Betriebliches Gesundheitsmanagement – Massnahmen

Die übermüdete Gesellschaft

Unausgeschlafenheit und Übermüdung sind in unserer 24-Stunden-Gesellschaft gang und gäbe. Immer mehr Menschen schlafen weniger, arbeiten länger, und das oft gegen ihren Biorhythmus. Über die Folgen von Übermüdung und was Unternehmen dagegen tun können.

uf Seiten der Unternehmen schlägt die Übermüdung der Belegschaft mit sinkender Produktivität sowie steigenden Unfallraten zu Buche. Auch die Innovationsfähigkeit leidet und oft werden bei Übermüdung zudem schlechtere Entscheidungen gefällt. Remo Sigrist, Schlafspezialist der Klinik für Schlafmedizin mit Standorten in Bad Zurzach und Luzern, schätzt, dass sich die indirekten Kosten von Schlafstörungen in der Schweiz auf ungefähr 1,5 Milliarden Franken pro Jahr belaufen und rund 6,5 Millionen Ausfalltage verursachen. Urs Näpflin, Bereichsleiter Suva Betriebliches Gesundheitsmanagement, ergänzt: «Allein bei den Berufsunfällen entstehen Kosten von etwa 190 Millionen Franken pro Jahr. Das entspricht etwa 35 000 Berufsunfällen, wovon 13 Prozent vermeidbar wären.»

Auf individueller Ebene beeinträchtigt chronische Übermüdung die Gesundheit und erhöht das Risiko, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Störungen zu entwickeln oder häufiger an Infekten zu erkranken. «Dieser Zusammenhang ist inzwischen wissenschaftlich auch gut belegt», so Remo Sigrist. «Adipositas, Diabetes Typ II und arterielle Hypertonie verbreiten sich heutzutage epidemieartig, genauso wie die abnehmende Schlafdauer.» Und das ist umso ernster zu nehmen, als eine beträchtliche Zahl an Menschen an chronischen Schlafstörungen leidet. In der Schweiz sind das immerhin etwa 13 Prozent der Arbeitnehmenden, die sich tagsüber vor Müdigkeit kaum auf den Beinen halten können.

Weniger Schlaf und Arbeit bis tief in die Nacht

Etwas wissen und dann danach handeln: Was logisch erscheint, ist es jedoch nicht. So steht das Handeln vieler Menschen oft in starkem Widerspruch zu ihrem Wissen. Auch beim Schlaf. Niemand würde behaupten, bei Übermüdung gleich aufmerksam, produktiv und gut gelaunt zu sein, wie nach einer geruhsamen Nacht. Trotz dieser Erkenntnisse schlafen die Menschen in der westlichen Welt aber immer weniger lang. Immer öfters kollidieren zudem die Bedürfnisse einer 24-Stunden-Gesellschaft mit jenen des Individuums. Verlängerte Ladenöffnungszeiten und Rund-um-die-Uhr-Betriebe sind der Tribut für diese Lebensweise. Sie erfordern Arbeitszeiten bis in die Nacht hinein und Schichtarbeit, die für den Organismus des Menschen eine nicht unerhebliche Belastung darstellt.

Ältere Menschen haben andere Schlafbedürfnisse als jüngere

Der Anspruch, immer und überall erreichbar zu sein und die Schwierigkeit, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen sind weitere Faktoren, welche Übermüdung begüns­tigen. Daneben fallen aber auch unbehandelte Schlafstörungen, das Freizeitverhalten oder der Missbrauch von Stimulanzien ins Gewicht.

Kaum zur Kenntnis genommen wird noch, dass sich der Schlaf im Verlauf des Lebens stark verändert und somit auch die Bedürfnisse der Menschen. So sinken mit steigendem Alter die Schlafdauer sowie der Anteil des Tiefschlafs, während Durchschlafstörungen zunehmen. «Die Anpassungsfähigkeit des Organismus ist nicht mehr dieselbe wie in jungen Jahren, was bei der Schichtarbeit zu Problemen führen kann», erläutert Remo Sigrist und ergänzt, dass ältere Menschen in einem solchen Kontext deshalb mehr Erholung bräuchten.

