Die Rechtsnatur eines Sozialplans
Wie ein Sozialplan wirkt, hängt davon ab, mit wem er verhandelt und in welcher Form er abgeschlossen wurde. Die Palette seiner möglichen Rechtsnatur reicht vom einfachen Angebot des Arbeitgebenden bis zum verbindlichen Gesamtarbeitsvertrag.
Illustration: Jonas Raeber.
Steigt ein Arbeitgebender in eine Sozialplanverhandlung ein, sollte er sich von Anfang an bewusst sein, welche Vertragsart er anstrebt respektive welche Wirkung der Sozialplan entfaltet, je nachdem mit wem dieser verhandelt und abgeschlossen wird. Dass diese Gedanken wichtig sind, zeigt sich spätestens, wenn ein Sozialplan gekündigt werden sollte. Sich dabei mit anderen Unternehmen zu vergleichen, ist kein guter Rat. Vielmehr muss man wissen, wie sich die Situation im eigenen Unternehmen präsentiert. Die Rechtsnatur eines Sozialplans muss auch dann ermittelt werden, wenn Unklarheiten oder Streitigkeiten bezüglich Umsetzung des Sozialplans entstehen, da je nach seiner Rechtsnatur andere Auslegungsregeln anzuwenden sind.
Gesetzlicher Sozialplan
Seit 2014 kennt das Schweizer Arbeitsrecht den gesetzlichen Sozialplan. Für Arbeitgebende mit mindestens 250 Mitarbeitenden besteht eine Sozialplanverhandlungs- und abschlusspflicht, wenn sie mehr als 30 Kündigungen beabsichtigen. In Art. 335i OR wird definiert, mit wem ein Sozialplan zu verhandeln ist. Besteht eine gewählte Arbeitnehmervertretung im Unternehmen, ist diese Verhandlungspartnerin. Gibt es einen Firmen-Gesamtarbeitsvertag (GAV), sind die jeweiligen Arbeitnehmerverbände (Gewerkschaften) Verhandlungs- und Vertragspartner. Trifft weder der eine noch der andere Fall zu, ist die Gesamtbelegschaft Partner der Sozialplanverhandlungen.
Sozialplan als Gesamtarbeitsvertrag
Wird der Sozialplan zwischen Arbeitnehmerverbänden und dem Arbeitgebenden vereinbart (vgl. Art. 335i Abs. 3 lit. a OR), ist dieser gemäss Rechtsnatur ein Gesamtarbeitsvertrag. Der Inhalt wirkt normativ. Das bedeutet, dass sich Mitarbeitende gemäss Geltungsbereich des Sozialplans unmittelbar auf diesen berufen können. Zu den Sozialplan-Leistungen braucht es hierzu keine Zustimmung der einzelnen Mitarbeitenden.
Der Sozialplan wirkt unmittelbar nach Abschluss: Mitarbeitende können selbst dann Leistungen beanspruchen, wenn sie mit diesen nicht einverstanden sind und mehr gefordert hatten. Da ein mit Arbeitnehmerverbänden vereinbarter Sozialplan normativ wirkt, sind bei der Auslegung der vereinbarten Leistungsinhalte die Regeln der Gesetzesauslegung anwendbar. Es wird also nicht nach dem Parteiwillen der Vertragspartner gefragt. Vielmehr wird die strittige Bestimmung nach grammatikalischer, systematischer, historischer und teleologischer Regel ausgelegt, die unter Umständen zu einem anderen Ergebnis führt, als dies von den Beteiligten beabsichtigt war. Obwohl ein solcher Sozialplan gesetzesähnlich wirkt, bezieht die Rechtsprechung bei Streitigkeiten auch den Parteiwillen mit ein.
Sozialplan als Betriebsvereinbarung
Einer betrieblichen Arbeitnehmervertretung steht ein gesetzliches Mitwirkungsrecht zu, wenn sie formell gewählt und von der Belegschaft zur Vertretung legitimiert ist. Ihr kommt jedoch keine Tariffähigkeit zu. Deshalb ist eine Arbeitnehmervertretung nicht in der Lage, einen Gesamtarbeitsvertrag abzuschliessen. Wird ein Sozialplan mit der Arbeitnehmervertretung abgeschlossen, handelt es sich nicht um einen Gesamtarbeitsvertrag, sondern um eine Betriebsvereinbarung. Basiert die Legitimation der Arbeitnehmervertretung dagegen auf einer GAV-Norm, kommt dieser Betriebsvereinbarung normative Wirkung zu. Bei Abschluss eines Sozialplans zwischen Arbeitgebendem und der Arbeitnehmervertretung sowie nach Bekanntgabe des Sozialplans im Betrieb wirken die Sozialplanbestimmungen normativ und sind für den Arbeitgebenden sowie die Mitarbeitenden verbindlich (Art. 38 ArG i.V.m. Art. 39 Abs. 2 ArG). Obwohl Sozialplanbestimmungen infolge einer Betriebsvereinbarung normativ wirken können, liegt dennoch kein Gesamtarbeitsvertrag vor. Dagegen wirkt ein freiwillig zwischen dem Arbeitgebenden und der Arbeitnehmervertretung abgeschlossener Sozialplan nicht normativ. Unklarheiten werden dabei nach Regeln der Vertragsauslegung ausgelegt.
