmen ihrer (künftigen) Position in der Organisation sowie das Erreichen der Unternehmensziele in einer von rascher Veränderung geprägten Welt erforderlich ist.

Dies setzt eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in dem Programm voraus, die auch eine kritische Selbstreflexion im Team ermöglicht, die zum Erkennen noch vorhandener Lernfelder führt. Der Schwerpunkt sollte also auf der Persönlichkeits- und Teamentwicklung liegen, auch damit die emotionale Bindung ans Unternehmen steigt.

Elemente eines Talentmanagement-Programms

Die Persönlichkeits- und Skillentwicklung sollte sich möglichst stark am Arbeitsgeschehen orientieren. Deshalb sollten in dem Programm die Fall- und Projektarbeit eine zentrale Rolle spielen, wobei die verschiedenen Entwicklungsrichtungen (Spezialisten, Projektmanagement, Führung) zu beachten sind. Die Lern- und Reflexionsanteile in Seminaren hingegen sollten eher gering sein; zudem sollten sie mit Interventionen im Arbeitsalltag verknüpft sein. Dies können zum Beispiel sein:

  • Vereinbarung von persönlichen Entwicklungszielen für das Programm
    • Eigenverantwortliche Lernangebote im Learning Management System (LMS) mit Lernlogbuch
    • Führungskräfte als Mentoren und Trainer
    • Regelmässiges Entwicklungsfeedback durch Vorgesetzte
  • Kollegiale Beratung
  • Praxistransfer bei Projektarbeit: Präsentation im Steuerungskreis und Implementierung; Evaluierung mit Lessons Learned
  • Know-how-Cafés: (digitale) Gesprächsrunden zu relevanten Themen
  • Feedbackgespräche mit Führungsverantwortlichen beziehungsweise Mentoren.

Darüber hinaus können Krankheit-/Urlaubsvertretungen, Auslandsentsendungen, Job-Rotation und das Übertragen von Zusatzaufgaben für die Entwicklung der Talente genutzt werden.

Die Eigenverantwortung der Teilnehmer stärken

Das Förderprogramm sollte funktions- und bedarfsabhängig möglichst langfristig angelegt sein (zum Beispiel 18 oder 24 Monate). Zudem sollte die moderne Informations- und Kommunikationstechnik aktiv genutzt werden, so dass sich in dem Programm die zunehmend funktions- und bereichsübergreifende sowie virtuelle Zusammenarbeit im Unternehmen widerspiegelt, das Präsenz- und Online-Lernen eine organische Einheit bilden und auch zwischen den Programm-Modulen eine lebendige Kommunikation und ein aktiver Erfahrungsaustausch zwischen den Teilnehmenden erfolgt.

Generell sollten diese bei der Gestaltung und Durchführung des Programms eine möglichst hohe Eigenbeteiligung zeigen, unter anderem damit bei ihnen die Eigenverantwortung und das Unternehmertum gefördert werden (siehe Grafik 3).

Beteiligung der Teilnehmenden des Förderprogramms

Für die Teilnehmenden

Die Teilnehmenden durchlaufen ein Programm mit obligatorischen Modulen und Wahlmodulen basierend auf den Ergebnissen ihres Potenzialchecks.

Mit den Teilnehmenden

Sie sind an der Konzeption und Gestaltung der Programminhalte beteiligt.

Durch die Teilnehmenden

Sie übernehmen die Verantwortung für die Entwicklung und Gestaltung des Trainingsprogramms (inkl. Organisation und Budget). Der HR-Bereich und Trainer unterstützen den Entwicklungsprozess nach Bedarf.

 

Eine möglichst hohe Beteiligung an der Programmgestaltung fördert die Eigenverantwortung und das Unternehmertum.

Fazit: Talentmanagement wird zum zentralen Erfolgsfaktor

Ein vorausschauendes Talentmanagement wird künftig aufgrund des Fach- und Führungskräftemangels sowie der sich rasch verändernden Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen Handelns in unserer Gesellschaft ein zentraler Erfolgsfaktor aller Unternehmen sein. Denn dieses schafft die Voraussetzungen dafür, dass den Unternehmen auch mittel- und langfristig die Kompetenzen und personellen Ressourcen zur Verfügung stehen, die sie zum Erbringen der von ihren Kunden gewünschten Leistungen in einer hohen Qualität brauchen. Deshalb gilt es in den Betrieben ein solches Talentmanagement aufzubauen unter Nutzung der Möglichkeiten, die ihnen die Digitaltechnik bietet.

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Hans-Peter Machwürth ist Geschäftsführer der international agierenden Trainings- und Beratungsunternehmens Machwürth Team International (MTI Consultancy), Visselhövede. www.mticonsultancy.com

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