Chronischer Schlafmangel beeinträch-tigt jedoch nicht nur die Gesundheit, sondern auch das Reaktionsvermögen: Wer unter Schlafproblemen leidet, stolpert oder stürzt fünfmal häufiger und ist sogar viermal mehr in Unfälle mit Werkzeugen und Maschinen verwickelt, erfährt man von Urs Näpflin. «Auch beim Aufräumen oder bei Reinigungsarbeiten steigt die Unfallgefahr um das Zwei- bis Fünffache.»

Wenn Schlafmangel nicht mehr Privatsache ist

Wann aber soll und darf der Arbeitgeber Mitarbeitende auf ihr Schlafverhalten ansprechen? «Wenn ein Mitarbeitender in einer Sitzung einschläft oder seine Leistungsfähigkeit über längere Zeit markant sinkt, ist dies nicht länger nur seine Privatsache. Das gilt insbesondere bei Tätigkeiten, bei denen eine Selbst- oder Fremdgefährdung besteht. Zum Beispiel bei Chauffeuren. Hier besteht sogar eine gesetzliche Pflicht, sofort einzugreifen», meint Urs Näpflin.

Ansonsten solle der Vorgesetzte Auf-fälligkeiten zuerst beobachten und das Gespräch mit dem Mitarbeitenden suchen, falls sich dessen Zustand nicht bessere. «Wichtig ist, die Beobachtungen mit konkreten Beispielen zu unterlegen, mögliche Ursachen für das auffällige Verhalten zu ermitteln und mit dem Mitarbeitenden gemeinsam klare Vereinbarungen zu treffen.» Je nachdem umfasst der Massnahmenkatalog auch eine Abklärung bei einem Vertrauensarzt oder die Vermittlung an eine Fachstelle. Im Anschluss daran soll ein Folgegespräch vereinbart werden, um Rückmeldung einzuholen und allenfalls weitere Schritte einzuleiten.

Schlaf thematisieren und im BGM verankern

Nicht nur der Arbeitnehmende steht in der Verantwortung, für genügend Schlaf zu sorgen, auch der Arbeitgeber hat im Rahmen des Arbeitsgesetzes die Pflicht, die Gesundheit seiner Mitarbeitenden zu schützen. So bestehen unzählige Gesetzesvorgaben, welche die Fahrzeiten von Chauffeuren regeln, die Arbeitszeit der Fluglotsen reduzieren und die Gestaltung der Schichtarbeitspläne einschränken.

Darüber hinaus kann das Unternehmen auf organisatorischer Ebene mit einer «Sleep Friendly Policy» Mitarbeitende unterstützen, ihre Selbstverantwortung wahrzunehmen. Ob man dazu nachts gleich den Mailserver abstellen muss, sei dahingestellt. «Das Unternehmen sendet starke Botschaften aus, wenn es die Mitarbeitenden wissen lässt, dass sie nicht rund um die Uhr erreichbar sein müssen, die Überzeit einschränkt und klar vereinbart, von wann bis wann jemand erreichbar sein muss, wie beispielsweise beim Pikett-Dienst», erklärt Urs Näpflin.

Wichtig sei jedenfalls, dass die Unternehmensführung überhaupt anerkenne, wie wichtig der Schlaf als Erfolgsfaktor sei, führt Remo Sigrist aus. Und das bedeute auch, den Schlaf zum Thema im Unternehmen zu erheben und im Betrieblichen Gesundheitsmanagement als festen Bestandteil zu verankern.

Schlafprobleme bei jüngeren und älteren Mitarbeitenden

An der nationalen Tagung für betriebliche Gesundheitsförderung erfahren Sie im Referat von Katrin Uehli, Beraterin und Projektleiterin der Suva Luzern, mehr zum Thema Schlaf, über Schlafprobleme und wie Unternehmen die Folgen handhaben.

Ort: Universität Fribourg, Symposium 4d
Datum: 3. September 2014
Infos: gesundheitsfoerderung.ch/tagung

 

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Chefredaktorin, HR Today. cp@hrtoday.ch

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