Individuelle Vereinbarung
Noch haben viele Unternehmen keine gewählte Arbeitnehmervertretung. Stehen solche Unternehmen vor einem geplanten Stellenabbau, müssen sie den Sozialplan mit der Gesamtbelegschaft verhandeln – und das ist nicht ganz einfach. Hinsichtlich der Rechtsnatur eines Sozialplans, der mit allen Arbeitnehmenden verhandelt wurde, ist festzuhalten, dass es sich hierbei um eine Offerte seitens des Arbeitgebenden an die betroffenen Mitarbeitenden handelt. Erst wenn diese den angebotenen Sozialplan akzeptieren, wird die Vereinbarung zwischen dem Arbeitgebenden und den Mitarbeitenden geschlossen. Es ist deshalb empfehlenswert, den Sozialplan in einer schriftlichen Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag für anwendbar zu erklären. So gilt dieser erst und ausschliesslich für jene, die dem Sozialplanangebot zugestimmt haben. Stimmen Mitarbeitenden den Sozialplanleistungen nicht zu, kann der Sozialplan nicht durchgesetzt werden. Von einer stillschweigenden Annahme durch die betroffenen Mitarbeitenden sollte aus Beweisgründen abgesehen werden.
Beendigung eines Sozialplans
Schon vor der gesetzlichen Sozialplanpflicht verfügten viele Unternehmen über einen zeitlich unbefristeten Sozialplan. Umstritten ist, ob ein «stehender Sozialplan», der vor Inkrafttreten der gesetzlichen Sozialplanpflicht vereinbart wurde, unter den Bestimmungen des seit 2014 geltenden gesetzlichen Sozialplans gültig ist. Unternehmen, die sich auf einen «stehenden Sozialplan» berufen, könnten sich also in falscher Sicherheit wiegen und sollten dringend analysieren, ob eine Neuverhandlung unter aktuell gültigem Recht angestrebt werden soll. Die Rechtsnatur des vorliegenden Sozialplans entscheidet wiederum darüber, welche Kündigungsregeln zur Anwendung kommen, sollte der Sozialplan selbst keine entsprechende Kündigungsklausel vorsehen. Bei Sozialplänen, die ein Gesamtarbeitsvertrag sind, ist die Kündigungsmöglichkeit gesetzlich geregelt. Falls keine vertragliche Kündigungsregelung gilt, kann gemäss Art. 356c Abs. 2 OR unter Wahrung der gesetzlichen Kündigungsfrist von sechs Monaten auf jedes Monatsende gekündigt werden. Das vertraglich vereinbarte Kündigungsrecht ist demgegenüber oft eingeschränkt, weil meist nur ein einziger Kündigungstermin Ende Jahr gilt. Ein Sozialplan kann, muss aber nicht, mittels Kündigung beendet werden. Ein bestehender Sozialplan kann auch durch Neuverhandlung abgelöst werden. Auch eine Anpassung ist denkbar, wenn durch seine Anwendung der Betriebsfortbestand gefährdet wäre (Art. 335h Abs. 2 OR). Diese juristisch explizit vorgesehene Option sollte ein Unternehmen aber nicht dazu verleiten, einen zu teuren Sozialplan abzuschliessen. Denn in der Praxis ist eine Anpassung bei veränderten Verhältnissen alles andere als ein einfaches Unterfangen.
Fazit
Wie ein Sozialplan wirkt, hängt von seiner Rechtsnatur ab. Je nach Verhandlungspartner und Abschlussform wirken die Normen normativ, also direkt. Wo keine normative Wirkung des Sozialplans besteht, wird der Sozialplan in aller Regel erst dann wirksam, wenn die Mitarbeitenden diese akzeptiert und die Sozialplan-Offerte des Arbeitgebenden angenommen haben. Bestehende Sozialpläne sollten geprüft werden, ob die Bestimmungen der gesetzlichen Sozialplanpflicht immer noch gerecht werden. Allenfalls ist eine Neuverhandlung anzustreben.
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